Montagsblock /161

Der Colt im Gürtel

Ein kleiner Ausschnitt aus der FLXX-Kolumne im neuen Kursbuch 209

 Von Peter Felixberger

Wir reisen heute mit der FLXX-Maschine auf den Planeten »Politische Macht«. Willkommen in einer der wildesten Diskurstopografien des Weltalls. Es war ein lang gehegter Traum von mir, einmal hierher zu fliegen. Wohlwissend, dass auf diesem Planeten wirkliche Ausnahmeerscheinungen der politischen Theorie leben. In atemberaubender Vielfalt und Zwietracht. Sie wohnen auf hohen Gipfeln, die man kräftezehrend
erklimmen muss. Oder im Urwalddickicht, in dem man durch braune Brühe watet, links und rechts lauern giftige Schlangen. Oder man betritt grüne Auen, in denen bunte Schmetterlinge und fröhliche Menschen umhertanzen. Jede politische Machtperspektive hat auf diesem Planeten ihre hegemoniale Einzäunung. Man beäugt sich. Gelegentliche Besuche sind aber durchaus willkommen. Eine kleine Regierung wacht über das fragile Zusammendenken.

Wir sind wieder mit der FLXX-Maschine unterwegs. Dieses Mal in den unendlichen Weiten des Weltraums. Auf der Suche nach »PM001«. Die Abkürzung steht für den Planeten »Politische Macht«. Der Anflug ist nicht ungefährlich. In der Atmosphäre herrschen unglaubliche Temperaturen. Beim Eintritt gerät die FLXX-Maschine ins Trudeln. Der Steuerknüppel wird heiß. Fingernägel glühen. Ich lasse das Steuer los, setze mich fremden Gewalten aus. Hände vors Gesicht. Autopilot. Starke Turbulenzen. Harte Landung. Die FLXX- Maschine setzt auf und kommt erst nach Minuten zum Stehen.

Ich öffne die Luke und steige aus. Es stinkt nach verbranntem Reifengummi. Qualm steigt auf. Ein älterer Herr kommt mir entgegen und heißt mich willkommen. »Gestatten, Luhmann. Niklas Luhmann. Innenminister des Planeten Politische Macht.« Mir sitzt die Angst noch im Nacken. »Ist das hier PM001?«, frage ich schüchtern. Der Luhmann nickt und lädt mich in sein Diskurs-Wigwam ein. Es gibt aromatisierten
Früchtetee und hartes Systemgebäck. Wir kommen sofort auf das Wesentliche. Wie begründet Politik eigentlich ihre Macht? »Politische Macht«, so der Luhmann, »basiert auf der Möglichkeit belohnender oder bestrafender Sanktionen. Oder besser gesagt: auf der Androhung. Man müsse die Sanktionen gar nicht ausführen.« »Ach ja«, antworte ich, »es genügt, wenn der Colt aus dem Gürtel schaut?« »In der Tat«, antwortet der PM001-Innenminister, »Macht muss ihre Mittel zeigen, aber zugleich vermeiden, dass sie sie anzuwenden hat.«

Die Kekse schmecken trotz ihres Härtegrades. Der Tee ist fast zu heiß. Ich überlege. Politische Macht lebt, wenn man diesem Luhmann Glauben schenken mag, offenbar mit dem Kommunikationsparadoxon, ihr Drohpotenzial sichtbar zu machen, ohne damit zu drohen. Aber es folgt noch einem zweiten Paradoxon: Der Machthaber formuliert eine unangenehme Handlungsalternative (wie physische Gewalt), welche die
Untertanen zwar kennen, aber beide tun alles, um sie zu vermeiden. »Macht funktioniert nur«, sagt der Luhmann lächelnd, »wenn beide Seiten diese Vermeidungsalternative kennen und beide sie vermeiden wollen. Es funktioniert also nur auf der Basis einer Fiktion, einer nicht realisierten zweiten Realität.« Ich frage nach. Ist das scheinbar Ausgeschlossene immer anwesend und hinterlässt eine Spur? Legitimiert sich politische Macht infolgedessen nur, wenn sie intersubjektiv nachvollziehbar eine Begründungslogik des Abwesenden zustande bringt? »Legitimation ist nichts anderes als die Transformation des Abwesenden in die Anwesenheit von Werten und in das tagespolitische Dauergeschäft des Umgangs mit Klagen über die unzureichende Realisierung der Werte.«

Jetzt kommt der Luhmann systemtheoretisch richtig in Fahrt. Für die Mächtigen ziehe dies erhebliche symbolische Anstrengungen nach sich. Polizei und Militär beispielsweise funktionieren als Machtträger
am besten, wenn sie nicht gezwungen sind, aktiv zu werden. Denn damit werde der Anschein allmächtiger Durchsetzungskapazität am effektivsten gewahrt. Der politische Gegner traue sich im besten Fall nicht,
eine Gegenmacht aufzubauen. Der Luhmann sagt: »Unter all diesen Gesichtspunkten ist überlegene physische Gewalt das Machtmittel par excellence.«

Ich stutze. Wir quatschen noch ein wenig, dann mache ich mich auf den Weg. Ich will mehr über die Gegenmacht in Erfahrung bringen. Denn wie kann der Aufbau einer Gegenmacht überhaupt plausibel begründet werden? Auf einem Berg in der Nähe des Luhmanns wohnt der Benjamin. Der Walter Benjamin. Oppositionsführer auf PM001. Über einen schmalen Grat gelange ich zu einer knorrigen Berghütte inmitten bizarrer Felslandschaft. Ein Mann mit kräftigen Händen winkt aus der Ferne. »Gestatten, FLXX. Ich bin auf der planetaren Durchreise. Dürfte ich mit Ihnen ein wenig über die Legitimation der politischen
Gegenmacht sprechen? Ihr Innenminister hat da ja eine ganz spezielle Sicht darauf.«

Lesen Sie weiter in der FLXX-Kolumne im aktuellen Kursbuch 209 (gerade erschienen). Wir treffen einige der wichtigsten Ideenbegründer politischer Macht, bevor unser Held wieder in seine Maschine steigt, um zur Erde zurückzufliegen. Dort versteht inzwischen keiner die Welt mehr so richtig.