Kursbuch 186 – Editorial

Inhalt und Leseproben

Jens-Christan Rabe Brief eines Lesers • Peter Felixberger Rechts! Zwo! Drei! Vier! • Daniel Bax Feindbild: Islam • Hans Hütt Auf dem Weg in die Tyrannei •  Armin Nassehi Nicht nur die Rechten • Rainer Joedecke Willkommen in Hoyerswerda •  Angela Wierig Nazis in Sicht • Liane Bednarz Radikal bürgerlich • Barbara Vinken Die Angst vor der Kastration •  John Stuart Mill Die Negerfrage

Editorial von Armin Nassehi

Warum wir ein Heft über »Rechts« machen, muss nun wirklich nicht weiter begründet werden. Es liegt auf der Hand. Deshalb einige Erläuterungen zur Ausgrabungsmethode:

»Die Archäologie versucht, nicht die Gedanken, die Vorstellungen, die Bilder, die Themen, die Heimsuchungen zu definieren, die sich in den Diskursen verbergen oder manifestieren; sondern jene Diskurse selbst, jene Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Praktiken. Sie behandelt den Diskurs nicht als Dokument, als Zeichen für etwas anderes, als Element, das transparent sein müsste (…); sie wendet sich an den Diskurs in seinem ihm eigenen Volumen als Monument. Es ist keine interpretative Disziplin, sie sucht nicht einen ›anderen Diskurs‹, der besser verborgen wäre. Sie wehrt sich dagegen, ›allegorisch‹ zu sein.« Was Michel Foucault hier in seinem Buch Archäologie des Wissens als erstes von vier Prinzipien über die archäologische Methode der Ideengeschichte präsentiert, beschreibt das, was in diesem Kursbuch geschieht, ziemlich präzise. Es geht eher um Ausgrabungen als um Verstehen; es geht um das Freilegen, nicht um das Wiedereinbetten; es geht darum, die Sedimentschichten darum herum zu isolieren, nicht um relativierende Kontexte. Das Faszinierende an der Archäologie ist, dass sie zumeist wirklich Handfestes zutage fördert, das auf Praktiken, auf wiederum Handfestes verweist und erst in einem der nächsten Schritte auf den kulturellen Gesamtkontext oder einen Kosmos von Bedeutungen. Genau darum beschäftigt sich dieses Kursbuch über »Rechts« mit »Ausgrabungen«: Rechts. Ausgrabungen.

Es geht allen Beiträgen darum, im Sinne Foucaults Monumente auszugraben und nicht Dokumente vorzulegen, also Hinweise auf Praktiken, auf jenes Handfeste, das für sich steht, nicht Dokumente für etwas anderes. So gräbt Peter Felixberger den Diskurs um den deutschen Sozialstaat aus, der sich von rechts und links gleichermaßen untergräbt; Daniel Bax zeigt, dass der Islam sich für Rechtspopulisten deshalb so lohnend als Lieblingsfeind anbietet, weil man nicht lange graben muss, um in fast allen Milieus der Bundesrepublik auf islamkritische Motive zu stoßen; Hans Hütt macht auf die inneren Widersprüche der US-amerikanischen Gesellschaft und ihre Konflikte als Nährboden für Rechtspopulismus aufmerksam und zeigt, dass die Konflikte teilweise ganz unterschiedliche Schützengräben gegraben haben – von Hütt stammt denn auch mein Lieblingssatz in diesem Kursbuch: »Die Absurdität gipfelt darin, dass der um sein soziales Überleben kämpfende weiße Arbeiter sich von Studierenden der Ivy-League-Universitäten seine Privilegien unter die Nase reiben lässt. Das geht nicht gut aus.«

