Peter Felixberger
FLXX Classix | Achtung: Chef!
Wirtschaft als Pop- und Führungskultur. Das Drehbuch
Ausgangsblende
Der alte Chef hat ausgedient. Als Industriekapitän stand er früher auf der Brücke und dirigierte sein Firmenschiff durch Klippen und Unwetter. Davon will heute keiner mehr etwas wissen. Der digitale Kapitalismus fordert eine neue Führungskultur. Jetzt dürfen alle einmal Chef sein! Partizipativ, flexibel, selbstbestimmt, kreativ und selbstmotiviert lautet das neue Organisationsmantra für die Mitarbeiter. Digital Natives, Business Model und Network Thinker sind die neuen »Chefs«, ohne Chef sein zu wollen. Manager, Unternehmer und Medien beginnen deshalb, alte und neue Führungskulturen als großes Entweder-oder zu inszenieren. Darum herum bilden sie Gewissheiten, die in der jeweiligen Selbstüberhöhung als letzte Wahrheit enden. Der Chef denkt neu und lenkt alt. Der Chef denkt alt und lenkt neu.
Akteure
Management-Godfather
Leadership-Vordenker
Leadership-Querdenker
Design Thinker
Basketball-Altmeister
Großsoziologe
Unternehmensberater
Wissenschaftler, Politiker und Funktionäre
Digitale Transformatoren
Mönch
Leitartikler
Junge Wilde
Mittelständischer Unternehmer
Startimpulse
In turbulenten Zeiten ökonomischer Verwerfung und digitaler Disruption rufen Libertäre nach sozialer Gleichschaltung: »Keine Macht für Niemand. Mehr Demokratie wagen.« Die digitale Revolution verändere Gesellschaft und Arbeitsstrukturen. Hierarchien verschwinden, flexible Netzwerke übernehmen das Kommando. Mitarbeiter und Volk dürfen mitreden. Po-Po-Postdemokratie! Go-Go-Google! Das Spiel der Reflexe kann beginnen. Ein Design Thinker warnt: »Wer in Zeiten der Digitalisierung immer noch in Hierarchien, Fachgebieten und lexikalischen Kategorien denkt, wird den Anschluss bald verpasst haben.« Unterdessen verkünden postmoderne Leadership-Vordenker das Ende des Top-downs, es verbrauche zu viel Energie und sei ineffizient. Bottom-up hingegen bedeute selbstverantwortliche Mitarbeiter, schnelle Wege und kleinteilige, iterative Kommunikationspfade. Erfolg komme von unten! Halt, ruft ein Leadership-Vordenker alten Schlags: »Vernünftige Kontrolle muss darauf gerichtet sein, das Verhalten der Menschen zu steuern. Es gibt einen alten Grundsatz: People behave as they are controlled.« Effizienz, Leistung und Resultate seien die Stabilitätsanker in Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür benötige man gutes und richtiges Management. Auch und besonders von oben. Cäsar still alive!
Tiefenbohrung
Da müssen wir im Erörterungsprogramm zunächst einige Jahrzehnte zurückgehen, um am Ende zu verstehen, dass wir mitten in der Petersilie stehen. Management, so der Godfather der Managerzunft, definiere sich wie folgt: »Menschen durch gemeinsame Werte, Ziele und Strukturen, durch Aus- und Weiterbildung in die Lage zu versetzen, eine gemeinsame Leistung zu vollbringen und auf Veränderungen zu reagieren.« Durch das Management werden Menschen folglich zu Leistungsträgern ausgebildet, die sich in einer Veränderungskultur behaupten müssen. Stellt sich die Frage, ob sie das als unterstes Glied einer Befehlskette tun oder im hierarchiefreien Miteinander? Der Godfather hat zeitlebens darauf hingewiesen, dass gutes Management eigentlich nur drei Funktionen erfüllen müsse: »1. Es hat den spezifischen Zweck und die Mission der Einrichtung festzulegen, sei es, dass es sich dabei um ein Unternehmen, ein Krankenhaus oder eine Universität handelt. 2. Es hat dafür zu sorgen, dass die Einrichtung produktiv ist und die Arbeitskräfte effektiv arbeiten. 3. Es hat die soziale Wirkung und die soziale Verantwortung der Einrichtung zu steuern.« Unternehmen seien deshalb nicht, wie in der klassischen Ökonomie, Agenturen der Gewinnmaximierung. Der Zweck eines Unternehmens bestehe vielmehr darin, einen Kunden zu finden. Wirtschaftliches Handeln bestehe sogar darin, einen Kunden zu schaffen, falls Nachfrage oder Angebot noch nicht existieren würden.
