Noch vier Wochen, dann ist… ja genau! Der Erscheinungstermin des Kursbuchs 200. Das Revolte-Kursbuch mit knackigen 248 Seiten, einer Gesellschaft voller Revoltepotenzial und jeder Menge wunderbarer Autoren und Autorinnen. Von Boris Groys bis Cornelia Koppetsch, von Karl Bruckmaier bis Hedwig Richter, von Adrian Lobe bis Astrid Séville. Und Bildern des legendären Gerhard Seyfried. Als kleinen Appetizer darf ich Ihnen heute den Einstieg meiner FLXX-Kolumne ans Herz legen. Und Sie einladen, den Rest im Kursbuch 200 zu lesen. Ein bisschen Mouth-Watering, bitteschön?
Der Weltuntergang unterscheidet sich fundamental vom Sonnenuntergang. In der Regel findet er nur einmal statt, aber dann richtig. Das zeichnet einen richtig gescheiten Weltuntergang aus. Danach herrscht Ruhe. Die Dinosaurier können davon leider kein Lied mehr singen, in der weltgeschichtlichen Interviewzone sind sie längst nicht mehr anzutreffen. Das Gute dabei ist: Da Weltuntergänge äußerst selten stattfinden, kann man sie so oft herbeireden, wie man will. Zeugen gibt es danach eh keine mehr. Und vorher lassen sich die Backen sauber mit Luft aufpumpen, sodass selbige immer kurz vor dem Zerreißen sind. Spannung halten, das Publikum ist gebannt. Bis die Luft langsam entweicht und die Backen erschlaffen.
Ich will ehrlich sein. Seit ich lebe, geht die Welt unter. Kalter Krieg, Pershing 2, Tschernobyl, Volkszählungsboykott, 9/11, IS, Klimakatastrophe. Eine Strecke des Grauens. Luft raus. Man gewöhnt sich daran. Und wenn man älter wird, blickt man sowieso gelassener auf den Weltuntergang. Klar, man hat nicht mehr so viele Jahre wie die Jungen vor sich, die deshalb mehr Panik schieben. Auch wieder verständlich. Der britische Philosoph und Aktivist Rupert Read, Mitglied der britischen Grünen und Sprecher von Extinction Rebellion, hat jüngst auf die Frage wie man es schaffe, über die Zukunft – wenn sie denn tatsächlich so düster sei – zu sprechen, ohne die Menschen zu sehr zu verschrecken, geantwortet: „Die Wahrheit ist aber nun einmal, dass es wahrscheinlich katastrophal wird. Dass wir uns auf ein Massenaussterben zubewegen, das krasser wird als die bisherigen Massenaussterben der Erdgeschichte.“ Damit hat Read, der auch schon 53 Jahre alt ist, allen ziemlich Angst eingeflößt.
Auch mir. Doch nach kurzer Schnappatmung habe ich mir die Aussage noch einmal näher angeschaut. Und mir die vier zentralen Begriffe eingeprägt: Wahrheit, katastrophal, krass, Massenaussterben. Wie dunkle Schuppen fiel es mir von den Augen. Alle vier verbindet das schwarze Band des Todes. Denn in der letzten Stunde der Wahrheit mäht uns der Sensenmann allesamt hin. Das klingt fast schon quasi-jenseits. Ist aber nur ein allzu bekanntes Narrativ, mit der Menschen seit jeher im Diesseits in Angst, aber auch in Schach gehalten werden. Der Schnitter kriegt jeden. Da habe ich mich erst einmal hingelegt und ein Nachmittagsschläfchen gehalten. Und von einem schwarzen Pferd geträumt, das über die welligen Hügel einer grünen Landschaft galoppiert, mitten in den Sonnenuntergang hinein.
Als ich wieder aufwachte, habe ich mich per E-Mail an Fox TV gewandt, mit der Bitte, eine Botschaft an die Welt senden zu dürfen. Die zentrale Message: „Die Wahrheit ist aber nun einmal, dass es wahrscheinlich wunderbar wird. Dass wir uns auf eine Massenauferstehung zubewegen, die besser wird als die bisherigen Massenauferstehungen der Erdgeschichte.“ Leider war das Copyright für diese These bereits an die katholische Kirche vergeben und so landete meine E-Mail nur im Spam eines gut gekühlten Datenservers auf dem Meeresgrund. So langsam schwante es mir. Es war immer ein religiöser Riegel, welcher wahlweise der Apokalypse oder eben der Weltenrettung vorgeschoben war. Das machte mich noch neugieriger. Ich zog mich deshalb für ein Jahr von der Welt zurück und forschte in den üppigen Weiten der Weltdeutungspropheten. Dort, davon war ich überzeugt, mussten die wahren geistigen Urheber sitzen. Auf jeden Fall die Weltuntergangsapolegeten mit Copyrightschutz. Ich wollte so werden wie sie. Dann würde die Süddeutsche Zeitung bestimmt eines Tages anrufen und mir die Frage stellen: „Kommt die Apokalypse also so oder so?“
Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK/ 94, 04.11.2019