Wie entstehen eigentlich Kursbücher? Peter Felixberger und ich sind im Gespräch mit unserem Verleger Sven Murmann vor nunmehr zweimal 19 Wochen (das ist der 19. der zweiwöchig erscheinenden Montagsblocks) gemeinsam auf die Idee gekommen, man müsste etwas aus der Werkstatt des Kursbuchs erzählen. Das haben wir bisweilen auch gemacht, aber auch über anderes berichtet. Gerade ist wieder ein Kursbuch in den Druck gegangen, die Nr. 188 mit dem Titel Kalter Frieden. Die Erfahrung, die wir immer wieder machen, ist, dass wir bis kurz vor der Drucklegung mit großen Ungewissheiten zu kämpfen haben. Kommen die Manuskripte, halten sie, was sie versprechen, machen Überarbeitungswünsche die Texte wirklich besser? Ist unsere Komposition gelungen? Haben wir Autorinnen und Autoren ausgewählt und angefragt, die wirklich unsere Idee umsetzen können, sich auf unsere Fragen einzulassen? Gelingt es uns, genügend Variationsbreite zu konzipieren, aber auch genügend Ähnlichkeit, damit die Texte in eine innere Spannung miteinander geraten können? Was ist die angemessene, um es im kybernetischen Jargon zu sagen, requisite variety, die die Hefte davor bewahrt, einfach nur Unterschiedliches zu versammeln, das nicht miteinander in Kontakt gerät?
Es ist keine Koketterie – der Zweifel und die Spannung begleitet uns stets und stets bis zuletzt. Und doch geht es dann in den letzten Tagen, manchmal in den letzten Stunden vor Redaktionsschluss doch auf. Ich will das nicht im Sinne einer allzu positiven Selbstrezension preisen, sondern nur beschreiben, wie merkwürdig doch diese Erfahrung ist, dass die Dinge dann meistens doch zueinander passen und die Spannung groß genug, aber auch gering genug ist, damit die Hefte komponiert und nicht einfach gefüllt wirken. Wir können es nicht ganz kontrollieren, aber es kontrolliert sich dann irgendwie selbst.
Die gerade in den Druck gegangene Ausgabe Kalter Frieden hat es wieder gezeigt. Es ist nicht so, dass wir den Autorinnen und Autoren ihre Ergebnisse in die Feder diktiert hätten – und selbst wenn der geneigte Leser und die geneigte Leserin nun anmahnen, wir hätten unsere Autoren doch selbst ausgewählt und damit ziemlich direktiv gesteuert, muss ich sagen: dass es dann am Ende irgendwie aufgeht, ist eher das Ergebnis sehr verteilter, unvermittelter Intelligenzen als die direktive Zentralperspektive der Herausgeber und der Redaktion.
Ich schreibe mein Editorial stets in der letzten Minute, in der Minute, in der die Dinge wirklich zusammengeführt werden und – aufgrund des Zeitdrucks – tatsächlich auch das erste Mal als Gesamtgestalt erscheinen. Und wir sind dann selbst überrascht, wie sehr es Texte eines Kursbuches werden. In diesem Fall: Wie ein basso continuo zieht sich durch alle Beiträge die Einsicht, dass ein kalter einem allzu heißen Frieden allemal vorzuziehen sei, dass starke Bande und Gemeinschaftsforderungen zivilisatorisch eher riskant sind, dass Distanz womöglich eine angemessene Form von Nähe ist, dass, um es in Temperamenten auszudrücken, der kalte Frieden der ist, der Hitzigkeit am ehesten vermeiden kann. Alle Beiträge kreisen um eine merkwürdige Erfahrung des Verzichts als Gewinn – des Verzichts auf die starken Ansprüche auf Gemeinschaft und damit der eher lose gekoppelten Form des Gemeinsamen, die so etwas wie freie Entfaltung, Toleranz und Möglichkeiten der Abweichung wahrscheinlicher macht. Und: Es geht nicht um Petitessen. Es geht um Krieg und Frieden, um Gewalt, um Terrorismus und Amokläufe.
Kursbücher lassen sich ebenso wenig erzwingen wie anderes, das davon lebt, verteilte Intelligenzen in eine Form zu bringen – und das gilt inzwischen für fast alles, für Organisationen und Familien, für politische Konzepte und unternehmerische Strategien, auch für ganze Gesellschaften. Jedenfalls erleben wir bisweilen das Geschäft des Kursbuchmachens als ganz analoge Tätigkeit dazu: trotz Kontrolldefizit und unbekannt bleibenden Zukünften Konzepte umzusetzen und sich von der Eigendynamik der Lösungen überraschen zu lassen, dabei regulierend einzugreifen und damit neue Dynamiken zu entfalten. Vielleicht sollten Herausgeber heute eher Moderatoren heißen. Aber das würde womöglich zu weit führen.
Armin Nassehi
MONTAGSBLOCK /19, 07. November 2016
Das aktuelle Kursbuch 187 “Welt verändern” ist am 02. September 2016 erschienen. “Kalter Frieden”, das Kursbuch 188, erscheint am 02. Dezember 2016. Die ersten drei Bücher der “kursbuch.edition” sind erschienen und im Shop erhältlich.