Tiefenbohrung
Produktiv, effektiv und sozial verantwortlich, aber nicht primär gewinn-, sondern kundenorientiert! So lautet die erste Codierung in der Geschichte des Managements. Dabei ist insbesondere der Begriff der Effektivität von Interesse. Effektive Arbeit bedeutet, das Richtige zu bearbeiten. Das Richtige zu bearbeiten wiederum bedeutet, eine Leistung für Kunden zu erbringen, die dafür zahlen. Um die Komplexität des Richtigtuns zu berücksichtigen, bedarf es Manager, die als Orchesterdirigenten die Koordinierung steuern und erleichtern. Die Metapher des Dirigenten ist eng mit dem Leitbegriff der Leistung verknüpft. Ein Leadership-Querdenker schreibt: »Eine Führungskraft ist einem Orchesterdirigenten vergleichbar, dessen Ziel es ist, einer bunt gemischten Gruppe von Menschen die bestmögliche Leistung zu entlocken, wobei innerhalb der Gruppe jeder eine fest vorgegebene Rolle hat. Der Dirigent sorgt für die nötige Koordination.«
Reflexe
Der Großsoziologe aus dem Jenseits sieht das mit den Rollen erfahrungsgemäß etwas differenzierter: »In jeder Organisation entwickelt sich unter der formalen eine informale Ordnung mit eigenen Rollen, mit individueller geformten, persönlicheren Erwartungen, mit kleineren Gruppen und Cliquen, die brauchbare Abweichungen in ihrem Kreise legitimieren, Machtschwerpunkte bilden und ihre Mitglieder in allerlei Fehden unterstützen. Eine solche informale Ordnung ist typisch nicht zweckspezifisch, sondern personal orientiert. Ihre Kristallisationspunkte sind diejenigen Bedürfnisse, welche die formale Organisation nicht befriedigt oder durch ihre Einseitigkeit schafft.« Das ist aber in der rauen Businesswelt bereits der Keim des Untergangs. Menschen! Sie treten auf, sie mischen sich ein, sie machen Unfug. Das hat Folgen. Parallel zu Rationalität und Effizienz des Managements bilden sich kleine selbstverantwortliche Macht- und Meinungskartelle, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Chefs können dann plötzlich im Wege stehen und werden unter Umständen informal abgekoppelt. Mitarbeiter emanzipieren sich schließlich von vorgegebenen Befehlsketten und modellieren die Arbeitsumgebung neu. Immer darauf bedacht, ab jetzt störungsfrei und selbsttätig agieren zu können.
Der gewiefte Leadership-Vordenker erkennt natürlich sofort die Dramatik des Augenblicks und formuliert einen möglichen Ausweg: »Als Führungskraft müssen Sie die Wirklichkeitskonstruktion Ihres Mitarbeiters grundsätzlich irritieren, wie immer sie auch aussieht – auch, wenn Sie persönlich ihr zustimmen. Sie müssen sie stören, mit einer Alternative versorgen, damit er wieder wählen kann, sich entscheiden muss, und aus genau dieser Entschiedenheit Kraft und Engagement schöpft. Wenn Motivieren je einen Sinn hatte, dann diesen: Menschen Wahlmöglichkeiten vor Augen führen. Denn nur wer eine Situation als selbstgewählt erlebt, ist mit ganzem Herzen bei der Sache.«
Tiefenbohrung
Mit dem Begriff »Motivation« wird in der Leadership- und Managementdebatte eine wichtige neue Sedimentschicht angebohrt. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis: »Jeder ist motiviert. Man muss es nur zusammen entdecken.« Der Weg führt über die Wahrnehmung des anderen. Es ist übrigens ein berühmter Kinderpsychologe, der erstmals die Idee der Dezentrierung beschreibt. Sprich: das Phänomen, wenn Kinder außer sich selbst zum ersten Mal einen anderen, ein Gegenüber, wahrnehmen und damit ihre selbstzentrierte Wahrnehmung aufgeben. Genau das wird ab jetzt in der Motivationsforschung jeder Führungskraft empfohlen, die ihrem Mitarbeiter gelegentlich ahnungslos wie der Ochs vorm Berg gegenübersitzt. Motivation, modern gedreht, bedeutet: Eine Führungskraft geht auf das Gegenüber ein und verlässt dafür seinen Feldherrnhügel.
