LongRead: Claudia Pichler: Der Polt

Was Satire so überhaupts kann

Ab Januar 2018 soll der sogenannte »Majestätsbeleidigungsparagraf« in Deutschland endgültig außer Kraft gesetzt sein. Die Große Koalition will Paragraf 103 StGB, der die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten unter Strafe stellt, abschaffen. Hintergrund ist das Strafverfahren, das Recep Tayyip Erdoğan gegen den Satiriker und ZDF-Moderator Jan Böhmermann 2016 angestrengt hat. Dieser hatte bekanntlich den türkischen Präsidenten in seiner Sendung »Neo Magazin Royale« mit einem »Schmähgedicht« verunglimpft. Böhmermann nutzte dazu einen gängigen Kunstgriff der Satire – den des uneigentlichen Sprechens. Seinen provokant-geschmacklosen Spottversen schickte er den Hinweis voraus, dass ein Gedicht dieser Art rechtlich in unserem Land nicht zulässig sei. Das schützte ihn zwar letztlich nicht vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft gegen ihn, das aber ist wegen nicht nachweisbarer strafbarer Handlungen wieder eingestellt worden. Die Fälle sind rar gesät, in denen es Satire gelungen ist, ein mediales und politisches Echo dieser Dimension zu provozieren. Böhmermann beschwor den »Erdogate«; der im Jargon als »Schah-Paragraf« bezeichnete Gesetzesabschnitt wird nun wohl als »Böhmermann-Paragraf« in die Geschichte eingehen. Wer die Wirkmächtigkeit von Satire in einer liberalen Gesellschaft bezweifelte, wurde durch diesen Fall eines Besseren belehrt. Auch in einer pluralistischen Demokratie kann Satire noch zum Staatsakt werden.

Rund 30 Jahre vor Jan Böhmermann löste Gerhard Polt durch seine Auftritte immer wieder kontroverse Diskussionen und breite mediale Resonanz aus – auch wenn es bei ihm nie bis zu einem Strafverfahren gekommen ist. 1981 zum Beispiel nutzte der Satiriker die ZDF-Liveübertragung der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises dafür, sich für eine vorangegangene Zensur durch Redakteure des Zweiten Deutschen Fernsehens zu revanchieren. Aus seinem Manuskript für die Sendung »Einwürfe aus der Kulisse« wurden einige Passagen über einen vom damaligen Innenminister Zimmermann geleisteten Meineid kurzerhand gestrichen. Für diesen Eingriff rächte Polt sich bei seinem Auftritt als Preisträger im Mainzer Theater Unterhaus auf ganz eigene Art – und sagte einfach »nix«. Er ließ seine zehnminütige Redezeit weitgehend wortlos verstreichen. »I sag nix. Ehrlich, i sag nix. Naa, also nicht gar nichts, sondern nix, und zwar konsequent.«

Diese Aktion veranlasste das ZDF immerhin, in den Folgejahren von einer Liveübertragung der Preisverleihung abzusehen. Im Jahr darauf holte Polt bei einem Auftritt in einer »Scheibenwischer«-Sendung zusammen mit Dieter Hildebrandt und Gisela Schneeberger gegen den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals aus. Sämtliche Printmedien hatten sich im Vorfeld bereits mit den horrenden Kosten und mit den durch das prestigeträchtige Bauvorhaben drohenden Umweltschäden kritisch auseinandergesetzt. Und dennoch schlug diese satirisch-bissige Glosse spektakuläre Wellen der Entrüstung und brachte dem Autorenteam neben dem Grimme-Preis in Silber heftigste Reaktionen und Vorwürfe aus dem Kabinett Strauß ein, das in dem Auftritt einen Akt der »verleumderischen und bösartigen Ehrabschneidung« zu erkennen meinte. Verhindern konnten die Satiriker den »Alfons-Goppel-Prestige-Tümpel« allerdings damit nicht.

Polts provokante mediale Aufreger liegen weit zurück, heute sind derartige Skandale die Ausnahme – siehe Jan Böhmermann, ein Fall, der daran erinnert hat, was durch Satire möglich ist. Der Erfolg jedoch, den Gerhard Polt mit seiner Kunst hat, ist bis heute ungebrochen. Nach wie vor füllt der mittlerweile zur Kultfigur avancierte Bayer Säle, Theater und Bierzelte zwischen Göteborg und Zürich, zwischen Brüssel und Wien. Was aber macht seine Beliebtheit heute aus? Verwaltet er nur mehr den Erfolg seiner Ideen von einst oder erzielt seine satirische Kunst auch ohne Paukenschlag ihre Wirkung?

