MONTAGSBLOCK /74

Zwischen den Jahren besuchten Armin Nassehi und ich in Flensburg den Grünenvorsitzenden Robert Habeck. Wir führten mit ihm ein Interview, das im nächsten Kursbuch erscheint, welches den Titel „Das Grün“ tragen wird. Wir nahmen uns ausführlich Zeit, miteinander zu reden, waren danach zuerst gemeinsam auf einem Schiff, sind dann durch die Stadt geschlendert und haben einen Rum und einen Helgoländer getrunken. Robert Habeck und Andrea Paluch sind wirklich gastfreundliche und fröhliche Nordlichter, die uns beiden, einem Bayern und einem Fastbayern, die nötige Gelassenheit sowie die ehrliche Neugier, einander kennenzulernen, entgegenbrachten. Ich betone das deshalb und meine es keineswegs ironisch, weil wir an diesem Tag etwas erlebt haben, was im optimierten, virtuellen Sozialdialog kaum mehr vorkommt: sich kennenlernen, einen sich entwickelnden Diskurs führen, abschweifen und langsam die Eckpunkte und Abzweigungen des je eigenen Denkens entdecken und miteinander verknüpfen.

Ein paar Tage später dann die Nachricht. Robert Habeck und Andrea Paluch strandeten in einer Hackerattacke, durch die persönliche Gespräche innerhalb der Familie unter anderem in rechten Medien sichtbar wurden. Robert Habeck war von diesem Überfall sichtlich geschockt, was ihn dazu brachte, aus dem Social-Media-Karussell auszusteigen. Schließlich seien sehr private Korrespondenzen innerhalb der Familie ohne Zustimmung öffentlich gemacht worden. Überdies tauchten zwei Wahlkampfvideos auf, in denen Robert Habeck ein östliches Bundesland zu mehr Demokratie aufforderte. Er erntete massive Kritik dafür. Am Ende hat er selbstkritisch bilanziert, Twitter verführe zur Zuspitzung und zur überhitzten Stellungnahme, deshalb steige er aus. Stellt sich für viele die Frage: Darf der Habeck überhaupt so denken, als Akteur einer kleinteiligen und kleinräumigen Skandalisierungsrhetorik in Medien und Politik, die den Augenblick des moralischen Schnellurteils längst über den Prozess des kompetenten Abwägens gehoben hat? Schließlich befeuern Twitter und Facebook aufs Intensivste die politischen Kommunikationskamine der Republik. Und wir delektieren uns an der Interpretation der Rauchschwaden, die durch die Lande ziehen. Davon profitiert ja nicht zuletzt auch ein Habeck.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat die Debatte zum Anlass genommen, am Freitag in der SZ seine Sicht der Dinge darzustellen. Sie gipfelte in der These, die Öffentlichkeit produziere Angstpolitiker, die sie dann verachte: „Wer will eigentlich noch in das politische Geschäft einsteigen, wenn man ihn nach einem Angriff auf die eigene Familie  und nach einer unbedachten Überreaktion wie der Account-Löschung sofort als ungeeignet  aussortiert?“ Die Gesellschaft setze ihre Politiker unter Beobachtungsdruck und Reaktionszwang und verlange ihnen permanent authentische und perfekte Stellungnahmen ab. Das produziere einen politischen Burn-out und einen Politiker, der sich hinter Phrasen verschanze und ängstlich taktiere, nur, um nicht das Falsche zu sagen. „Er wird verstärkt angreifbar, seine Berührbarkeit ist seine offene Flanke.“

Was tun? Vorschlag: Wir brauchen jenseits der medialen Dauerbeobachtung und Skandalisierung zunächst mehr private Schutzräume für das eigene Denken. Abseits der großen medialen Verstärker und Skandalerhitzer. Vielleicht liegt eine mögliche diskursive Zukunft darin, Twitter, Facebook & Co. einfach zu verlassen und uns fürs ungeschützte Scharmützeln von Argumenten wieder privat zu treffen? Kleine Salons, Gesprächszirkel, Essenseinladungen, lange Telefonate, Feierabendbier oder einfach aufn Kaffee? Ich weiß, das klingt furchtbar naiv. Aber die in den sozialen Medien eingesparte Zeit reicht eventuell dafür aus. Schauen Sie nur einmal auf Ihre wöchentliche Bildschirmzeit am Smartphone. Wow, oder? Ich gebe zu: Ich war und bin bis heute nicht bei Facebook, Twitter oder Instagram. Vermisst hat mich dort keiner, wie wohltuend. Und ich bin froh, dass ich nicht permanent dem Daten- und Meinungsstream von so vielen wichtigen und interessanten Menschen folgen musste. Irgendwie hätte ich dafür auch gar keine Zeit gehabt.

Übrigens haben Armin Nassehi und ich an diesem Tag zwischen den Jahren festgestellt, dass wir endlich mal ausreichend Zeit hatten, uns auszutauschen. Ohne Tagesordnung, Terminterror und Zeitdruck. Wir haben die Themen vorbeiflanieren lassen, uns das eine oder andere gegriffen und es hin und her gewendet. Privates, Berufliches und Intellektuelles mäanderten fröhlich vor sich hin an diesem grauen, kalten Wintertag. Das Gespräch mit Robert Habeck wirkte ebenfalls noch nach und ploppte in Argumenten und Thesen immer wieder auf. Am Ende unseres Flensburg-Tages haben wir dann beide festgestellt: „Das war echt ein schöner Tag!  Wir hatten richtig viel Zeit, miteinander zu reden. Das sollten wir jetzt jedes Jahr machen.“ Ein guter Vorsatz, oder?

Peter Felixberger

MONTAGSBLOCK /74, 14. Januar 2019