Ein Leadership-Vordenker kommt pfeifend um die Ecke und sieht die Führungskraft in der eigentlichen Pflicht. »Manager, die mit ihren Mitarbeitern nicht zurechtkommen, haben meist selbst ein Problem.« Ein Mitarbeiter müsse sich wohlfühlen, um motiviert und leistungsfähig zu sein. Dies könne ein Manager aber nicht durch Appelle, Belohnungen und Strafen erreichen. Sondern nur durch individuelle Wahrnehmung und Hinwendung, den anderen verstehen zu wollen. »Zur Wahrnehmungsfähigkeit gehört vor allem, gut mit unstrukturierten Situationen, unverständlichen Informationen oder unberechenbarem Handeln umzugehen.« Kurzum: Wer seine Mitarbeiter über einen Führungskamm scheren will, erzeugt Demotivierung. Vielmehr gilt: Jeder ist ein Andersdenkender. Gute Führung beginne deshalb immer an dieser erkenntnistheoretischen Weggabelung.
Und bei der offenbaren Wertschätzung seiner Mitarbeiter, durch die man zu mehr Selbstverantwortung kommt. »Ein Wir-Gefühl kann sich entwickeln oder besser ent-wickeln: Es ist nämlich bereits da und muss nur ausgepackt, freigelegt, eben ent-wickelt werden. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn daraus nicht neue Kreativpotentiale freigesetzt werden würden, die zwangsläufig zu Erfolgserlebnissen führen, die dann eine Eigendynamik entstehen lassen, die es ermöglicht, bei jeder neuen Herausforderung andere, bessere Lösungen zu generieren.« Willkommen im Managementparadies motivierter und achtsamer Miteinanderer!
Reflexe
Da lacht von einem anderen Kontinent ein Ex-Bürgermeister aus einer Weltmetropole zurück und schiebt den Romantikern den Riegel vor, indem er auf einen anderen Großsoziologen hinweist, der den guten, alten Cäsarismus begründet hat. Dieser ist sozusagen der Urvater der charismatischen Führung, der in einer bürokratisch regulierten Welt auf das »große Individuum« setzt, das sich über die gegebene Ordnung hinwegsetzt und die trägen Massen seinem Willen unterwirft. Er habe gewissermaßen das Recht erworben, »der in bürokratischer Routine erstarrten Masse neue Gebote zu geben«. Oder wie ein weiterer Leadership-Vordenker hinzufügt: »Dieser Einzelne steht außerhalb der Gesellschaft und über ihr, er handelt – Reminiszenz an das Gottesgnadentum der absolutistischen Fürsten – im Auftrag des obersten Herrn und ist deshalb rational weder verstehbar noch kritisierbar.«
In den USA nennt man so jemand »Great Man«. Jemand, der über allem steht, und seien es Not und Chaos. Dann funktioniert der Great Man besonders gut. Denn gesellschaftliche Krisen sind der ideale Nährboden für diesen Typus, vor allem genau und insbesondere dann, »wenn die Not und Ratlosigkeit so groß sind, dass die nächstbeste Person, die entschlossen die Chance nutzt, zum Kristallisationskern von Hoffnungen wird und Gefolgschaft findet«. Interessanterweise ist es aber nicht nur die Ausstrahlung der Führungsperson, die ihren Stern noch heller strahlen lässt. Nein, Not und Chaos suchen vielmehr nach einem menschlichen Gesicht als stellvertretendes Symbol. Will sagen: Charismatische Führung entsteht nicht aus krisenhaften Situationen heraus. Vielmehr wird jemand stellvertretend als krisenlösende Führungsperson definiert und konfiguriert.
In Krisenzeiten wird immer der Ruf nach Macht und Ordnung laut. Zu viel Freiheit und Selbstbestimmung führen die Unternehmen ins Verderben. Auftritt eines führenden Organisationssoziologen mit der These: Mit dem Abbau von Hierarchien steigen Druck und Unsicherheit auf die einzelnen Mitarbeiter. Entlastung sei gefragt, und die komme nur von oben, von den Unternehmenslenkern, welche die Entscheidungslast auf sich nähmen. »Mit zunehmender Differenzierung in selbstorganisierende, teilautonome Einheiten wird die Integration in ein Gesamtunternehmen immer schwieriger, gleichzeitig aber auch immer notwendiger.« Der König lebt!
Tiefenbohrung
Hin und her wiegt seit Jahrzehnten diese große Reflexschaukel. Die Verteidiger eines effizienz- und krisengestählten Cäsarismus einerseits, andererseits die Brückenbauer in eine selbstbestimmtere und eigenverantwortlichere Management- und Leadership-Praxis.
