LongRead: Barbara Vinken: Die Angst vor der Kastration

Über rechtsradikale Mode

»Alice sah uns mit diesem zugleich zärtlichen und leicht spöttischen Blick an, den Frauen aufsetzen, wenn sie einer Unterhaltung zwischen Männern folgen, diesem merkwürdigen Vorgang, der stets zwischen Homoerotik und Duell schwankt.«[1]

Will man verstehen, wie »rechte« Mode funktioniert, was sie will und tut, sollte man sehen, von was sie sich absetzt, wogegen sie sich wendet. Als rechtsradikale, sprich Neonazi-Mode galten bis vor Kurzem in Deutschland rasierte Schädel, Springerstiefel, enge schwarze Hosen, Bomberjacken. Martialisch brutal. Glaubt man dem Verfassungsschutz, erfreut sich Thor Steinar – eine mittlerweile von Königswusterhausen nach Dubai verlegte Marke, deren Logo ein sich auf die nordische Mythologie beziehendes, hakenkreuzartiges Gebilde war – in der Szene großer Beliebtheit. Angetreten wird hier im Zeichen der Nazis. Manchmal ein gegelter, superpräzis penibler Scheitel, der mich an die SS à la Viscontis Helmut Berger in den Verdammten erinnert; oder an Ostjunker. Männerkleider, Männerfrisuren erst mal.

Bomberjacken und Doc Martens, den etwas abgewandelten Springerstiefel mit ursprünglich zivilem, später proletarisch linkerem Einschlag, trägt seit geraumer Zeit die ganze Welt, Frauen wie Männer, als Alltagsbasics. Normcore sozusagen. Und das neue Logo von Thor Steinar ist eine Art Andreaskreuz. Rasierte Schädel sind ebenfalls von links bis rechts und selbst in den Vorstandsetagen in Mode. Große Verwirrung, keiner weiß mehr, was was heißen soll. Irgendwie schwer scheint es im Moment, wo allerorts der Einbruch der bürgerlichen Mitte mit der für die modernen Demokratien zentralen Unterscheidung in ein rechtes und linkes Spektrum festzustellen ist, klare Grenzen zwischen rechts und links zu ziehen: Beobachter der Szene haben Rechtsradikale mit Che-Guevara-T-Shirt oder Palästinensertüchern gesichtet.

Versuchen wir, es etwas grundsätzlicher anzugehen. Niemand vielleicht hat die Herrenkleidung der Moderne so schön beschrieben wie Nietzsche. Erst vor diesem Hintergrund gewinnt alles Radikale Kontur – linkes wie rechtes. In seiner Aphorismen-Sammlung Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister (1878/1879) beschreibt Nietzsche Sinn, Zweck und Bedeutung des bürgerlichen Kleidungsstücks par excellence, des Anzugs – offensichtlich Männerkleidung also. Der Anzug, um die Französische Revolution herum geboren und zur Ikone der Moderne schlechthin geworden, siegte global. Nicht nur in Europa, sondern weltweit verdrängte er die lokalen Trachten und wurde zur Standardkleidung der Weltbürger.

Nietzsche stellt den Anzug gegen die Tracht, Kopfarbeit gegen Handarbeit, Stadt gegen Land. Während die Tracht hinterwäldlerisch-rückständig örtliche Eigenheiten bewahre, drücke der Anzug die Tugenden des modernen, aufgeklärten, industriellen Europas aus. Der Anzug trennt nicht, er vereinheitlicht. Nach dem Vorbild dieses nur minimalen Varianten unterliegenden Klassikers entwirft Nietzsche den wahren Charakter der Mode in einer Umwertung aller Werte nicht als das sich ewig Wandelnde, sondern als das Beständige: »Im ganzen wird also gerade nicht das Wechselnde das charakteristische Zeichen der Mode und des Modernen sein, denn gerade der Wechsel ist etwas Rückständiges und bezeichnet die noch ungereiften weiblichen und männlichen Europäer: sondern die Ablehnung der nationalen, ständischen und individuellen Eitelkeit.«[2]

