MONTAGSBLOCK /58

Der, der in Bayern gerade aus allen Nähten platzt, ist der Söder Markus. Und damit meinen wir nicht nur sein unstraff wachsendes Körpervolumen. Nein, nimmermüde mimt er auch den neuen, übermächtigen Landesvater, Beschützer und Hüter bayerischer Werte und Kultur. Gewählt wurde er vom Volke zwar nicht direkt, aber so genau nimmt das hier eh keiner. Die CSU regiert sowieso durch, und der Markus Söder sticht, wenn es sein muss, breitbeinig durch alle Lebens- und Alltagswelten hindurch: Wer in Bayern leben will, soll sich gefälligst der bayerischen Kultur und „unseren Werten“ unterordnen. Wer nicht, soll sich schleichen. Kein Wunder, dass der Bayernblock en gros vor drohenden Gefahren geschützt werden muss. Und zweimal kein Wunder, dass die Polizei per neuem Aufgabengesetz selbige abwehren soll.

Nachdem der Söder Markus diesbezüglich keine weiteren nachhaltigen Erklärungsmodelle anbieten kann, verlassen wir ihn an dieser Stelle kurz und wenden uns dem noch gewichtigeren Thema zu, das über allem schwebt: der politischen Machtfülle. Wie ist sie eigentlich codiert und aufgeladen, damit Typen wie der Söder Markus sie postpotent ausüben können? Der Soziologe Niklas Luhmann hat diesbezüglich politische Macht einmal als „Möglichkeit von Sanktionen belohnender oder bestrafender Art“ bezeichnet. Politische Macht stütze sich auf die Macht, negative Sanktionen aufzurufen und durchzusetzen. Politische Macht brauche hierfür beide: den, der negativ sanktionieren kann, und den, der weiß, dass er negativ sanktioniert werden kann. Allerdings basiere politische Macht zunächst auf der Androhung negativer Sanktionen – sie müssen gar nicht ausgeführt werden, um wirksam zu sein.

Sie merken schon: Die „drohende Gefahr“ ist eine kongeniale Leitbegrifflichkeit in dieser politischen Machtsemantik. Luhmann schreibt dazu: „Macht muss ihre Mittel zeigen, aber zugleich vermeiden, dass sie sie anzuwenden hat.“  Für die Mächtigen zieht dies erhebliche symbolische Anstrengungen nach sich. Polizei und Militär beispielsweise funktionieren als Machtträger am besten, wenn sie nicht gezwungen sind, aktiv zu werden. Denn damit wird der Anschein allmächtiger Durchsetzungskapazität am effektivsten gewahrt. Der politische Gegner traut sich im besten Fall nicht, eine Gegenmacht aufzubauen. Es reicht, wenn der Colt in der Mittagssonne blitzt. Der Machthaber braucht allerdings nicht ständig bewaffnet herumzulaufen, um seinen Entscheidungen Nachdruck zu verleihen: 12 Uhr mittags ist genug!

Jetzt wird es interessant. Stellt sich nämlich die Frage: Wer darf eigentlich die politische Macht ganzjährig durchsetzen? Hier helfen uns zwei Meisterdenker aus dem 20. Jahrhundert weiter: Walter Benjamin und Jacques Derrida. Für Benjamin basiert jede Machtbeziehung auf Gewalt. Deshalb verleihe es jedem das Recht, gegen den anderen Gewalt in irgendeiner Art auszuüben, falls dieser vertragsbrüchig werden sollte. Die Staatsgewalt agiert also exklusiv nicht mehr vorbeugend gegen die, von denen Gefahr droht, sondern wird vice versa selbst zum Objekt, dem Gewalt widerfahren kann. Machthaber und Untertan sind auf Augenhöhe im Vertragspoker um die politischen Machtverhältnisse. Das Drohpotenzial wird folglich nicht nur aufseiten der Machthaber sichtbar gemacht, sondern auch aufseiten der Untertanen. Das Individuum ist jetzt in der Lage, seine private Ordnungsmacht freizulegen und zu nutzen. Gary Cooper findet Verbündete, und es kommt zu Schießereien.

Jacques Derrida wiederum geht der wilde Westen zu weit. Er ruft nach dem Sheriff, und hier kommt der Söder Markus wieder ins Spiel. Politische Macht basiere, so Derrida, nicht nur auf Gewalt, sondern auf der Gewalt des Stärkeren. Nur der Kräftigste und Stärkste steht oben. Wer die Macht hat, kann Gewalt ausüben. Wer Gewalt ausübt, setzt das Recht. Wer das Recht setzt, hält die Gerechtigkeit aufrecht. Willkommen in der westlichen Welt. Der Machthaber ernennt Executives für die Durchsetzung politischer Macht. Der Sheriff hat viele Hilfssheriffs, die ihm den Rücken freihalten.

Wir sind fast am Ziel. Zur politischen Machtlegitimierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes kann man drei Denkfiguren heranziehen: Einmal blitzt der Colt, einmal wird er gezogen und es kommt zu wilden Schießereien, und drittens sorgen viele Colts für Ruhe und Ordnung. Ob sich der Söder Markus schon entschieden hat? Keiner weiß es. Das bayerische Volk hat im Herbst jedoch die Möglichkeit, ihm diese Entscheidung abzunehmen und wieder für Ruhe und Ordnung in der politischen Machtzentrale zu sorgen. In der Hoffnung, dass dann der Colt nur blitzen möge.

Peter Felixberger

MONTAGSBLOCK /58, 21. Mai 2018