Die Gratwanderung zwischen Allmacht und Einzelmacht dauert indes ein Leben lang. Ein Management-Querdenker lässt tiefer blicken: Häufig bewegen sich Chef und Mitarbeiter in einer Scheinwelt verzerrter Spiegelbilder. Mitarbeiter »neigen dazu, ihre Phantasien auf ihre Führer zu projizieren, und deuten alles, was diese Führer tun, im Lichte des Bildes, das sie sich von ihnen erschaffen haben«. Die Chefs wiederum glauben, sie verkörperten tatsächlich diese fiktiven Wesen, zu denen sie ihre Gefolgschaft gemacht hat – erfolgreich, schön und glücklich, und das Leben immer fest im Griff. Was aber nur so lange funktioniert, bis die Scheinwelt irgendwann zusammenkracht und die Realität unnachgiebig auf den Tisch haut. Bis dahin fühlen sich alle pudelwohl. Die Chefs glauben, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter auszuleben. Und die Mitarbeiter sehen sie endlich erfüllt. Das Ende vom Lied: »Wünsche treten an die Stelle von Fakten, und Illusionen verdrängen die Realität.« Die Unternehmenspolitik fußt dann auf verzerrten Wahrnehmungen.
Und ein Meisterpsychologe ergänzt, in eine ähnliche Kerbe schlagend: »Alle Menschen haben einen kindlichen Kern von Allmachts- und Grandiositätsvorstellungen in sich und alle wollen nach oben kommen. Und es ist ja nun so, dass in den Führungsetagen üblicherweise Menschen sitzen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen, die ausgesprochen ehrgeizig sind und viel Bestätigung brauchen. Ohne diese narzisstischen Grundlagen hätten sie den Aufstieg nicht gewagt. Aber gleichzeitig sind sie damit auch gefährdet, sich selbst zu überschätzen, die Realität zu verlieren und damit anderen Menschen zu schaden. Dazu kommt, dass mit dem Zuwachs an Macht und Verantwortung immer auch Einschränkungen verbunden sind. Da ist zum Beispiel die Einsamkeit des Führenden, der sich durch seine Position nicht mehr so anlehnen kann wie vorher, der nicht mehr die Nähe zum Team hat, wo man sich Schulter an Schulter gegen den Leiter zusammengeschlossen hat. Vielmehr ist er jetzt in der Rolle desjenigen, der kritisiert, gefürchtet und angefochten wird. Für viele Führungskräfte ist es schwierig, mit diesem Verlust von Nähe zurechtzukommen und ihn reif zu bearbeiten. Entscheidend für das gesunde Selbstbild ist, wie es dem Einzelnen gelingt, die Balance zwischen den destruktiven und den konstruktiven Aspekten seines narzisstischen Kerns zu halten. Das muss auf jeder weiteren Karrierestufe neu gelernt werden und das gelingt oft nicht.«
Selbstüberhöher und Selbstbestimmer! Wahrscheinlich hätten wir mit diesen jeweils auserzählten Denkfiguren weiterhin schön Semantikhalma spielen können, wäre es nicht kürzlich zu einer ökonomischen Revolution gekommen: dem Übergang von der Industrie- zur Wissensökonomie. Auftritt eines Leadership-Querdenkers, der die Geschichte vom Bauern und Jäger erzählt: Er unterscheidet zwischen einer Bauerngesellschaft oder Old Economy, in der Bauern als pflichttreue Menschen Tradition und alte Ordnung garantieren. Und einer Jägergesellschaft oder New Economy, in der Jäger als risikofreudige Menschen kreativ die alte Ordnung zerstören und neue Produkt- und Dienstleistungswelten erschließen. »Der Bauer sagt zum Jäger: Wir leben in einer Bauerngesellschaft, in der die Felder bestellt werden, damit später, viel später, reich geerntet werden kann. In dieser Gesellschaft brauchen wir keine ständige Alarmbereitschaft, weil alles sicher und ruhig ist. Wir brauchen keine impulsiven Entscheidungen, weil wir alle Zeit der Welt zum Nachdenken haben, am Abend, am Ackerrand, wenn die Arbeit getan ist. Wir brauchen keine Sinnenlust, denn die macht ungeduldig, wenn man auf die Ernte wartet. Ihr Jäger leidet an der Lust auf Beute. Aber man hat nicht Lust auf Ernte. Man wartet auf die Ernte.«
