Editorial von Armin Nassehi In diesem Kursbuch schreiben nur Autorinnen und Autoren, die 36 Jahre oder jünger sind. Mein Lieblingssatz in diesem Kursbuch lautet: »Es wäre naiv zu glauben, dass junge Menschen, die damit aufgewachsen sind, dass selbst ein Waschmittel eine eigene Farbe, einen Jingle und einen Geruch haben muss, nicht auf die Idee kommen, auch sie bräuchten ein Konzept, eine Markenbotschaft, eine Identity zum Herzeigen.« Er stammt aus dem Beitrag von Lara Fritzsche und bringt ziemlich gut auf den Punkt, was ich als mehr als 20 Jahre Älterer an Bildern über diese Generation im Kopf habe.
Diese Bilder bewegen sich auf zwei Gebieten: Zum einen haben diese etwas mit Ästhetiken und Bildhaftem zu tun, zum anderen mit einer Individualität, die sich vor allem über Emotionalisierbares identifiziert. Die Beiträge loten all das aus. Sie arbeiten sich am Verhältnis von Selbstoptimierung und einer besseren Welt ab, sie fremdeln mit der Arbeitswelt, suchen darin aber verträglichere Formen, sie zeigen sich genervt vom Gefühl und der Expression als zentralem Wahrheitsmedium, tragen aber auch das mit emotionaler Verve vor.
Wir haben erst vor Kurzem ein »Generationen Kursbuch« gemacht. Kursbuch 178 beschäftigte sich mit dem Jahrgang »1964«, also den nun 50Jährigen, die anders als die vorherige Kriegs, Flakhelfer oder skeptische Generation keine wirklich identifizierbare Generation sind – von den 68ern als Mutter aller Jugendgenerationen ganz zu schweigen.
Vielleicht ändert sich das nun wieder, denn gemeinsamer Tenor der Beiträge ist tatsächlich eine nun stark durchgesetzte Erwartung, dass Beschreibungen authentisch und jetzt wirklich individuell sein sollen, darin aber gebrochen in der Einsicht, dass Authentizität auch eine Erwartung ist, etwas, das inszeniert werden muss, ähnlich wie die kolorierte, olfaktorisch und auditiv überzeugende Authentifizierung eines Waschmittels. Diese Generation scheint die Benutzeroberfläche von der dahinterliegenden Tiefe des virtuellen Raums unterscheiden zu können – und ist doch mit der Benutzeroberfläche schon ziemlich beschäftigt. Ich habe selbst in Kursbuch 178 meine eigene Generation als die erste digitale Generation bezeichnet. Vielleicht muss das korrigiert werden. Meine Generation ist noch in eine analoge Welt hineingeboren worden.
Wir haben das dann alles verflüssigt, erst kommunikativ, dann computergestützt. Die jetzigen Jungen müssen diese Verflüssigungen wieder materialisieren, in Formen bringen. Wir haben uns gegen Formen gewandt, eine Art »Häresie der Formlosigkeit« (wie Martin Mosebach die Verflüssigung seiner katholischen Kindheit beschrieben hat) gepflegt. Jetzt wird reritualisiert, werden neue Formen gesucht und gefunden, jetzt werden auf Augenhöhe individuelle Lösungen gesucht, mit einem neuen Glauben an die Form – aber ganz ohne das Erlösungsversprechen, sondern eher in dem Sinne, dass man
Authentizität letztlich mit digitalem Spielmaterial herstellen muss. Julian Müller übrigens hat uns in seinem Beitrag ins Stammbuch geschrieben, dass noch der Titel dieses Kursbuchs aus einer ganz anderen Generation stammt, jener bürgerlichen Idealisierung der Jugend als »forsch« – ein ziemlich forscher Einwand. Zumindest zeigt er: Die jeweilige Jugend war schon immer eher eine Erfindung der Erwachsenen. Das gilt auch für die erwachsene Jugend, die in diesem Kursbuch spricht.