Montagsblock /302

In meinem letzten Montagsblock, dem Montagsblock /299, habe ich behauptet, ich sei ein naiver Optimist. Anlass war die Beobachtung, dass trotz einer Regierungskrise und trotz der Daueraufregung über die Art und Weise der Scheidung der drei Partner die Verfahren, Routinen und Instanzen des Staates greifen und alsbald ein neues Parlament gewählt werden kann. Ob es zu operativen Mehrheiten kommt und ob das Ergebnis eine handlungsfähige Koalition hervorbringen wird, lassen die Verfahren offen. Aber sie bieten ein fast selbständig funktionierendes Regelwerk an, dies wenigstens möglich zu machen. Das ist genug Grund für naiven Optimismus.

Es gibt aber auch Gründe für einen weniger naiven Pessimismus – und wenn nicht Pessimismus, dann zumindest für Warnzeichen. In Deutschland regen wir uns derzeit darüber auf, wer sich wie auf das Ampel-Aus vorbereitet hat. Ich muss gestehen, dass mich das nur wenig beeindruckt. Dass die drei Partner nicht besonders vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, konnte man schon länger beobachten.

Bedrohlicher als dieser Vorgang ist etwas anderes: Die Verfahren der Demokratie setzen etwas voraus, was sie selbst weder herstellen noch kontrollieren können: ein Wahlvolk, das mit einer gewissen Urteilskraft ausgestattet ist. Damit meine ich nicht bestimmte Parteipräferenzen oder gar jene Naivität, die man bei nicht Wenigen vorfindet: Demokratisch sei es nur, wenn das herauskommt, was ich selbst präferiere. Solches hätte man beobachten können, wenn in den USA nicht Trump, sondern Harris gewonnen hätte.

Noch bedrohlicher sind fast unsichtbare Manipulationen von Wahlen. Die Meldung aus Rumänien, die Präsidentenwahl müsse aufgrund von russischen Interventionen wiederholt werden, verweist darauf, dass eine der Grundvoraussetzungen demokratischer Verfahren in Gefahr gerät, wenn sich semantische Verschiebungen und Sagbarkeiten, Assoziationen und Informationen geradezu unsichtbar manipulieren lassen. Folgt man den Meldungen, war es eine russische Kampagne auf sozialen Netzwerken, die über Mustererkennung manipulative Posts dort streute, wo sie eine entsprechende Wirkung entfalten und sich innerhalb der Logik der sozialen Netzwerke weiter ausbreiten können.

Es wäre wiederum naiv, zu glauben, es habe nicht immer schon manipulative Informationspolitik in Wahlkämpfen gegeben – vielleicht kann man Wahlkämpfe ohnehin als eine Art manipulative Informationspolitik auffassen. Aber das geschah in jenen gedruckten und gesendeten Medien, die sicher durchschaubarer sind als das, was auf sozialen Netzwerken stattfindet. Hier finden die Dinge eher in einem Latenzbereich statt. Anders als in großen Informationskampagnen können hier eher dosiert und platziert Partikel gestreut werden, die sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und unter Nutzung der eskalationsgesteuerten Algorithmen ausbreiten. Es ähnelt ein bisschen jenen Werbekampagnen, die es in Kinos gegeben haben soll: In einen Film oder Vorfilm werden Bilder von im Kino erhältlichen Produkten so kurz eingeblendet, dass es unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle bleibt, aber doch wahrgenommen wird und dann einen Kaufwunsch erzeugt, wenn diese Erfahrung dann mit einem expliziten Angebot konfrontiert wird: und wenn es nur ein Eis, ein Getränk oder Pop-Corn ist, früher vielleicht auch eine Marlboro.

So ähnlich muss man sich die Strategie feindlicher Manipulation vorstellen – eine Veränderung oder Verstärkung von Präferenzen durch wiederholte Bestätigung unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle als Debattenbeitrag.

Dass der Staat nicht jene Voraussetzungen garantieren kann, von denen er abhängig ist, ist eine inzwischen zu Tode zitierte Sentenz. Sie bekommt aber im Zeitalter der sozialen Netzwerke eine neue Konnotation. Stellt man sich das Wahlvolk als ein Kollektiv von gut informierten, wenigstens Informationen verarbeitenden politischen Bürgern vor, hat man ohnehin schon bloß mit einer denknotwendigen Unterstellung zu tun, um Wahlverfahren rechtfertigen zu können. Mit Medienumstellungen wurde diese Unterstellung schon öfter unterlaufen. Wie hat man nicht die Umstellung auf Radio und vor allem Fernsehen als Quelle von Manipulationsmöglichkeiten gesehen, die vor allem eine Personalisierung und Ästhetisierung des Politischen hervorgebracht hat. Man könnte von einer Erweiterung des Nicht-Diskursiven sprechen.

Diese Erweiterung erfährt mit den Manipulationsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken eine weitere Steigerung. Die Manipulation wird noch unsichtbarer, noch weniger diskursiv und noch weniger angreifbar. Das Beispiel in Rumänien zeigt, wie vulnerabel schon die denknotwendigen Bedingungen fürs Demokratische sind, von seiner unmittelbaren Praxis ganz zu schweigen.

Am 23. Februar 2025 wird – wenn alles seinen geplanten Gang geht – ein neuer Bundestag gewählt. Man sollte sich nicht nur darum sorgen, ob handlungsfähige und kompetente Mehrheiten dabei herauskommen, sondern auch darum, wie das geschieht. Wie voraussetzungsreich und prinzipiell vulnerabel die Demokratie ist, wird übrigens in dem Gespräch sehr deutlich, das wir für das Kursbuch 220 mit Andreas Voßkuhle geführt haben. Das Kursbuch 220, unser 50., ist dieser Tage erschienen.

Armin Nassehi, Montagsblock /302

09. Dezember 2024