An seine Stelle tritt der neue Typ des E-Man. Es ist »der Kreative, der Authentische, der Erfinder, Innovator, Unternehmer, der Flexible, Unverwüstliche, Optimistische, Kooperative, Kommunikative«. Der Jäger verbannt einfache, sich immer wiederholende Arbeit in die Maschinen, in die Computer. »Die Computer kontrollieren die Arbeit wie sonst nur an Fließbändern. Sie zählen genau, wie viele Akten ein Beamter bearbeitet, wie viele Schadensfälle ein Sachbearbeiter der Versicherung, wie viele Skiunfälle der Notarzt … Computer regeln jetzt alle normale Arbeit. Punktum.« Computer messen die Effizienz von Arbeit, geben Arbeitstakt und -teilung vor, überprüfen Arbeitsfortschritte. Sie ersetzen große Teile der Arbeit von Bauern. Die frei gewordene Energie müsse in der Wissensökonomie so kanalisiert werden, dass es jetzt nicht mehr nur um Effektivität gehe, sondern darum, das Optimale zu erreichen. Was in der Erkenntnis gipfelt: »Wir brauchen nur noch Menschen, die das Beste verbessern.« Der Computer sagt deshalb zum Bauern: »Gehe hin und sei jetzt kreativ. Höre auf, Sicherheit zu schätzen. Ändere dich täglich. Geh unverzagt ins Ungewisse. Lass das Normale. Werde ein Nomade. Werde ein virtueller Nomade, der in einer neuen unerschöpflichen kreativen Welt von Oase zu Oase zieht! Werde wendig, ideenreich, flexibel.«
Der Jäger ist immer auf der Suche nach neuem, verwertbarem Wissen. Kreativität sucht deshalb permanent nach neuen Gelegenheiten. Es geht darum, Gelegenheiten zu ergreifen, um kreativ zu sein. Kreativität wird auch »als Fähigkeit zum Ausnutzen von Gelegenheiten« definiert. Oder anders gesagt: »als Verwendung von Zufällen zum Aufbau von Strukturen«. Der Großsoziologe aus dem Jenseits verweist auf seinen alten zweistufigen Kreativitätstest (unbewusst für Bauern und Jäger entwickelt): »Man nehme sein Gewissen und gehe in das Nachbarzimmer. Wenn man feststellt, dass der Nachbar Bücher liest wie man selbst, und wenn man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man nicht kreativ. Man will ihn nachahmen. Wenn man dagegen feststellt, dass der Nachbar die gleichen Bücher liest wie man selbst und man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man vermutlich kreativ. Denn dann sucht man, vielleicht unbewusst, neue Wege. Kreativität wird hier also über die Steuerung von Schuldgefühlen getestet.«
Reflexe
Da hebt einer der großen Basketball-Altmeister den Arm und verweist auf die unbelastete und unschuldige Kreativität als Quelle höchster Freiheit: »Im Spiel haben wir die Freiheit, tätig zu sein, ohne arbeiten oder uns um irgendetwas sorgen zu müssen. Es ist der Zustand, in dem wir die Zeit vergessen und das Spiel unbeschwert wird. Der Moment, in dem der Ball wie an einer Schnur gezogen in den Korb fliegt. Im Moment, in dem die Freiheitsgrade so hoch sind, dass sich der Spieler durch nichts gezwungen oder eingeschränkt fühlt, sollte der Spieler seinen Spieltrieb ausleben, sollte seine überbordenden Kräfte spüren, sich austoben und die Zeit vergessen dürfen.«
Spielerische Kreativität im Job. Die Königsdisziplin in der Neuen Ökonomie. Davon träumen jüngere Generationen, wenn sie bisweilen als Rechercheknechte in Praktika missbraucht werden. Womit wir bei der Generation Y sind. Angesichts kreativer Revolution allerorten kulminieren in ihren Köpfen Sehnsucht und Allmacht: »Wir sind also die Generation Wir sind nicht hier, wir sind überall – immer flexibel, permanent online und verfügbar. Es gibt kaum einen Kontinent, auf dem wir keine Freunde haben, immer ist irgendwer gerade unterwegs in ein neues Leben und ständig zeigt die Timeline Lebensortwechsel an. Heimat und Zuhause sind deshalb für uns viel schwerer definierbare Begriffe geworden. Heimat ist für uns meistens dort, wo wir einen Internetanschluss, Freunde und eine Skypeverbindung haben – in anderen Worten – (fast) überall.« Auftritt eines empirischen Sozialforschers: »Dabei geht es weniger um das Work-Life-Klischee, als darum, die verschiedenen Wünsche, Bedürfnisse und Interessen anzuerkennen und organisatorisch zu synchronisieren. Dies wäre wohl auch die Bedingung der Möglichkeit für Kreativität.«
Auftritt einer Gruppe junger wilder Berater in einer deutschen Großstadt: »Als wir mit dem Studium fertig waren, standen wir da: reif für den unterdrückenden Arbeitsmarkt in einer Welt voller Stoppschilder. Kurzum: Wir waren versaut. Wir hatten den Spaß unseres Lebens und wollten partout nicht einsehen, warum das gerade jetzt aufhören sollte. Also haben wir das gemacht, was anscheinend Generation-Y-typisch ist: Wir haben uns zusammengerottet und in der ebenfalls typischen Egomanie festgestellt, dass es doch einen Platz geben muss für uns in der freien Wirtschaft.« Heute leben die jungen nicht mehr ganz so Wilden übrigens von Unternehmen, die vor lauter Effizienz und Stabilität das Kreativsein verlernt haben.
