Haben Sie es schon gehört? Jetzt schlägt die Stunde der Niederbayern. Der Aiwanger Hubsi will Minister unter Söder werden. Und der Weber Mane gleich EU-Kommissionspräsident. Beide stammen aus dem Landkreis Landshut. Ich auch, allerdings bin ich in Landshut Downtown geboren! Zu meiner Sippe gehörten Metzger und Gastwirte in der westlichen Peripherie von LA. Die Großeltern führten ein Gasthaus in Münchsdorf. Das Prinzip war einfach: Am Montag wurde das Bier geliefert. Am Freitag fuhr die Oma nach Landshut zum Reichardtbräu zum Bezahlen. Wenn das Geld nicht reichte, musste mein Vater gelegentlich zu Verwandten nach Vatersdorf radeln und Geld leihen. Zurück bekamen sie es immer, denn kein Niederbayer will auf Dauer etwas schuldig bleiben. Meine Mutter kam mit ihrer Familie in einem Flüchtlingstreck aus dem früheren Sudetendeutschland. Die „Vertriebenen“ wurden auf die Dörfer verteilt. Demografisch gesehen war diese Blutauffrischung ein evolutionärer Fortschritt in einer Region, in der arrangierte Ehen zum Alltag gehörten und das Wort Inzucht dunkle Schneisen in das Landleben fräste.
Für die Niederbayern untereinander gibt es prinzipiell kein abweichendes Verhalten. Jeder darf so verrückt sein, wie er will. Das war schon in meiner Kindheit so. Der Steinmeier Toni etwa, ein Kleinbauer, der oft um sechs Uhr morgens an die Tür zur Gastschenke klopfte und um Einlass bettelte. Ein Alkoholiker, aber wir Kinder lachten, wenn er uns aus seinem Maßkrug nippen ließ. Oder der Stadler Sepp, ein verwandter Metzger in Altfraunhofen, der immer sturzbesoffen und stets rückwärts mit seinem VW-Käfer nach Hause fuhr. Oder der Bauunternehmer Aigner, der mit zehn Stundenkilometern einen Baum rammte und im Auto einschlief, bevor ihn der Dorfpolizist persönlich heimfuhr.
Der Niederbayer huldigt einem sehr innigen Familienbegriff. Alles um einen herum wird quasi als Familie begriffen. Egal, wer oder was daherkommt. Mein Onkel Rudi zum Beispiel, immerhin mein Taufpate, ist ein pensionierter Schlosser in Thann. Wir sehen uns selten und wenn, dann ist ihm ein kleines Misstrauen gegenüber mir als Schreiberling deutlich anzumerken. Früher mussten ihm meine Eltern bisweilen unter Eid bestätigen, dass ich meinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann. Aber er mag mich, bin ja Familie.
Eines Tages habe ich den Rudi gefragt, ob er mir eine neue Gartentür bauen würde. Er habe wenig Zeit als Rentner, mal sehen, war seine ausweichende Antwort. Einige Wochen später kam der Onkel Rudi an einem Samstagvormittag mit dem Anhänger und brachte ein verzinktes Gartentor. „Und?“, fragte er. Ich schaute ihn an. „Aber darüber, wie es aussehen soll, haben wir doch gar nicht geredet?“ „Ich bin halt herumgefahren und habe geschaut, was die Leute so haben. Dann habe ich mir einen Plan gezeichnet“, erwiderte er. Das hatte natürlich eine unwiderstehliche Überzeugungskraft. Daraufhin hat der Onkel Rudi die Tür mit den aufwendigen Beschlägen eingebaut. Ehrensache, dass er nur das Material abgerechnet hat. Keine Widerrede.
Zurück zu Hubsi & Mane. Als gestandene Niederbayern schützen sie die Freien Wähler und die CSU. Und das Volk sowieso, wie unzählige, ungefragt hergestellte symbolische Gartentüren beweisen. Ebenso wie der Onkel Rudi fragen sie nicht, wenn sie jemand anderem etwas Gutes tun wollen. Es geschieht einfach im Sinne eines höheren niederbayerischen Weltbildes: Wer drin ist, profitiert! Was wiederum zwei Konsequenzen hat: Es gibt keinen, der draußen ist. Außer, er flieht. Andererseits: Wenn das Drinnen zum Käfig wird, gibt es kein Entrinnen. Man gehört dazu, und zwar für immer.
Der Söder Markus versteht dieses Spiel nicht. Er ist eher ein fränkischer Machtzuzler, der seine CSU-Familie wie ein Vampir aussaugt. Gutes tut er nur aus Machtkalkül. Und blickt deshalb gerne auf die anderen herab. Dann taxiert er uns, umarmt oder lässt uns fallen. Die beiden Grünen, die Katha und der Luggi, können ein Lied davon singen. Der Hubsi wird sein blaues Wunder auch noch erleben, denn er geht als niederbayerischer Stammesangehöriger und Familienmensch bereits blauäugig in die Koalitionsverhandlungen. Der Söder als fränkischer Egobrötler wird den Hubsi über den Tisch ziehen. Doch keine Sorge, dahinter steht der Mane bereit. Er wird auf lange Sicht der neue starke Mann der CSU werden, wenn der Söder Markus und seine ehemalige JU-Clique aus Dospinnst und Scheuklappe dereinst im Fegefeuer von Selbstüberhöhung und Machthybris schmoren werden.
Früher war es bei den niederbayerischen Bauern so: Der Erstgeborene bekam den Hof. Der zweite Sohn sollte Priester werden. Der dritte musste zusehen, dass er woanders einheiratet. Erst der vierte musste einen richtigen Beruf erlernen. In dieser Hierarchie war auch das soziale Prestige festgelegt. Familie vor Kirche vor Schicksal vor Beruf. Kirche und Schicksal sind raus. Der Hubsi wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf, der Mane mit zwei Brüdern in der Hallertau, 20 Jahre spielte er E-Gitarre in einer heimischen Partyband. Und ewig klingt der Mane: „Familie ist die wichtigste Schule für unser Leben. Als Zweitältester von drei Söhnen durfte ich mich schon früh in Durchsetzungsvermögen und Teamfähigkeit üben … Meine Familie ist für mich der Rückzugsort schlechthin.“
Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /68, 22. Oktober 2018