Polt hat in seinen mehr als 40 Jahren Bühnentätigkeit eine originäre Kunstform geschaffen, er bietet Unterhaltung, aber auch die satirische Königsdisziplin der Selbstreflexion gleichermaßen an. Bayerische Raprebellen wie BBou und Liquid lassen sich von ihm ebenso inspirieren, wie sich das bildungsbürgerliche Publikum in den ehrwürdigen Münchner Kammerspielen von ihm unterhalten lässt. Burschenvereine und freiwillige Feuerwehren auf dem Land wollen ihn genauso engagieren wie traditionsreiche Kabarettinstitutionen wie die Leipziger Pfeffermühle. Auch SPD-Wahlkämpfer fragen an, sogar für CSU-Events scheint er begehrt – solche Anfragen sagt er aber in der Regel ab.

Kann man sagen, dass Sie bayerische Themen behandeln?

Polt: Naa, des woaß i ned. Mir geht es nicht um ein bayerisches Thema an sich, sondern mir geht es darum, dass ich ja nicht als Norddeutscher schreiben kann oder als Österreicher oder als Schweizer, weil ich das nicht bin. Sondern ich kann ja nur als der beschreiben, der ich bin, mit den Möglichkeiten.

Was machen diese Möglichkeiten aus?

Polt: Na ja, ich kenne eben das hiesige soziale Gefüge am besten, die Sprachdiktion, das Empfinden und dieses Selbstwertgefühl. Und wenn ich etwas besser kenne, dann kann ich auch die Nuancen besser herausarbeiten, die Zwischentöne. Die kann man am besten erfassen, wenn man sozusagen wie der Fisch im Wasser wo daheim ist.

Wie viel denken Sie darüber nach, warum das funktioniert, was Sie machen? Oder machen Sie das nur aus dem Gefühl heraus?

Polt: Du kannst ja die Reaktion nicht unbedingt planen. Das ist auch das Schöne dabei, du erzählst etwas, was dich selber interessiert, und gehst davon aus, dass das andere Leute auch interessiert. Wenn es sich jetzt um einen satirischen Abend handelt, musst du dem Anspruch gerecht werden, eine gewisse Komik zu erzeugen, du schilderst dann eben komische Situationen, die bizarr sind, manchmal grotesk, natürlich manchmal sogar grausig. Aber sie haben eben einen Unterhaltungswert, sonst brauchst du sie gar nicht erzählen. Komik bietet die große Möglichkeit, Menschen auf ein Thema zu bringen. Du kannst sie mit Komik an etwas heranführen, sie anspitzen.

Besteht dabei auch die Hoffnung, dass Satire nachhaltig etwas bewirken kann?

Polt: Ach, die berühmte Frage nach der Wirkung. Was soll ich denn bewirken? Es ist ja schon viel bewirkt, wenn Menschen da zwei Stunden reingehen und sich amüsieren. Und ob das, was sie sich da an Eindruck mit heimnehmen, ob das ihr ganzes Leben lang bestimmend ist oder bloß bis zum nächsten Glas Bier, darauf hin hab ich keinen Einfluss.

In Polts Werk, das in seiner Formvielfalt Theater, Film, Hörspiel, Lausbubengeschichten und Kleinkunstabend bedient, lassen sich Elemente aus der Theatertradition von Ödön von Horváth oder Bertolt Brecht ebenso finden wie Anknüpfungspunkte an die Tradition eines Sprachskeptikers und -komikers wie Karl Valentin oder an bayerische Erzähler wie Oskar Maria Graf und Ludwig Thoma. Diese Linien und Versatzstücke vereint Polt zu einer Kunst ganz eigener Prägung. Er braucht kaum Requisite, wirkt allein durch Statur und Idiom, seine Bühnenpräsenz ist das eindeutig stärkste Mittel seiner Performanz. Verbindend und kennzeichnend ist seine subversive und doppelbödig-bissige Art der Satire, auf die der Zuschauer sich einlassen oder eben sich von ihr auch »nur« unterhalten lassen kann.