Die Mode ist Nietzsche idealerweise nicht Mittel der Distinktion, sondern Mittel der Nivellierung. Anders gesagt: Es ist die Gleichgültigkeit gegen alles im landläufigen Sinne Modische, die distinguiert. Der reife europäische Mann, selbstredend ein Geistesmensch, zeigt in seiner Kleidung, »daß er arbeitsam ist und nicht viel Zeit zum Ankleiden und Sich-putzen hat, auch alles Kostbare und Üppige in Stoff und Faltenwurf im Widerspruch mit seiner Arbeit findet; endlich daß er durch seine Tracht auf die gelehrteren und geistigeren Berufe als die hinweist, welchen er als europäischer Mensch am nächsten steht oder stehen möchte«.[3]

John Carl Flügel hat den Anzug nicht so enthusiastisch wie Nietzsche begrüßt und den Umbruch, den die Französische Revolution in der Kleiderordnung mit sich brachte, witzig in ein Bonmot gefasst. Die große Französische Revolution (great French Revolution) führt zur großen männlichen Entsagung (great male renunciation). Denn während die höfische Mode den männlichen Körper in schwerem Samt und leuchtenden Seiden, wippenden Federn, schneeigen Spitzen, üppigen Stickereien zeigt, schminkt der bürgerliche Mann sich all das ab. Bis zur Revolution waren die Männer das schönere, das herausgeputztere, das prunkendere Geschlecht. Gepudert, mit Rouge und Schönheitspflästerchen gingen sie so wie die Frauen. Und rückten ihre Beine überdies in hautengen, glänzenden Strümpfen ins rechte Licht. Ganz allgemein gilt für die männliche Mode bis zur Revolution: Sie zeigt Körper – nicht den verarbeiteten und vernutzten Körper der Bauern und Landarbeiter, sondern einen Körper, der zeugen, kämpfen, tanzen, fechten, reiten, jagen, laufen, Ball spielen kann. Ungehemmt zeigte man, was man hatte – und oft mehr, als man hatte. Man ließ den Körper durch seine Kleider, oversexed und overdressed, unmissverständlich sprechen. Hier geht es grundsätzlich um ein Mehr, ja um ein Zuviel.[4] Die große Revolution kam im Namen einer Moderevolution: die sogenannten Sansculotten, in gedecktem, dunklem Tuch, mit langen, den Körper verhüllenden Hosen, dem pantalon, machten der in culottes prunkenden Männlichkeit den Garaus. Sie siegten aber nicht im Zeichen des pantalon, schließlich hießen sie nicht »les pantalons«, sondern im Zeichen dessen, was fehlte: als »sans-culottes«.

Der männliche, bürgerliche Männerkörper bleibt in bestimmter Negation auf diese aristokratische Mode bezogen: Er ist und scheint nicht – leer, heißt das jetzt. Unauffällig, schmucklos, neutral tritt alle Oberflächenverzierung hinter die abstrakt-idealisierende Konstruktion, den als solchen nicht in Erscheinung tretenden Schnitt, die niemals sichtbare Unterfütterung zurück. Gedeckte Farben, locker fallende Wollstoffe, nichts mehr sitzt hauteng. Die schmucklose Nüchternheit, die disziplinierte Strenge, das Hervortreten einzig der »Persönlichkeit« in ihrer ungeschminkten Wahrheit doppelt die bürgerliche Ethik. Der Mann wird in seiner Kleidung modern, indem er alles bloß Modische abstreift.[5] Die Repräsentation von Macht ist von nun an an den sexuell unmarkierten Körper gekoppelt. Die »constantia« der Person, die ihr Mäntelchen prinzipientreu nicht in den Wind hängt, wird durch die Beständigkeit des Anzugs, der saisonal nur minimalen Variationen unterliegt, unterstrichen. Der Anzug konstituiert den Bürger als Gegenstück des sich im Schein ergötzenden Aristokraten, parfümiert, geschminkt, aufgetakelt, mit Perücke, als natürlich, authentisch Seienden. Mit Barthes gesprochen, konnotiert dieses Kleidungsstück nicht willkürlich wechselnde Künstlichkeit, also Mode, sondern reine Zweckmäßigkeit, Funktionalität.[6]