Tiefenbohrung
Die Offerte im dauerkreativen Marktwettbewerb besteht nur noch darin, der Kreativste zu sein, um nicht nur Kunden zu finden und zu binden, sondern das einzigartige Produkt und die einzigartige Dienstleistung zu erfinden. Unternehmer, Manager und Führungskräfte werden plötzlich kreativ, rundherum bildet sich ein Dienstleistungsheer. So prognostizieren es Wissenschaftler: »Die künftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes und die Organisation der Arbeit führen zu einer Zweiteilung der Erwerbstätigen.« Auf der einen Seite die Kernbelegschaften in Unternehmen, die »über Qualifikationen und spezifische Erfahrungen verfügen«, durch die sie für Firmen unverzichtbar werden. Ihnen zur Seite die hoch qualifizierten Selbständigen, die flexibel in die Projektarbeit in Unternehmen eingebunden werden und ihre Aufträge eigenständig und in Netzwerken ausführen. Auf der anderen Seite die Verlierer dieser neuen Arbeitswelt mit den Randbelegschaften, die vorübergehend eingestellt werden und über »solide, aber nicht über unverzichtbare Qualifikationen verfügen«. Und mit der Gruppe der Selbstbeschäftigten. »Sie betätigen sich insbesondere in wissensintensiven und wenig Betriebskapital erfordernden Dienstleistungsbereichen und unterstützen die Netzwerke der Hochqualifizierten mit einfachen Serviceleistungen oder arbeiten im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen.« Es bildet sich in der zukünftigen Arbeitswelt eine Subcodierung des Innen und Außen heraus. Innen die bourgeoisen Arbeitseliten als Eigentümer kreativen Wissens und als Optimierungsstrategen. Außen die proletarischen Randbelegschaften und Selbstbeschäftigten als Verkäufer standardisierter Dienstleistungen und als effektive Erfüllungsgehilfen der Leistungsträger im Inneren.
Reflexe
In den letzten 15 Jahren haben sich mehrere Versöhnungs- und Erlösungssemantiken im Sowohl-als-auch-Modus etabliert. Sie versuchen, das Innen und Außen, das Oben und Unten, das Entweder-oder in Führung und Management miteinander zu verbinden. Ein bereits verstorbener, ehemaliger Minister probierte es beispielsweise mit dem Ausgleich von Solidarität und Wettbewerb: »Wie wird aus einer Wettbewerbsgesellschaft, in der es immer mehr Verlierer als Gewinner geben muss, eine Gesellschaft, die den Wettbewerb fördert, wo er notwendig und hilfreich ist, die aber zuerst auf Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe setzt?« Vorrang haben, so der Doyen, Gemeinwohl, sozialer Ausgleich und soziale Solidarität. Das materielle Gewinnstreben einer Erfolgsgesellschaft müsse zugunsten einer solidarischen Leistungsgesellschaft aufgegeben werden.