Auch Angebote für Auftritte zu Werbezwecken lehnte Gerhard Polt immer ab. Eine Ausnahme blieb hier sein Vortrag anlässlich der Vorstellung des Oktoberfest-Maßkruges 2010, wofür er seine bereits bekannte Rede mit dem Titel »Transparenz« aufbereitete. Dafür schlüpfte er in die Rolle eines passionierten Biergartenbesuchers, der vom Gebrauch eines Steinkrugs dringend abrät und entschieden für den Glaskrug plädiert. Denn nur der Glaskrug lasse vor dem Trinken einen eventuell im Bier befindlichen »Gschlader« vom Vorbenutzer des Kruges noch rechtzeitig erkennen und herausfischen. Er selbst habe erlebt, was einem mit einem Steinkrug passieren kann, und versetzt seine Zuhörer in Schauder des Grausligen: »Und dann ist mir dieser mir unbekannte Schleim Millimeter für Millimeter, verstehen Sie, wie eine Schnecke, langsam, zäh, meinen eigenen Hals hinuntergekrabbelt. Und das zieht sich natürlich, bis der unten ankommt. Ich stand der Sache machtlos vis-à-vis.« Er – der Autor der Szene – kostet es ganz offensichtlich aus, die diversen Varianten des »Lungenherings« seinem Publikum in schönster Anschaulichkeit auszumalen. Hier Ekel, da peinliches Berührtsein – seinen Zuhörern bleibt nichts erspart. So lässt seine ausufernde Schimpftirade aus der Szene »Longline« in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig: »Du Amsel, du blöde! Du blödes Grachal, sag i, du Matz, du verreckte, hoit dei Fotzn, du Schoaßwiesn, du mistige, du Schoaßblattern, du Brunzkachl, du ogsoachte, so was wie du ghert doch mit der Scheißbürstn nausghaut!«

Schimpfen die Bayern besonders schön?

Polt: Interessant ist doch, wie Schimpfwörter entstehen. Es gibt Leute, die nur stereotype Schimpfwörter benutzen wie »Arschloch« oder »Idiot«. Früher war es üblicher, dass man viele verschiedene Schimpfwörter benutzte, um sich die Freude des Schmähens zu steigern. Nicht nur Schimpfwörter kommen zum Einsatz, es werden unwürdige Situationen beschrieben, in die der andere geraten soll. Dass er in der Odlgruam dasaufa soi und so weiter.

Also das Beschreiben und Auskosten der Hölle für den anderen.

Polt: Das hat man früher viel stärker gemacht. Das kennen die Leute heute gar nicht mehr, da haben sie keine Zeit dafür. Früher haben sich die Leute viel mehr Zeit genommen, das habe ich noch in den Wirtshäusern erlebt. Wenn die Leute wirklich einen dick gehabt haben, den gefressen haben, dann haben sie sich belustigt und amüsiert darüber, was dem alles widerfahren müsste.

Sich alles genau ausgemalt.

Polt: Ja genau, ausmalen. Das sind Situationen, die vollkommen absurd sind. Aber wenn sie getaugt haben, um die Freude am Schmähen zu steigern, hat man sie produziert.

Im zitierten Sketch »Longline« geht es um einen selbst ernannten »Tennisfreak«, der zunächst bemüht ist, sich ganz weltmännisch-souverän zu geben: »Ich schau mir alles an, ob das Australian Open is oder New York Open, Filderstadt Open, BMW Open, nicht wahr, Bayern Open, mir kann’s nicht open genug sein.« Er versteigt sich schon mal bis ins Sakrale beim Versuch, die Bedeutung von Wimbledon klarzumachen: »Für den Tennisfreak is Wimbladon, was für den Katholiken Altötting is.« Seine so begeisterten wie letzten Endes doch unbeholfenen Ausführungen über die Welt des Tennis sind durchsetzt mit bayrisch prononcierten Anglizismen (»Wimbladon it’s a mast«), es spricht der Experte, der in eben dieser Welt zu Hause ist: »Leute, die sich Tennis in Wimbladon anschaun … das sind Connaisseure … das sind nobles! Aristocratic! – keine Krattler wie in Deutschland.« Der arme Kerl zeigt das verzweifelte »Hinschmecken-Wollen« an eine bessere gesellschaftliche Stellung, das ihm am Ende vollkommen entgleitet. Er hat sich im Verlauf der Szene derart selbst in Rage geredet, dass er seine Ambition für geziemte Sprechweise verliert und sich in erwähnter Schimpftirade Erleichterung verschaffen muss. Auch das Publikum verschafft sich Erleichterung – lacht mit, sogar wenn es sich womöglich selbst ertappt fühlt und deswegen nur umso heftiger lachen muss. So wie im Stück München leuchtet von 1983, in dem genau die Repräsentanten der Münchner Bussi-Bussi- und Baulöwen-Gesellschaft über die Persiflage ihrer selbst am lautesten lachten. Wiederkennung kann unterhaltsam sein, ob sie eine tiefer gehende Reflexion auslöst, bleibt eine andere Frage.