Der Anzug individualisiert die Person, indem er alles, was die Aufmerksamkeit auf das Kleid lenken würde, unterbindet und damit allein das Gesicht, ungeschminkt, in den Fokus rückt. Als Kleid nicht aufzufallen und damit den Körper auszublenden, ist das Gesetz, unter dem der Anzug steht. Der geschlechtliche Körper wird im Kollektiv aufgehoben; eingebunden wird der individuelle Körper durch die Abstraktionsleistung des Schnitts und durch die durchgehende Uniformierung. Der Anzug nivelliert, neutralisiert, egalisiert. Der einzelne Körper inkarniert die Institution: Er tritt in seiner Besonderheit hinter sie zurück, geht in ihr auf. Aber diese Institution besteht aus vielen verschiedenen, einzigartigen Individuen, die sich nicht durch Rang oder Wehrkraft, sondern durch unverwechselbaren Charakter unterscheiden. Abzeichen, Wappen, Logos irgendwelcher Art zieren den Anzug selbstverständlich nicht. Der männliche Anzug ist die Conditio sine qua non der Demokratie; das »habit noir« sein, wie Baudelaire schrieb, einziger legitimer Ausdruck. Bürgerlich gibt er Tag für Tag das Spektakel des Unspektakulären zum Besten: Rhetorik der authentischen A-Rhetorik.

Diese Herrenbekleidung ist vielleicht konservativ, aber sicher eines nicht: radikal bewegt. Dieser Anzug ist vor allen Dingen zivil und nicht militärisch. Er ist das Kleid der Republik. Die Leute, die ihn tragen, arbeiten mit der Feder und hantieren nicht mit dem Schwert, oder, um es zeitgemäß zu formulieren, mit dem Apple und nicht mit Fahrradkette, Baseballschläger oder Kalaschnikow. Der Anzugträger ist kein Waffenträger. Wenn man die Kleidung der Banker als Frankfurter Uniform bezeichnet, so meint dies nicht das militärische, sondern das uniformierende, vereinheitlichende, und irgendwie auch entsagungsvolle Grau in Grau, Nachtblau in Nachtblau. Muskeln, Geschlecht, Haut werden verhüllt, das Haar fällt nicht wie bei Samson üppig gelockt über die Schultern, sondern ist adrett kurz geschnitten. Nackt sind nur Hände und Gesicht.

Radikale, »rechte« Kleidung bestimmt sich gegen dieses zivile Kleid. Sie ist, und das mag paradox klingen, grundsätzlich paramilitärisch und modisch. Sie führt uns damit an die Urszene der Entstehung der männlichen Mode der Moderne zurück, die sich explizit gegen alles weibisch Modische definierte. Wie die aristokratische Kleidung zeichnet sich auch die rechtsradikale Kleidung dadurch aus, dass sie vor allen Dingen einen fähigen, einen einsatzbereiten Körper zeigt. Lag die rhetorische Aufgabe für den Anzug darin, das Signifikat »modisch« zu löschen, so tut dies die rechte Kleidung nicht. Deswegen umweht sie bei allem Paradieren von Männlichkeit und bei aller Martialität ein odor di femina. Das Zuviel bekommt etwas Anrüchiges: Man denke an die so homophoben wie homosozialen Nazidandys.

Rechtsnationaler Kleidung auf der Spur

Sehen wir uns an, wie Michel Houellebecq in seinem letzten Roman Unterwerfung Robert Rediger, seinen Prototyp der Neuen Rechten, anzieht. Der Roman handelt vom sagenhaften Aufstieg eben dieses Rediger, Präsident der Sorbonne, Staatssekretär für die Universitäten und neuer Außenminister in spe in einem islamofaschistischen Vierten Reich, das die Nachfolge des Dritten Reiches und des Vichy-Regimes antritt. Der zum Islam konvertierte Belgier Robert Rediger war davor Mitglied der rechtsradikalen identitaires: den »Eingeborenen Europas«, rassistischen, fremdenfeindlichen Splittergruppen. Sie haben Angst um die Reinheit von Rasse und Kultur und Panik vor Überfremdung. Diese Panik schlägt sich nicht nur in einer aggressiven Rhetorik, sondern auch in schlägertruppartigen Handgreiflichkeiten nieder. Rediger schlägt auf einem Universitätsempfang nicht im Anzug, sondern in schwarzen Jeans und schwarzer Bomberjacke auf. Die Bomberjacke oder auch Fliegerjacke, für Kampfflugzeugbesatzungen entworfen und mit dem Emblem der jeweiligen militärischen Einheit gezeichnet, ist Kriegskleidung: Dieser Mann ist im Einsatz, im Ganzkörpereinsatz. Rediger, ganz in Schwarz, bekennt Farbe: Mussolinis Brigaden in der camicia nera lassen grüßen. Der muskelbepackte schwarze Riese, der an einen Rugbyspieler mehr als an einen Politiker erinnert, zieht ein winziges, »fast weibliches« muschelförmiges Handy aus der Tasche. Geschmückt ist die militärisch aufgetakelte, fetisch-strotzende Maskulinität mit dem Emblem der Venus.

