Yes, wir haben die Bundestagswahl 2025 geschafft. Wenn wir heute morgen auf die Reaktionen schauen, erkennen wir die übliche Bandbreite aus selbstgefälligem Überschäumen bis hin zur Angst vor dem Verschwinden von der Bildfläche. Bizarre Momente gestern Abend. Union und AfD im Aufblähmodus. Sozialdemokraten und Grüne verstecken ihren Machtverlust. Die Linke hüpft vergnügt im Dreieck. FDP, BSW und Freie Wähler ziehen mit den Lemmingen zu den Felsklippen. Putin schmettert beim vorläufigen Wahlergebnis russische Trinklieder. Trump gratuliert versehentlich BlackRock-CEO Larry Fink zur Kanzlerschaft in Tschörmänie.
Der Wahlabend ist vorbei. Was tun? Wie geht’s weiter? Ist der Untergang vorprogrammiert? Treiben wir in den Abgrund?
Ich kann die Montagsblock-Leser und -Leserinnen an diesem Montagmorgen beruhigen. Alles halb so schlimm, wenn man eine höhere Beobachterposition einnimmt. Zu diesem Zweck bin ich gestern Nacht noch mit der FLXX-Maschine in die Zukunft geflogen. Ins Jahr 2050. Dort habe ich die junge Soziologin Maja Remskool getroffen und bei der 27-Jährigen nachgefragt. Sie hat gerade den Bestseller Mistfuck* geschrieben. Hier mein Interview blogfrisch in Auszügen.
*Maja Remskool: Mistfuck. Die letzte Wahrheit über 2050. Sigma Verlag, München 2050. 220 Seiten
Montagsblock: 2050. Ein halbes Jahrhundert ist geschafft. Und wir haben trotz aller Unkenrufe überlebt. Putins perverses Kriegsgeschäft. Trumps aufgeblasene Allmachtsidiotie. Den Untergang der fossil betriebenen Autos. Die rechten Nationalzündler in Europa. Schweinezucht und Erdbeeren im Winter. Öl- und Erdgasheizung. Die Unzuverlässigkeit der Bahn. Alles hinter uns. Doch kein Ende in Sicht. Die Superachttrudelmaschine fliegt immer weiter, oder?
Remskool: Es hat sich in der Tat nicht so viel geändert. Auch heute werden neue Folgen grotesker und bizarrer Weltwahrnehmung geschrieben. Ich habe kürzlich über diese damalig hochparadoxen Männer in Ihrem Land gelesen, Merz, Scholz und Söder, nicht wahr? Heute ist das Narzisstenspiel decodiert. Denn das Widersprüchliche steckt in jedem von uns, das beginnt schon, wenn wir am Morgen in den Spiegel schauen. Am Hemd oder Pullover zupfen, über Gesichtsfalten streichen, lästige Haare aus der Stirn schieben. Der Spiegel zeigt, was wir sehen möchten. Wir sind erfolgreich, schön und glücklich, wir haben das Leben fest im Griff. Gleichzeitig aber meiden wir den Anblick dessen, was zu sehen uns ängstigt. Wir haben womöglich Angst vor dem Älterwerden und sind nicht mehr Herr oder Frau unseres Lebens. Im Spiegelbild treffen sich zwei Kräfte: die narzisstische Omnipotenz und die Realität. Das Gefühl, alles, inklusive sich selbst, im Griff zu haben, trifft auf das Gefühl nagender Selbstzweifel. Im Spiegelbild erkennen wir die Grenzen unseres Selbst. Dieser Prozess fängt bereits im Kindesalter an. Im Spiel lassen Kinder ihr Spiegelbild ständig verschwinden und wieder auftauchen. Sie tasten sich fortwährend an ihr Selbst heran. Die Gratwanderung zwischen Allmachtsfantasie und Realität dauert indes ein Leben lang. Verzerrte Spiegelbilder verzücken und erschrecken uns gleichermaßen. Von diesem Hypnosetrick haben viele Politiker in den 25er- bis 37er-Wahlen profitiert. Damals, wie niedlich, als es noch Social Media mit narzisstischer Influencerdramaturgie gab.