In dem Stück Ekzem Homo lässt sich ein Lokalpolitiker, in dem nicht zufällig der in die Sponsoring-Affäre verwickelte Miesbacher Landrat Kreidl anklingt, Champagner schlürfend über die Widrigkeiten seiner politischen Existenz aus. Kleingeistig, tief katholisch und reaktionär stellt er den Inbegriff eines CSU-Politikers dar. In einem Bundesland, das seit mehr als einem halben Jahrhundert von derselben Partei regiert wird, kann ein satirischer Angriff dieser Art durchaus von erleichternder Wirkung sein, er bietet eine Art Ventil, den Grant auf die Verhältnisse wenigstens einmal rauslachen zu können. Das Elend als solches bleibt. Als »CSU-Sammler« beispielsweise schwatzt Polt sich durch die skandalreiche Geschichte der CSU, streift dabei Strauß, Wiesheu, Stoiber und deren Amigos. Von Ausnahmen abgesehen aber wählt Polt selten die Strategie des Namedroppings, wie es für das politische Kabarett üblich ist. Ihm geht es um typisches Verhalten und verkorkste gesellschaftliche Strukturen, nicht um die Abarbeitung an einem Skandal.

Menschliche Schwächen und mit ihnen die Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz überhaupt auf die Bühne zu bringen – diese Fertigkeit beherrscht Polt in Perfektion. Seine Figuren sagen oft in voller Überzeugung das eine und tun gleichzeitig das andere. So wie der Tennisfreak »correctness im Verhalten« einfordert, um im nächsten Moment das Gegenteil – seine unflätige Beschimpfungskanonade – zu zeigen. Polt seziert die Alltagssprache regelrecht, lässt seine Figuren drauflosplappern und sich dabei um Kopf und Kragen reden. Dass sie sich selbst in ihrer ganzen Ambivalenz entlarven, merken sie nicht, wenigstens scheint es sie in keiner Weise zu stören. »Ich bin ein Pazifist. Ich bin gegen den Krieg. Aber wenn einer von diesen Ausländern da meine Enkelin auch nur anrührt, den schieß ich über den Haufen, so was hat der noch nicht erlebt.« Solche Kurzstatements treiben den offenen Widerspruch von Denken und Handeln auf eine den Zuschauer beinah quälende Spitze. Wie auch in seinen Anni-Sprüchen, mit denen er ein ganzes, von Ressentiments und reflexiver Anspruchslosigkeit geprägtes Universum von sinnfreier Schlaumeierei erschaffen hat.

»D’Anni hat gsagt, also, dass diese Frau Mittermeier, dass die a so nachtragend ist. Des, sagt sie, des vergisst sie ihr nie.«

»D’Anni hat, äh, auch gsagt, also die Anni sagt, ähm, Englisch, äh, ist doch heutzutage keine Fremdsprache mehr. Sie selber sagt’s, also, sie spricht’s zwar nicht, net, aber heutzutage spricht’s doch fast a jeder.«

»D’Anni hat gsagt, der Neger an und für sich is a gutmütiger Kerl, bloß reizen darf ma’ net, weil, sonst wird er unberechenbar.«

»D’Anni hat gsagt, sie sagt überhaupt nix mehr, weil sie weiß nicht, was sie dazu noch sagen soll.«

Die Ambivalenz der menschlichen Existenz ist es, die den Menschenfreund Polt interessiert. Seine Figuren sind deshalb so einnehmend, weil sie stets einen authentischen Kern haben. Er verleiht ihnen eine ganz persönliche Sprache, Mimik und Gestik, die einen hohen Wiedererkennungswert garantiert. Man meint, die von Polt so pointiert erfassten Typen genau so schon einmal erlebt zu haben.

Welche Rolle spielt Authentizität bei Satire?

Polt: Ich leg jetzt nicht immer Wert auf die reine Authentizität, aber eine gewisse Plausibilität muss etwas schon haben, und die kann man nur erreichen, wenn man sich nicht alles total aus den Fingern zuzelt. Wenn du etwas unterstellst, muss die Unterstellung zumindest plausibel sein.