Will man radikaler Kleidung auf die Spur kommen, führt der Weg zu den Uniformen, diesem aristokratischen Überbleibsel in einer bürgerlich zivilen Gesellschaft, letztes Bollwerk gegen den zivilen Anzug. Und als Fundus für die Mode der Moderne gar nicht zu überschätzen, die ohne Militäranleihen schlecht vorstellbar ist. Militärzitate werden aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang gelöst und, eingeführt in das Zivilleben, zum letzten Schrei, der auch als Dauerbrenner nichts an Sexyness verliert. Es sieht aus, als ob ein Klassiker umso sicherer zum Klassiker würde, je mehr solcher Umwidmungen, Entwendungen und Aneignungen er hinter sich hat. Frauen ziehen Militärkleidung an, Arbeitskleidung wird zur Freizeitkleidung, Reiche streifen sich die Kleider der Armen über. Klassiker verdanken sich Verkleidungen, Travestien: vom Mann zur Frau, vom Arbeiter zum Bourgeois, vom Militär ins Zivilleben. Eine spezifische Form der Aneignung von Militärkleidung, die sich von der »zivilen« unterscheidet, charakterisiert alles rechtsradikal Bewegte.

Uniformen waren der einzige Ort, an dem der Mann auch nach der großen männlichen Entsagung noch Farben und Federn tragen, blitzen und glitzern, hauteng scharf geschnitten Körper zeigen durfte. Prächtig, eben ostentativ männlich, ist der Mann in der bürgerlichen Ära nur noch »on parade«. Natürlich fiel den Leuten bereits im Ersten Weltkrieg auf, dass rote Hosen und goldfunkelnde Helme ideale, weil weithin leuchtende Zielscheiben sind. Im Krieg sind sie deshalb, sagen wir vorsichtig, suboptimal.

Farben und Federn, Prunk und Protz, himmelblaue Seiden, goldenes Gefunkel und rote Hosen mussten aufgegeben werden. Sie wurden es auf zwei unterschiedliche Weisen: auf die eine, die, wenn man so will, bürgerliche, zivile Art. Hier war es mit dem Paradieren vorbei und es ging um ein Zurücknehmen, ja um ein Verbergen des Körpers. Er sollte vor dem Tod geschützt, versteckt werden. Auch die Gewalt des tötenden Körpers sollte nicht ästhetisiert werden. Praktisch wird Ästhetik – Schönsein, prächtig glänzen – durch Funktionalität ersetzt: dem Kugelhagel standhalten zu können, vor Wind und Wetter geschützt, vor den feindlichen Waffen verborgen, mit dem Untergrund eins zu werden. In dieser »bürgerlichen« Art, in dieser Zivilisierung der Uniform, geht es um ein Leben unter Extrembedingungen; zu töten und getötet zu werden ist nichts weiter als die extremste dieser Bedingungen.

Und auf eine andere Art, eine postaristokratische, oft von einem martialischen Dandytum umwehte Weise. Hier ging es nicht nur um Funktionalität, sondern vor allem um Ästhetik: darum nämlich, in vollkommener männlicher Schönheit getötet zu werden und zu töten. Der Akt des Tötens wurde durch Ästhetisierung erotisiert. Diese Erotisierung des Todes, die fetischartige Züge annimmt, ist der Kern aller rechten, radikalen Mode. Damit sie rechtsradikale Mode wird, muss dabei der Einzelne nicht als Einzelner in den Tod gehen oder töten, sondern eben uniformiert, als Teil eines Kollektivkörpers, töten und getötet werden. Es ist eine ironiefreie, affirmativ dekadente Mode.

