Montagsblock /122

Liebe Leserinnen und Leser,

ich darf Sie heute einladen zu einem Menü der Extraklasse. Das große Demokratiemenü. Wir haben Köche aus verschiedenen Ländern und Epochen gewinnen können. Sie alle eint das Streben, dem Genuss und Wohle aller zu dienen. Es geht ihnen nicht nur darum, uns satt zu machen und zu stärken, sondern auch, den einzigartigen Geschmack, den Demokratie hinterlässt, nie mehr in Vergessenheit geraten zu las­sen. Ein Menü, das die Menschen verzückt, sie aber gleichzeitig auf dem Boden der Vernunft hält. Ein Menü, das wieder und wieder zu­bereitet werden muss, um das Fast Food verwirrter, rechtsdrehender Schnellköche und Fettbrutzler dort zu parken, wo es hingehört: auf den Scheiterhaufen kulinarischer oder besser gesagt: auf den Misthaufen rassistischer und heimtückischer Absonderlichkeiten.

Treten Sie ein, hereinspaziert. Wir haben vier Gänge vorbereitet. Möge es Ihnen allen munden.

Amuse-Gueule: Arbeiter-Bourgeois-Spieß

Zutaten für zwei Personen:

1 Bourgeoisiefilet
2 Teelöffel Arbeitergewürzmischung

Das Rezept stammt von Karl Marx und ist ein zeitloses Beispiel, warum das kreative Spiel gegensätzlicher Kräfte in der modernen Küche unverzichtbar ist. Marx, ein deutscher Wirtshauskoch, der viel herum­ kam, hat sich intensiv mit dem Gegensatz von Bourgeois und Arbeiter beschäftigt. Der Bourgeois als alleiniger Besitzer der Produktionsmit­tel darf in Ruhe heranreifen und auf der Basis seines Reichtums Fett ansetzen. Allerdings muss sehr darauf geachtet werden, kein verfet­tetes Exemplar zu kaufen, das nie über eine Wiese im Freien gehop­pelt ist. Demokratieköche wissen, dass das Fett schön marmoriert und nicht zu schwartig sein darf. Die Gewürze bringen in diesem Rezept nur ihre Arbeitskraft ein. Sie entfalten ihren Ge­schmack besonders in der Kombination mit dem Bourgeoisiefilet und verleihen ihm einen intensiveren und volleren Geschmack. Man könnte fast sagen, das Privateigentum des Bourgeois wird aufgehoben und verschmilzt mit den Gewürzen zum Gemeineigentum der klassen­losen Gesellschaft. Der Geschmack kann sich jetzt voll und frei in jede Richtung entfalten.

Den Bourgeois in dünne Scheiben schneiden, mit der Arbeiter­gewürzmischung einreiben und in Olivenöl kurz durchbraten. Zum Warmhalten in Alufolie wickeln und ruhen lassen. Die Bourgeoisiestücke nacheinander an einem Schaschlikspieß aufreihen. Für die Arbeitergewürzmischung benötigen wir Fenchelsamen, schwarze Pfefferkörner, Senfkörner, Thymian, Oregano und ei­nen Hauch Chiliflocken. In der Pfanne gemeinsam anrösten und dann direkt auf das Filet auftragen. Keine Angst: Die Arbeiter­gewürze sind es gewohnt, erhitzt zu werden. Allerdings: Nicht zu stark rösten, sonst verlieren sie ihr demokratiestabilisieren­des Aroma.

Lesen Sie weiter im aktuellen Kursbuch (erscheint morgen) in der FLXX-Kolumne. Die weiteren Gänge des Demokratiemenüs sind eine würzige Volkssuppe, sozialliberalgrüne Staatspasta mit Tomaten, Ingwer und Garnelen sowie, als Dessert, ein fluffiges Schicksalssoufflé mit Granatapfelkernen.

 

Peter Felixberger, Montagsblock/ 122

07. November 2020