Neben ihrem authentischen Kern weisen Polts Gestalten immer auch eine sympathische Seite auf – was nicht zuletzt an der Person Polt und ihrem Auftreten liegen mag. Seine Figuren wirken offenherzig bis naiv, eher gemütlich bis arglos – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich ihre innersten Abgründe schonungslos offenbaren. Polt stellt keine Monster aus, sondern höchst widersprüchliche Charaktere, die schlicht abzulehnen oder zu verurteilen gar nicht so leichtfällt. Er versteht es, sein Publikum mit in die Verantwortung zu nehmen für das, was seine Figuren auf der Bühne von sich geben. Der Auftakt auf der Bühne erfolgt immer unmittelbar, Polt führt das Publikum mitten in eine Szene hinein, ohne einen konkreten Rahmen, einen Anfang, geschweige einen Verlauf anzudeuten. Eine klare Abgrenzung zwischen der Person Polt und der Kunstfigur gibt es nicht. Missverständnisse sind damit vorprogrammiert.

Kommt es manchmal vor, dass Leute aus dem Publikum Ihre Satire nicht verstehen?

Polt: Ja bestimmt, davon geh ich aus. Satire, Ironie oder Humor – das ist ja zum Teil ein Kokettieren mit dem Missverständnis oder mit der Doppelbödigkeit. Du nimmst die Ambiguität eines Begriffs, einer aufgeladenen Stimmung auf und stellst damit die Willkürlichkeit des Gesagten noch mal infrage. Es wär ja zu blöd, wenn der, der mit dem Missverständnis kokettiert, meint, er muss jetzt auch noch verstanden werden. Das muss man nicht, keineswegs.

Also das beunruhigt Sie auch nicht? Das Missverständnis gehört einfach dazu?

Polt: Natürlich, klar, zwischen Menschen ist das eben so. Das Missverständnis ist der natürliche Begleiter des Menschen, solang er lebt. Die Falschinterpretation, die gehört dazu wie der Tod zum Leben. Wie das Brot in die Brotsuppen.

Polt geht auf die Bühne, fängt an zu sprechen: »Ich meine … klar! Du fragst dich schon, dass so etwas möglich ist. Dass es überhaupt solche Menschen gibt, aber die gibt’s!« Von dieser Art des Einstiegs aus ist alles möglich, das Resümee eines Gemeinderats über das Feuerwehrfest, der Bericht über eine missglückte Weltreise oder der Vortrag eines chauvinistischen Autonarrs über die Vorteile seines Neuwagens und die Unzulänglichkeiten seiner Frau. Das Perfide an Polts Figuren ist ihr langsames Vorantasten. Behutsam nähern sie sich ihrem eigentlichen Anliegen, vorbei an Allgemeinplätzen und unter Einsatz rückversichernder Phrasen (»Du sagst as a, gell?«) holen sie durch vertraut klingenden Dialekt und sympathisch machende Harmlosigkeit das Publikum ins sprichwörtliche Boot, um es dann umso brutaler wieder abzuschrecken. Erst sind es nur Halbsätze, welche die eigentliche Gesinnung schon ahnen lassen, schließlich stellt sich Gewissheit ein: Mit dieser Person auf der Bühne möchte man nichts gemein haben. Unter dem Deckmantel der Banalität kommen hier Ungeheuerlichkeiten zur Sprache, werden inakzeptabelste Haltungen deutlich. Da entpuppt sich zum Beispiel in der Revue Ekzem Homo, das banale Daherreden eines Opas über die Erziehung seines Enkels, den »Bubi«, zum lupenreinen Demokraten als im Kern rechtslastige Propaganda: »Wenn wir Deutsche damals den Ersten Weltkrieg nicht verloren hätten, dann hätte es den Zweiten nicht mehr gebraucht. Das sind Erkenntnisse, von denen zehre ich noch heute. Und ich versuch halt, dass der Bubi auch noch was davon hat.«

Polt: Ich glaube, in jedem Menschen ist ein Geheimnis. Etwas nicht zu Definierendes. Und das ist seine Freiheit, dass er irgendwo sich selbst und anderen gegenüber ein Geheimnis ist. Es ist immer noch was da, was man nicht mit Bestimmtheit sagen kann, sondern nur mit Wahrscheinlichkeit. Also es scheint, wahr zu sein. Und dieser Schein kann trügen.