2013 erhielt der britische Komiker Russell Brand den von Hugo Boss mitgesponserten GQ »award for best-dressed man« of the year. Zwar hat Hugo Boss, ehemals Mitglied der NSDAP, nicht die legendäre schwarze SS-Uniform entworfen; die verdankt man dem Maler Karl Diebitsch. Während der Nazizeit hat Boss aber sein marodes Unternehmen durch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern saniert und ist mit dem Entwerfen und der Herstellung von Uniformen für Wehrmacht, Hitlerjugend und SS reich geworden. Die Ästhetik dieser Uniformen hat Russell Brand auf den Punkt gebracht: »The Nazis did have flaws, but, you know, they looked fucking fantastic while they were killing people on the basis of their religion or their sexuality.«

Die bürgerlich-zivile Art, Männlichkeit on parade, Glanz und Gloria der Militärkleidung herunterzudimmen, war feldgrauer Filz. Schon im Ersten Weltkrieg mussten Farben und Glänzen diesem stumpfen Feldgrau weichen, das von 1914 bis 1945 dem deutschen Heer der Feldgrauen seinen Namen gab. Ein strukturell verwandtes, aber modisch viel erfolgreicheres Design als das Feldgrau, das eher ein feldgraumäusiges Dasein führte, war der Trenchcoat, der nicht aus der Militär-, sondern der Funktionalkleidung stammte und bis heute wohl in jedem Kleiderschrank, egal ob Mann oder Frau, hängt. Das lag nicht nur daran, dass er das Kleid der Sieger war: Im Ersten Weltkrieg trugen ihn französische und englische Soldaten, und seinen Namen gaben ihm die Trenchs der Grabenkämpfe des Ersten Weltkrieges. Erfunden wurde der Stoff, aus dem er gemacht wird, schon viel früher, von Thomas Burberry um 1879 in London. Die wasserabweisende Gabardine, aus ganz eng gedrehtem Faden, erwies sich in vielen Lebenslagen als ideal. Burberry und Trench sind fast synonym geworden. Den Trench konnte man bei Wind und Wetter tragen und sich darin frei bewegen. Sein klassisches Kaki war im Schlamm der Schützengräben fast eine Tarnfarbe.

Zum Ende des Krieges wurde die Uniform der siegreichen Krieger von den Frauen angezogen: Bereits im Jahre 1918 zeigte Harper’s Bazaar Frauen im Trenchcoat. Besonders coole Männer wie Humphrey Bogart in Casablanca oder Detektive tragen ihn: lässig, aber doch gewappnet. Sicher gehört er aber ins Arsenal der geheimen Waffen der Frauen; sie tragen ihn dann auch von der Straße bis ins Bett in allen Lebenslagen. Von Marlene Dietrich über Sophia Loren, Ingrid Bergman, Audrey Hepburn, Katharine Hepburn, Sophia Loren, Brigitte Bardot (natürlich im Bett), Catherine Deneuve und Jacky Kennedy bis hin zu Kate Moss, Victoria Beckham und Kate Middleton (leider verrüscht) trugen und tragen alle Stilikonen Trench.

Auch die Camouflage, das Uniformdesign des nächsten Krieges, würde ich der »bürgerlichen« Art, Männlichkeit herunterzudimmen, zurechnen. Die Camouflage konnte einen ähnlich spektakulären Erfolg verbuchen wie der Trench. Man hätte vermuten können, dass der Höhepunkt dieser Mode überschritten war, als Claudia Schiffer vor mehr als zehn Jahren ein großes Chanel-Abendkleid im camouflage print zeigte. Weit gefehlt: Seit Jahren ist Camouflage allbeherrschendes Lieblingsmuster und vollends im Mainstream angekommen. Alles, und immer mehr, von zartester, bestickter Crepe-de-Chine-Unterwäsche von La Perla bis zu Cocktailkleid und Smoking kommt in Variationen von Camouflage. Kein Gallery Weekend, wo nicht mindestens einer der Besucher ein Jackett mit diesem Muster trägt. Anders als beabsichtigt und offensichtlich für dieses Environment nicht gedacht, sticht die Camouflage übrigens sofort und fast unangenehm ins Auge.[7]