Diese postindustriell bezeichnete Gesellschaft fuße auf einer kooperativen Wirtschaftswelt. In den Wirtschaftswissenschaften vollziehe sich diesbezüglich ein Paradigmenwechsel. Ein Leitartikler einer großen Wochenzeitung: »Das neue Bild vom wirtschaftlich handelnden Menschen zeigt eine bemerkenswerte Form der Rationalität. Es ist ein Bild, geprägt von Charakter und Genen, von Evolution und Kultur, Lernen und sozialen Erfahrungen. Vielfach regiert die Intuition. Das bewusste Abwägen schaltet sich zusätzlich ein, aber nur in der Minderzahl unserer Entscheidungen. Das alles ist hoch effizient und hat doch seine Kosten.« Der auf dem Markt agierende und seinen Nutzen maximierende Homo oeconomicus begründet seine Wertschöpfung nicht mehr ausschließlich in einer Wettbewerbs-, sondern in einer kooperativen Ökonomie. Er, der stets rational handelt und durch Geld und Nutzen angespornt wird, mutiert jetzt zu einem tugendhaften Menschen, der gerecht, weise, tapfer und maßvoll durch die Welt geht. Ein Mensch, der sich im Boom nicht mehr von Erfolg und Reichtum blenden lässt und der in der Talsohle seine Existenz nicht mit allen Mitteln zu verteidigen sucht. Jemand, der lang- statt kurzfristig denkt. Kooperativ konkurrieren ist die Leitbegrifflichkeit dieser mit sich selbst versöhnten Ökonomie. »Coopetition« heißt es in einem Standardwerk der Spieltheorie. Es bedeutet, Geschäftsmodelle mit komplementären Mitkonkurrenten, die jetzt Mitspieler heißen, zu betreiben. Also mit Akteuren, die ergänzende Leistungen anbieten, sich aber eigentlich im Konkurrenzumfeld befinden.
Noch einen Schritt weiter geht die Social-Business-Bewegung. Sie beschreibt sich selbst als Motor für eine ökosoziale Marktwirtschaft und verknüpft krisenhafte gesellschaftliche Problemlagen als Geschäftsanlässe mit der Kooperationssemantik des humanen Kapitalismus. Unternehmen verfolgen demnach Ziele, die über die klassische Markt-, Wettbewerbs- und Leistungscodierung der Wirtschaft hinausgehen. Auftritt eines alten Journalistenhaudegens: »Der Zweck von Unternehmen, die dem Social-Business-Gedanken folgen, ist die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Social-Business-Unternehmen sind dem Dienst für individuellen, gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt im Sinne einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung gewidmet und wurden zu diesem Zweck gegründet. Social-Business-Unternehmen arbeiten ebenso wie normale Unternehmen gewinnorientiert, aber der Hauptteil des Gewinnes verbleibt im Unternehmen und wird zur Ausweitung von dessen jeweiligem sozialen beziehungsweise ökologischen Zweck eingesetzt. Während eine auf Gier ausgerichtete Ökonomie auf monetäre Gewinnmaximierung setzt, setzt eine Social-Business-Ökonomie auf eine Maximierung des sozialen und ökologischen Gewinns bei gleichzeitig hoher ökonomischer Vernunft.«
Es ist kein Wunder, dass um diese Versöhnungswelt im Kapitalismus eine ebenso lebhafte Führungs- und Leadership-Community sesshaft wurde. Ihr zufolge brauche die moderne Arbeitswelt vor allem eins: mehr Menschlichkeit. Auftritt eines Mönchs als Management-Vordenker: »Es kommt darauf an, dienen zu wollen. Die Leithammel, die vorneweg stürmen, wollen herrschen. Wer einmal einen Hirten erlebt hat, der sieht, mit welcher Fürsorge er seinen Tieren dient. Wir führen dieses Dienen zwar gerne im Mund – sprechen von der Dienstleistungsgesellschaft und schimpfen über die Servicewüste. Aber was es wirklich bedeutet, nicht nur dem Kunden zu dienen, sondern auch dem eigenen Mitarbeiter und ihm dadurch seine Würde zu geben, das vergessen manche Führungskräfte. Das Bild vom Hirten beschreibt den Archetyp der Ruhe, der Umsicht und der Verantwortung. Der Hirte ragt gut sichtbar aus seiner Herde heraus, er ist immer in der Nähe und hat alle im Blick. Für die Führungskraft übersetzt heißt das, fürsorglich sein, sich aufrichtig für seine Mitarbeiter interessieren, sich den einzelnen Menschen genau anschauen, sich auch fragen, wie es ihm privat geht. Wenn man auf den Mitarbeiter eingeht, dann ist er produktiver, weil er sich bei seiner Arbeit zugehörig und verstanden fühlt.«
Der Management-Querdenker von weiter oben lässt uns erneut tiefer blicken: »Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.« Mit verrückt sind jedoch nur Menschen gemeint, die ihre Gefühle im Tagesgeschäft nicht ausblenden. Die intensiv leben und sich für das begeistern, was sie tun. »Das kommt daher, dass sie das ganze Spektrum ihrer Gefühlswelt wahrnehmen können.« Das heißt nicht, dass sie sich davon leiten lassen, leicht die Kontrolle verlieren und unbesonnen handeln. Nein, »sie können mit ihren Ängsten und zwiespältigen Empfindungen umgehen. Sie besitzen ein großes Talent, sich zu beobachten und zu analysieren. Die besten Topmanager denken sehr intensiv über sich selbst nach.«
Schlussblende
Was ist also der perfekte Chef? Und wer der perfekte Manager und die perfekte Führungskraft? Bedienen Sie sich aus den Schubladen der Management- und Führungspraxis. Anything goes: Narr, Künstler, Diktator, Narzisst, Egomane, Anarchist, Verrückter, Selbstjunkie oder Hirte? Sie können als Effizienzapostel anfangen, der beim dritten Hahnenschrei jeden Zusammenhang zwischen Effektivität, Leistung und Erfolg leugnen wird. Keine Sorge, es wird niemanden mehr überraschen, dass Sie überraschende Wendungen vornehmen. Inszenierung ist alles.