Polt hat eine Kunstform geschaffen, die es ihm erlaubt, auch in einer diffuser und komplexer werdenden Welt die Widersprüche im menschlichen Verhalten und Denken freizulegen. Er hilft, (wieder) zu erkennen, ohne dabei ein erklärendes Wort verlieren zu müssen.

Durch die globalen Vernetzungen ist es heute relativ schwierig, politische Ereignisse konkret an Personen oder Parteien festzumachen. Macht das die Zeiten für einen Satiriker schwieriger als beispielsweise in der dualistischen Weltordnung der 1980er-Jahre?

Polt: Das müsst ich mir genau überlegen. Die Frage müsste man eher stellen: Was macht der Satiriker eigentlich? Ein Satiriker versucht von einer Perspektive aus, eine Realität zu betrachten und sie aus seinem bestimmten Blickwinkel, mit anderen Realitäten verglichen, einzuordnen. Natürlich ist Ironie dabei ein durchaus wichtiger Faktor. Aber auch eine gewisse Kenntnis. Ich vermute, dass sich die Situation insofern verändert hat: Sich ein Wissen von bestimmten Vorgängen anzueignen, ist zeitraubend. Man weiß nicht einfach was, sondern man muss sich ja manchmal um diese Informationen bemühen. Jetzt wenn du versuchst, eine bestimmte Wirklichkeit, die du gut kennst, weil du dich damit länger beschäftigt hast, in einer satirischen, humoristischen oder ironischen Form anzubieten, dann können sich am besten natürlich die freuen, die Mitwisser sind. Wenn sie es nicht sind, dann lachen sie vielleicht auch, aber die Tiefe der gezeigten Realität ist schwer nachvollziehbar, weil es einfach komplexe Themen sind. Die Geschichte des politischen Kabaretts im deutschsprachigen Raum hat begonnen, indem intellektuelle Menschen für intellektuelle Menschen Kabarett gemacht haben. Das Publikum war auch ein intellektuelles Publikum. In den 1970er-Jahren hat sich bei uns, speziell in Bayern dann eine andere Tradition entwickelt, die ihre Vorläufer in den Brettl-Künstlern hat, die keine Intellektuellen waren, die eigentlich kein Kabarett gemacht haben, aber die eben, die aber soziologische Phänomene, Menschen, ihr Verhalten und Verhaltensmuster beschrieben haben und auf die Bühne gebracht haben. Das war nicht als dieses intellektuellere Kabarett gedacht, was voraussetzt, dass du wirklich tagespolitisch sehr gut informiert bist, dass du das alles kennst.

In dieser Tradition stehen Sie ja bis heute. Aber was hat sich verändert?

Polt: Durch die Möglichkeiten, uns über verschiedenste Medien zu informieren, wissen wir heute wesentlich mehr. Wir können uns sofort über sämtliche Orte, über alles, was die Welt bestimmt, informieren. Diese schnellen und vielen Möglichkeiten der Information aber beeinflussen natürlich die Frage: Wie gehe ich damit um? Was kann ich mit all den Informationen anfangen? Wem kann ich damit was erzählen? Welches Thema hat eine gewisse Haltbarkeit? Auch noch eine Frage – jetzt geh ich fast ein bissl zu weit –, aber das hat mich sehr interessiert. Da gibt es den Theaterregisseur Peter Stein, den haben sie mal gefragt: »Was glauben denn Sie, wie geht das weiter mit dem Theater?« Und da hat der zur Antwort gegeben, und das hat mir sehr gut gefallen, er hat gesagt: »Wissen Sie, wenn Sie ein Theater schreiben, was brauchen Sie? Konzentration. Wenn Sie eines inszenieren, was müssen Sie haben? Konzentration. Die Schauspieler müssen sich konzentrieren, jeder muss konzentriert sein. Und die Zuschauer müssen sich auch konzentrieren. Und ob die Menschen in der Zukunft diese Konzentrationsfähigkeit noch haben, davon hängt ab, was wir für ein Theater haben werden.« Und so gilt das eventuell auch für Humor und für Satire. Wie konzentriert sind wir noch? Und auf was und wie? Und das wird zur Folge haben: Was kann man reflektieren und wie? Und das wird mitbestimmend sein.

 

Claudia Pichler, geb. 1985, ist freie Autorin, Herausgeberin und POLTologin. Zuletzt erschien Fremdheit bei Gerhard Polt.

Der Text erschien in Kursbuch 189 »Lauter Lügen«. Dieses und weitere Kursbücher finden Sie in unserem Webshop.