Die unbürgerliche, unrepublikanische, nämlich postaristokratische, affirmativ dekadente Mode zeigte sich zuerst während des Weißen Terrors, der in Frankreich 1795 auf den roten Terreur der als terroristisch gebrandmarkten Jakobiner, der sans-culottes, folgte. Es war die erste radikale, rechte Mode. Mehr culotte als im sogenannten Weißen Terror war selten. Unter der Flagge der Mode, sagenhaft gestylt, machten die incroyables mit Mode Politik. Die incroyables, auch muscadins genannt, waren die flamboyante Avantgarde der ihnen auf dem Fuße folgenden weiteren, rechten, höchstmodischen Antimoden. Mit dem Fall Robespierres in Paris gewannen sie 1794 Prominenz. Balzac brandmarkte die Maßlosigkeit dieser Mode als »barock«; das galt ihm als der Inbegriff des schlechten Geschmacks, des krassen Danebenliegens.[8] Gegen die nüchternen, tugendhaften Bürger setzten die incroyables wie die Aristokraten auf Moschuswolken, denen sie auch ihren Namen muscadins, die Moschusduftenden, verdanken. Dieser schon sprichwörtlich aphrodisierende Duft – ob tatsächlich oder mythisch, mag dahingestellt bleiben – wird aus einer Drüse nahe den Geschlechtsorganen des Moschushirsches gewonnen; bereits im Altertum kam er über Persien in den Westen. Die eng sitzenden Jacken der muscadins, mit riesigen Rüschenkragen, stellten den aristokratischen juste au corps gegen die bürgerlich fließendere Jacke. Ganz in aristokratischer Tradition zeigten die sans-culottes viel eng bestrumpftes Bein, verziert mit Volantspitzen. Spektakulär trugen sie ihre wie im Ancien Régime gepuderten Haare lang an den Seiten und kurz im Nacken à la victime als Erinnerung an die Hingerichteten, denen zwecks leichteren Köpfens die Haare abgeschnitten wurden. Gegen den blutigen, roten Terror der tugendhaften Jakobiner in langen Hosen, gegen Gewalt und Unterdrückung der Patrioten setzten die incroyables im öffentlich in Paris vorgelebten, verschwenderischen Highlife ihren Weißen Terror. Die bals des victimes, an denen nur teilnehmen durfte, wer in seiner Familie jemanden durch die Guillotine verloren hatte und auf denen man als Erinnerung an die Opfer ein feines rotes Band, Markierung der Geköpften, um den Hals trug, fanden auf dem Père Lachaise statt. Den incroyables kam es darauf an, beim Getötetwerden und Töten spektakulär gut auszusehen und allen Wert der Welt aller nüchternen Tugend zum Trotz auf die Kleider zu legen. Sogar ihre bleibeschwerten Totschläger wirkten elegant. Noch aus dem Geköpftwerden machten sie einen Schmuck.

Krieg und Mut und Männlichkeit

Die neue, rechtsradikale Kleidung entsteht durch das restlose Ausmerzen alles Weiblichen aus dieser Mode der incroyables; das heißt zum Ersten die Erschaffung eines rein und ausschließlich männlichen schlagkräftigen Körpers, wie er alle faschistischen Bewegungen von den Braun- über die Schwarzhemden auszeichnet. Über Krieg und Mut kann man, das wusste schon Ernst Jünger, nur mit Männern reden. Gleichzeitig wurden die von dem Zivilkleid der Bürger als »weibisch« gebrandmarkten, aristokratischen Momente der incroyables nicht aufgegeben, sondern auf Linie gebracht, nicht sublimiert, sondern abstrahiert: scharf geschnitten. Schon bei den Edwardian Dandys vor dem Ersten Weltkrieg lag der Schneid in rasiermesserscharfem Schnitt, der allem Funktionalen gegenüber indifferent war. Der supermaskuline Look der Militäruniformen, die wie angegossen sitzen, verdankt sich eben diesem Scharf-geschnitten-Sein. Die latente, manchmal sadomasochistische Homoerotik der Uniform ist eine letzte Bastion gegen den zivilen Bürger. Das Faszinierende dieser Form der Militärzitate liegt darin, dass Männer hier im Schatten der verblichenen Aristokratie dürfen, was seit dem bürgerlichen Zeitalter als weibisch gilt. Kein Wunder, dass diese Männer den pantalon beiseitegelegt haben und im Zeichen der culotte wiederkommen; an die Stelle der glänzenden, straff sitzenden Seidenstrümpfe treten blank gewichste Stiefel. Im Zeichen des Superweiblichen, ja Weibischen, fetischisierten sie einen Totenkult. Ludwig II. war ihr aristokratischer Vorläufer. Ihnen war nichts wichtiger, als in weißen Handschuhen formvollendet zu sterben. Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt dem tadellosen Schnitt der eng sitzenden, taillierten Uniform, den glänzenden Messingbeschlägen und diszipliniert polierten Lederstiefeln. Unbeschreiblich Weibliches und Hypermännliches fließen zusammen, Eros erscheint dekadent vom Tod umflort. Göring, ein später Nachfahre dieser Edwardian Dandys, hatte nicht nur lackierte Fingernägel; auch seine Fußnägel waren lackiert. Den homoerotischen Sex-Appeal des »kleinen Schwarzen« der Herrenmenschen – die von Boss geschneiderten SS-Uniformen – konstatierte schon Ernst Kantorowicz.[9] Deren Paradieren erinnerte ihn an Chorus Girls. Viscontis Film Die Verdammten bringt diesen hypermännlichen und deshalb weibischen Sex-Appeal der Uniform auf den Punkt. Der ganze »Kerl in Uniform«, gut ausgerüstete, aufgerüstete totale Männlichkeit à la Tom’s Men ist ein später Nachklang.