Montagsblock: Ist Ihre Sehnsucht für diese Verzückung bei Ihnen biografisch bedingt?
Remskool: Ich wurde 2023 in Münster geboren. Da fing die KI gerade an, die Faulheit und Geilheit der Menschen auszunutzen. Jugendliche ließen sich Hausaufgaben und Referate ausarbeiten. Erwachsene ließen sich erotische Geschichten, mit sich selbst als Hauptdarsteller, schreiben. Drachensex und New Romance. Heute lachen wir darüber. In den 2030er-Jahren, als dann realiter die große Wiederannäherung der Großmächte USA, Russland und China stattfand, lebte ich abseits der Weltpolitikpfade im Westfälischen. Meine Eltern waren Filialleiter eines REWE City in gutbürgerlicher Gegend. Nach dem Abitur kamen großformatige Zweifel. Bundeskanzler als Abziehbilder, Altindustrien im permanenten Hilferufmodus, Boomer-Ausländerhass im Schafspelz. Kettenkarussell der Postpostmoderne. Motto: Scheinoptimiertes strandet in grotesker Beliebigkeit. Da begann ich zu schreiben. Ein studentischer Blog, der das Bizarre im Visier hatte. Heute habe ich 400 000 Follower.
Montagsblock: Mistfuck ist das Protestbuch der Stunde im Jahr 2050. Relevanz Z, der bekannte Start-up-Contentdive in Stuttgart, hat über das Buch geschrieben: „Ein Lesevergnügen. Am Strand liegen, Mistfuck lesen, Nickerchen machen, aufwachen, leicht verwirrt Haltepunkt suchen. Unterm Kieselstein liegt das Groteske.“ Was fasziniert Sie daran?
Remskool: Bücher machen heißt: Nein sagen. Nur im Nein bleibt das Denken autonom. Denken heißt prüfen und die Autorität der Gewissheit infrage stellen. Nein sagen bedeutet, den Sinn selbst zu suchen. Ich gehöre zur Autorenspezies der Nichtwissenden, die sich gerne mit anderen Nichtwissenden trifft, um den gemeinsamen Austausch von Nichtwissen zu pflegen. Als Nichtwissende sind wir die neuen Lernbegierigen von morgen. Nur wer nichts weiß, kann noch etwas lernen und sich verändern. Meine Oma hat immer gesagt: „Das Huhn ist schlau, es stellt sich dumm. Beim Hahn, da ist es andersrum.“ Als Bizarrerie-Gestalterin quetsche ich groteske Wirklichkeiten in eine irrlichternde Momentaufnahme und bestaune die Lächerlichkeit des Lebens, um Nichtwissen auszutauschen und jede Mutlosigkeit ins Kissen zu drücken.
Montagsblock: Nichtwissen als Ursuppe menschlichen Fortschritts. Kernaussage der Evolution! Ewiges Licht, leuchte! Ich nehme das gerne mit ins Jahr 2025. Wissen Sie, in Deutschland wurde gestern gewählt. Viele Bürger und Bürgerinnen sitzen morgen paralysiert vor neuen Abgründen. Sie brauchen ein paar aufmunternde Worte.
Remskool: Keine Sorge. Sagen Sie das Ihren Leuten. Der Mistfuck wird nie verschwinden. Aber wir können im Nein alle ein glückliches Leben führen.
Peter Felixberger, Montagsblock /312
24. Februar 2025
Maja Remskool: Mistfuck. Die letzte Wahrheit über 2050. Sigma Verlag, München 2050. 220 Seiten.
Peter Felixberger: BEEP! BEEP! Read all about it. Bücher, die aus der Zukunft kommen. 208 Seiten. Murmann Publishers, Hamburg 2025 (erscheint am 13. März)