Management-Godfather und mancher seiner Epigonen würden sich im Grabe oder in der Chefetage schütteln vor der Explosion an Wahrheiten. Und so gibt er uns noch abschließend mit auf den Weg: »Mach das Beste aus dem, was da ist, und hör auf, dich darüber zu beklagen, dass das nie genug ist.« Bloß, wem hilft diese Erkenntnis eigentlich noch? In einer Welt, in der alles der Fall ist.
Pop regiert die Medienwelt. Befindlichkeit und Pose, Selbstdarstellung und Lebenswelt, Bekenntnis und Identifikation haben das Zepter übernommen. Form schlägt Inhalt! Und selbst der Kunstmarkt wird immer stärker in diese Richtung domestiziert. Kunst wird zum Popevent, um das herum große Spekulationsblasen drapiert werden. Die Bedeutung des Künstlers wird auf sein öffentliches Prestige degradiert. Das wiederum vereinfacht die Zugänge der Bildungsbürger zur Kunst und macht sie offener und weiter, selbst für eindimensionale Menschen, denen jetzt wenigstens der Diskurs erspart bleibt. Der Bildungsbürger, der sich früher die Kunstszene über intellektuelle Pfade erschlossen und sie als Trägergruppe beherrscht hat, ist ein zahnloser Tiger geworden, der sich der Geschmacksduselei des Popimperialismus unterworfen hat. Der Zauber der Kunst verglüht in den Selbstdarstellungsposen moderner Popkultur.
Manager können diesbezüglich von Künstlern lernen. Sie müssten nur besser den Popkoeffizienten ihrer täglichen Selbstdarstellung stärker in den Mittelpunkt rücken. Keine Sorge: Im Diskurs wird die Führungsfrage ständig neu revitalisiert. Es wird remixt, recycelt und rebrandet. Jede Authentizität gerät unter die Räder. Alles passiert gleichzeitig und nicht. Es ist nur die Frage, wann ich wie den Diskurs missbrauche. Rein nur für persönliche Zwecke, versteht sich.
Da ist er wieder, der Strukturwandel der Öffentlichkeit. Jeder besetzt eine Rolle, die das öffentliche Schauspiel offeriert. Wenn er es nicht tut, kommt ein anderer des Weges. Es geht öffentlich immer ums Ganze und ums Nichts. Die Inhalte werden ständig belebt, Interaktion und Assoziation vervielfältigen sich, Remix und Refill von Content sind unbegrenzt. Die Einbahnstraßen-Senderwelt von früher ist vom Aussterben bedroht. Deshalb regieren heute Suchmaschinen in jedweder Größe. Sie zähmen die überbordende Fülle. Die Suchmaschine ist längst die alles beherrschende und kontrollierende Medienarchitektur geworden. Sie wird gefüttert und genährt durch ständige Interaktion und Assoziation. Wissen, Meinung, Tagesaktualität, Gedankensplitter und Theorie verbreien sich permanent aufs Neue und bringen vor allem eines nicht mehr zustande: ein vorläufiges Ende. Denn alles, was wir denken und diskutieren, ist Anfang und Ende zugleich. Dieses Paradoxon löst Aktionismus aus. Auch hier wieder: Es wird remixt, recycelt und rebrandet. Jede Authentizität gerät unter die Räder. Alles passiert gleichzeitig und nicht. Denn die Suchmaschine fragt nicht nach intellektueller Tiefe, sondern nach dem beliebigen »quick and dirty«. Es braucht schnell wirkende Contentdrogen. Dann entspannt sich die Suchmaschine und blubbert synchron mit dem Datenbrei. Ohne Unterlass. Im Hintergrund dramatisieren, skandalisieren und bewerten selbst ernannte Co-Autoren das Weltgeschehen.
Aktualisierter Text aus Deutschland. Ein Drehbuch (von Peter Felixberger und Armin Nassehi).