Mein eigener Beitrag gräbt bis an den Grund eines grundlegenden Unbehagens an der anstrengenden Moderne, die das populistische Motiv des Baldachins, der alle Differenzen einzieht, geradezu zum Normalfall semantischer Reaktionen macht – und nicht nur bei den Rechten zu finden ist; eine Ausgrabung ganz eigener Art ist die geradezu intime Rekonstruktion des Miterlebens des Münchner NSU-Prozesses von der Anwältin und Nebenklagevertreterin Angela Wierig; Liane Bednarz gräbt nach Verbindungen zwischen unterschiedlichen politischen und medialen Akteuren der »Neuen Rechten«; und Barbara Vinken diagnostiziert ihr Grabungsergebnis über die Mode der Rechten in der ihr eigenen Drastik: »Der phobische Ausschluss alles Weiblichen, das knallharte Paradieren von Männlichkeit, das Beharren auf dem Zuviel streicht diese übermarkierte Männlichkeit aus: Sie ist und hat, ist Fetisch und hat den Phallus. Kurz, rechtsradikale Mode ist das Symptom, unheimliche Blüte unerträglicher Kastrationsangst.«
Zwei historische Ausgrabungen haben eine besondere Aufmerksamkeit verdient: Der im Jahre 2001 verstorbene Journalist Rainer Joedecke hat in Kursbuch 107 im März 1992 über Hoyerswerda geschrieben – über jenen Ort, dessen Name zum Symbol jener schwarzen 1990er-Jahre geworden ist. Die Aktualität dieses fast ein Vierteljahrhundert alten Textes ist beklemmend. Wir drucken ihn mit freundlicher Genehmigung von Jessica Joedecke wieder ab.
Noch älter, nämlich von 1850, ist die zweite historische Ausgrabung dieses Kursbuchs, die sich mit der »Negerfrage« beschäftigt. Der große liberale Denker John Stuart Mill zeigt hier, dass die Kritik an der Sklaverei und der Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen nicht als eine philanthropische Gefühlsregung verkürzt oder missdeutet werden sollte. Bei der Frage nach der Sklaverei gehe es – gewissermaßen Pars pro Toto – ums Ganze, nämlich darum, ob sich das Recht als ein universales Recht durchsetzt, nach dem Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf. Und dass »der Neger« kein anderer ist, letztlich nicht ungleich, worin dann jene sichtbare Ungleichheit verschwindet, wird in diesem Leserbrief Mills wundervoll durchgeführt – es ist ein Leserbrief, der einen rassistischen Text des Historikers Thomas Carlyle kommentiert.

Die methodische Klammer dieses Kursbuchs dürfte deutlich geworden sein – unsere Autorinnen und Autoren nehmen all das, was unter dem sehr breiten Dach »Rechts« ausgegraben werden kann, tatsächlich als Monument, um Foucault noch einmal aufzunehmen. Es geht darum, die ausgegrabenen Bruchstücke in ihrem praktischen Sinn zu verstehen – und dieser praktische Sinn scheint überall auf Verunsicherungen zu stoßen – oder auf Situationen, in denen solche Verunsicherungen instrumentalisiert werden können. Der Fokus all dieser Praktiken scheint eine Welt zu sein, die eben nicht anstrengend ist, in der man weiß, wer wohin gehört, und in der Hierarchien und Erhabenheiten deutlich sichtbar geregelt sind. Überall kommen beleidigte Akteure vor, denen in diesen Texten von Kleingeisterei bis zur Kastrationsangst bescheinigt wird, sich der Komplexität dieser Welt nicht zu stellen. Vielleicht sind das die Anfangsbedingungen all dessen, was heute »rechts« ist – und nicht nur dort anzutreffen ist.

So ähnlich argumentiert auch Jens-Christian Rabe, der von einer Konfrontation von Kritik und Paranoia spricht – ein schönes Bild für das Ringen um die allgemeine Gemengelage. Rabe reiht sich als Vierzehnter in unsere Rubrik »Brief eines Lesers« ein. Dafür sei ihm gedankt.

(weiterlesen im Kursbuch 186)

Editorial von Armin Nassehi, Kursbuch 186 “Rechts. Ausgrabungen”, Juni 2016

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