Rechtsradikale Mode bestimmt sich durch diesen Gestus einer totalen, und total aufgerüsteten, ganzen Männlichkeit. Aus einem zivilen Menschen, wie der Anzug ihn bekleidet, macht sie einen ganzen Mann, der auch homosozial nur ganze Männer um sich ertragen kann. Männlichkeit bestimmt sich durch den Willen zum Töten. Der phobische Ausschluss alles Weiblichen, das knallharte Paradieren von Männlichkeit, das Beharren auf dem Zuviel streicht diese übermarkierte Männlichkeit aus: Sie ist und hat, ist Fetisch und hat den Phallus. Kurz, rechtsradikale Mode ist ein Symptom, unheimliche Blüte unerträglicher Kastrationsangst.

 

Barbara Vinken, geb. 1960, ist Professorin für Allgemeine und Französische Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuletzt erschien Die Blumen der Mode: Klassische und neue Texte zur Philosophie der Mode.

Der Text erschien in Kursbuch 186 »Rechtsausgrabungen«. Dieses und weitere Kursbücher finden Sie in unserem Webshop.

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Anmerkungen

[1]         Michel Houellebecq, Unterwerfung. Köln 2015, S. 51.

[2]         Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. In: Werke in drei Bänden. München 1966, Bd. I, S. 735–1009, hier S. 963.

[3]         Ebd., S. 961–962.

[4]         Vgl. für diesen Aspekt des Mehr oder Zuviel für das aus der antiken, barbarisch konnotierten Krieger- oder Gladiatorenmode herrührende Supermännliche – eine jetzt männliche Maskerade, die allen Wert der Welt auf die Kleider legt – Friedrich Weltzien: »Masque-ulinities: Changing Dress as a Display of Masculinity in the Superhero Genre«. In: Fashion Theory 9 (2) 2005, S. 229–250.

[5]         Vgl. Dorinda Outram: The Body and the French Revolution. Sex, Class and Political Culture. New Haven 1989, S. 156.

[6]         Mit Barthes gesprochen ist das Signifikat der Männermode eben nicht Schein, sondern Sein. Vgl. Roland Barthes: Système de la mode. Paris 1967, S. 44.

[7]         Thomas Oláh: »Kunst und Krieg, Mode und Armee. Camouflage!« In: Lieselotte Kugler; Gregor Isenbort (Hrsg.): Fashion Talks. Berlin 2011, S. 187–200.

[8]         Honoré de Balzac: »Les Chouans«. In: La comédie humaine (hrsg. von Pierre-Georges Castex), Bd. VIII: Études de moeurs, Scènes de la vie militaire (hrsg. von Lucienne Frappier-Mazur). Paris 1977, S. 966.

[9]         Philip Hoare: »I Love a Man in a Uniform: The Dandy Esprit de Corps«. In: Fashion Theory 9 (3), 2005, S. 263–282.