MONTAGSBLOCK /98

Kurz vor Silvester

Alles in Kürze wieder auf 0 – und los geht’s. Eine wilde Achterbahnfahrt steht uns 2020 bevor. Kurz vor dem 1. Januar sind einige Prognosen erlaubt. Deshalb haben wir uns das kommende Jahr einmal näher angesehen: Ereignisse, Sensationen, Augenblicke und Haltepunkte. Hier in ungeordneter Reihenfolge, aber umso einschneidender.

  1. Robert Habeck fordert unaufgefordert die weltweite Anerkennung für alle Stechmücken. In einer spektakulären Aktion verbringt er in Badehose eine Nacht mit 6.000 dieser Plagegeister in einem kleinen Sauerstoffzelt. Live übertragen von 3sat als Lange Nacht der Baggerseen. In einer ersten Stellungnahme am Morgen betont er: „Ich habe eine Zerrissenheit gespürt, aber weniger die ökologische Angst, sondern vielmehr das Gefühl, dass anonyme große Mächte mir mein Leben wegnehmen wollten.“ Die Stechmücken, so Habeck, stünden sinnbildlich für die aus der Natur geworfene Natur. Sich am ganzen Körper kratzend und mit verächtlichem Blick auf die Werbebanner von Autan ergänzt er, dass er sich den Rest seines Lebens für das Sosein der Stechmücken einsetzen werde. Die Welt kratzt sich rätselnd am Kopf.
  2. Christian Lindner will auf dem FDP-Dreikönigstreffen erstmals 36 Stunden am Stück reden und Fidel Castro als Dauerredner überbieten. Während der ersten Stunden bildet sich ein großer, prallgelber Pickel auf seiner Nasenspitze. Während er gerade rhetorisch die UNO reformiert, den Ukraine- und Nahostkonflikt löst und die SPD zur Zwergenpartei erklärt, platzt der Pickel auf und schleppt sich in Richtung seiner Mundwinkel. Mit Folgen. Lindner schweift ganz plötzlich vom 800-seitigen Redetext ab und erklärt 2020 zum Jahr des ausgedrückten Pickels. Die Veranstaltung wird abgebrochen. Später im Jahr wird er von Clearasil zum neuen „Anti-Pickelgesicht“ ausgerufen und bekommt als erster Wahrheitsapostel eine Hightech-Pickelhaube überreicht.
  3. Helene Fischer gibt Anfang des Jahres ihre Verlobung mit dem CDU-Politiker Friedrich Merz bekannt. Man habe sich, so das frisch verliebte Paar, an der Kasse einer Berliner Lidl-Filiale kennengelernt und sei umgehend wegen des gestiegenen Preises des WC-Reinigers ins Gespräch gekommen. Fischer, so Fischer, habe sich erstmals in ihrem Leben bei einer Problembewältigung so richtig geborgen gefühlt. Und ergänzt: „Friedrich hört mir so lange zu, bis mir nichts mehr einfällt.“ Merz gesteht, dass er Helene in einsamen Stunden, die es eigentlich gar nicht gebe, gerne seinen „Ajax-Wirbelwind“ nenne. Ende des Jahres trennt sich das Paar wieder. Man habe sich seit einem halben Jahr trotz zahlreicher Verabredungen überhaupt nicht mehr gesehen. „Eine Beziehung ohne Beziehung ist doch schwieriger als erwartet“, weiß Merz abschließend zu berichten.
  4. Annegret Kramp-Karrenbauer stürzt Mitte des Jahres über die sogenannte „Annegret-Kramp-Karrenbauer-Affäre“. Darin wird ihr vorgeworfen, heimlich mit Platzpatronen auf funktionsuntüchtige Schützenpanzer geschossen zu haben. Investigative SZ/NDR-Reporter hatten sie heimlich im Morgengrauen auf einem Truppenübungsplatz gefilmt. Die Affäre weitet sich aus, als Kramp-Karrenbauer angetrunken nach einem Kameradschaftsabend in Kundus die Bundeswehr einen „windigen Patronengürtel in Afghanistan“ nennt. Auf einem saarländischen Schützenfest wird später begeistert von der Menge skandiert: „Sie ist die Fürstin von Thoren, zum Saufen auserkoren.“ AKK winkt befreit ins Publikum und überreicht der Schützenkönigin einen Patronengürtel aus weißer Schokolade.
  5. Armin Nassehi zieht sich in ein südalbanisches Kloster zurück, um fortan in nie enden wollenden Choralgesängen seine wahre Stimme zu entdecken. Die deutsche Soziologie ist verstimmt. Ein Kollege kommentiert: „Jetzt fehlt die ordnende Hand in der Kakophonie öffentlicher Debatten. Keiner kann den dortigen Mist so fein zerlegen, dass er nicht mehr stinkt.“ Was wiederum den Bayerischen Bauernverband veranlasst, auf die langfristig konstruktive Wirkung von Mist im bäuerlichen Jahreslauf hinzuweisen. Kurz vor dem Abflug nach Tirana veröffentlicht Nassehi sein neuestes Werk: Das große Nein. Das Feuilleton schäumt: „Wie ein trotziges Kind verlässt der Großsoziologe die Arena. Dreizack und Kettenhemd hinter sich herziehend. Ein großes symbolisches Nein.“ Doch Nassehi kehrt bereits nach drei Wochen wieder nach Deutschland zurück. Eine Podiumsanfrage der freiwilligen Feuerwehr Miesbach zur Zukunft von Streuobstwiesen im Voralpenland war stärker.
  6. Sven Murmann veranstaltet zu Ehren der 30. Ausgabe der neuen Kursbuch-Ära ein Wochenende in einem stillgelegten Bergwerkstollen, um nach neuen Themen zu schürfen. Als Herausgeber, Verleger und Stiftungsmitarbeiter im tiefen Dunkel angekommen sind, erlöschen die Stirnlampen. Alle schreien gleichzeitig vor Angst. Da ertönt die tiefe Stimme des Verlegers: „Wer nichts sieht, sieht besser.“ Schon purzeln die ersten erhellenden Titelvorschläge: „Die Bindehautentzündung im Spiegel der Zeiten“, „Magische Urlaubsorte florentinischer Tuchscherer im 13. Jahrhundert“, „Schweineschulter und Skorpionzahnfleisch in der australischen Outback-Küche“. Der Verleger droht, dass die Lichter noch viel mehr ausgehen, wenn das Kursbuch nicht bald populärer werde. Alle beginnen plötzlich ausdauernd und wie von Sinnen zu lachen. Die Stirnlampen gehen an. Das Trauma hat vorläufig ein Ende.

Und jetzt wieder zurück in die Gegenwart. Wir wünschen allen Freunden des Montagsblocks ein vielversprechendes neues Jahr. Mögen Sie gesund und munter bleiben und weiterhin standfest den Darmwinden des Naheliegenden widerstehen.
Ihr/Euer Peter Felixberger

  1. Peter Felixberger fällt seine letzte Prognose aus Kursbuch 200, der nächste Weltuntergang werde der letzte sein, im Laufe des Jahres mehrfach auf die Füße, sodass er sein Konzept in eine Theorie serieller Weltuntergänge umarbeitet. In einem Interview mit dem L’Osservatore Romano lässt er sich vernehmen, die Heilsgeschichte sei auch nicht mehr das, was sie einmal war, und schwört darin allen ultimativen Aussagen ab. Er schließt mit dem Ausruf, dass nach dieser starken Diagnose nun wirklich nichts mehr kommen kann.

Ebenfalls alles Gute zum neuen Jahr.
Ihr/Euer Armin Nassehi