MONTAGSBLOCK /18

Buchmesse 2016. Wir sind natürlich auch nach Frankfurt gefahren, haben unter anderem das Kursbuch und unsere neue Edition aus- und vorgestellt. Rund um unseren Stand tobte der Bär. Von gegenüber starrten uns FC-Bayern-Kalender an, von rechts streiften uns esoterische Achtsamkeitswellen und etwas weiter links am FAZ-Stand blaffte ein Wirtschaftsjournalist, dass Deutschland die digitale Transformation verschlafe. Wir waren umzingelt. Überall gurgelte der Mainstream seinen Aufmerksamkeitssirup und spuckte ihn auf die Gänge vor die Füße der Besucher. Da schnell ein Satz von Friedenspreisträgerin Carolin Emcke über Kriegsbilder, dort ein Satz des türkischen Exiljournalisten Can Dündar über Erdogan, währenddessen Bodyguards die Gänge versperrten. Rückzug in die Kursbuch-Messeecke. Im Rücken thronte das zwei Meter hohe Kursbuchcover als Schutzschild vor überflüssigen Brodeleien. Die schwarzen Cover der Edition standen trotzig und selbstbewusst auf blechernen Regalen.

Ich nahm Ernst Mohrs Punkökonomie raus und begann, um etwas zu entspannen, zu blättern. Seine Thesen passten plötzlich ganz wunderbar zum agilen Buchmesse-Treiben. „Der Rand produziert Stil, der Mainstream konsumiert ihn.“ Verlage betreiben genau dieses Randgeschäft mit auffälliger Sehnsucht nach Mainstream. Denn es geht immer nur um das Eine: am Rand als Geheimtipp entdeckt zu werden. Mohr würde sagen, man müsse zunächst einen Sonderstatus als Abgrenzungsgestus reklamieren. Ab dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: ab in den Mainstream oder sich an den Rand klammern. Welches Schweinderl hättens denn gerne?

Zunächst der Rand. Dort gilt es, eine eigene Welt herauszubilden und sich abzugrenzen. Beispiel glühender Surfer: „Das Hauptaugenmerk liegt immer darauf, möglichst viel Zeit mit Surfen zu verbringen … Wenn man die meisten echten Surfer vor die Wahl stellt, entweder nach New York zu ziehen, um dort in einer Werbeagentur jede Menge Geld zu verdienen, oder am Strand zu leben und sich so eben durchzuschlagen, dann wäre die Antwort: der Strand.“ Das wirkliche Leben findet jenseits des Kommerzes statt, erst außerhalb könne man sich richtig entfalten. Das Leben entwerfen, Strand, Welle, Board.

Dann kommt der Mainstream. Von ihm droht permanent Ungemach. Beispiel verzweifelter Surfer: „Aus einer heiligen Handlung wurde eine populäre Kultur. Der Strand – die gesetzlose Szene – wurde mit einem Mal so populär, dass das wertvolle Erbe, das wir angetreten hatten, die mühsam aufrechterhaltene Kultur, in dem gewaltigen Ansturm auf den Strand unterzugehen drohte. Die Seele des Surfens war ernsthaft in Gefahr.“ Massenkommunikation und Popularisierung übernehmen das Zepter. Surfer verlieren das Flair des Besonderen. Das Leben unterordnen, Billabong, Atlantik und Red Bull.

Die Entscheidung, am Rand seine Bedeutungslosigkeit zu feiern oder im Mainstream dem Aufmerksamkeitsrausch zu verfallen, ist unser täglich Brot. Mal trocken, wenn unsere Bücher Geheimtipps bleiben und ökonomisch versauern. Mal frisch und herzhaft, wenn unsere Bücher (wie dieses Mal) Preise bekommen und wir im Mainstream damit angeben können. Die Buchmesse hat uns diese Paradoxie wieder vortrefflich nahegebracht. Bedeutung, ohne bedeutend zu sein? Ein Besucher blieb mir in Erinnerung. Er setzte sich nieder und las das neue Buch von Bruckmaier/Petzi nahezu ganz durch. Getränkeangebote schlug er kopfschüttelnd aus. Dann schaute er mich an, ich stellte natürlich die Geschmacksfrage, er lächelte nur, stellte das Buch zurück und verschwand im Besucherstrom der Messe. Ich hätte es ihm schenken sollen.

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /18, 24. Oktober 2016