In den letzten Montagsblocks haben wir, Peter Felixberger und ich, uns stark auf die Frage des Fremden, auf die Folgen des Flüchtlingsdiskurses und auf rechte politische Denkungsarten kapriziert. Dabei wurde deutlich – und all das ist in den letzten Kursbüchern nachzulesen, im nächsten übrigens auch –, wie groß der Wunsch danach ist, alles als aus einem Guss bestehend beschreiben zu können. Das gilt freilich auch für vieles andere – überall ist der starke Wunsch zu beobachten, die Dinge mögen irgendwie aus einem Guss sein, sich einer Gesamtgestalt fügen und möglichst durch Kommunikation auf Augenhöhe handhabbar werden.
Unternehmen erschreiben sich mission statements mit bekenntnisfähigen Zugehörigeitsmustern, corporate identities sollen die interne Komplexität von Organisationen heilen, Forschung und Krankenbehandlung werden mit ethischen Anforderungen überzogen, der gesamte Alltag gerät unter die Knute ethischer Zusammengehörigkeitszumutungen. Essen und Trinken, Lieben und Transport, Konsum und Körperpflege, Kleidung und Kultur – fast nichts ist sicher davor, dass man Widersprüche beklagt und Bekenntnisse zu gemeinsamen Zielen einfordert, geschlechter-, alters-, kompetenz- und herkunftsgerecht.
Gegen all das ist kaum etwas zu sagen, normativ schon gar nicht. Und dennoch stellt sich, wenigstens bei mir, ein merkwürdiges Unbehagen ein, weil ganz offenbar der Sinn für Differenz ebenso verschwindet wie die Einsicht darein, dass man über die moderne Gesellschaft und ihre Organisationsformen alles sagen kann, nicht aber, dass sie aus einem Guss sind. Der Sensus für die zivilisatorische Errungenschaft der Differenzierung gesellschaftlicher Funktionen und ihrer Emanzipation voneinander, auch für die Errungenschaft der Indifferenz gegenüber anderen Orientierungen und Denkungsarten, sogar der Sensus für den Gewinn aus Widersprüchen und Spannungen scheint verschwunden zu sein. Dagegen gibt es eine Anspruchsinflation auf universalistisches Gehör und einheitliche normative Standards, gepaart mit einer Denkfaulheit darüber, dass das Anstrengende der Moderne, ihr unumkehrbarer Trend zur Perspektivendifferenz, nur unter hohen Kosten weggearbeitet werden kann.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass diese Ansprüche auf Konsistenz und Widerspruchsfreiheit und die Orientierung an Gemeinsamkeit und der Traum von dem einen Guss das funktionale Äquivalent für die Enge jener Rechten ist, deren Denkfaulheit sich der kulturellen Gleichförmigkeit von Gesellschaften verschrieben hat. Wie die Wiedergänger der nationalen Selbstbeschreibungen sich eine Welt ohne das kulturell und ethnisch Fremde vorstellen, machen die Agenten der Anspruchsinflation auf Einsicht in gemeinsame Lösungen die Rechnung ohne die innere Differenziertheit der Moderne. Nicht dass ich in einen Topf werfen wollte, was ganz unterschiedlichen Herden entstammt, aber die Grundrezepte sind sich ähnlicher, als es zunächst erscheint. Vielleicht ist das die eigentliche Krise: die Denkfaulheit gegenüber der Eigenkomplexität der modernen Gesellschaft, die sich um diese Formen der Selbstbeschreibung kaum scheren muss, weil diese aufs Operative gar nicht durchschlagen. Sie schützt sich in ihrem Operieren selbst – wird dann aber auch immun gegen Eingriffe, weil sie sich nicht auf die Eigenkomplexität einstellt. Und alles nur wegen der Denkfaulheit. Solche Formen hätte man früher Ideologie genannt. Das trifft es vielleicht auch heute noch.
Und um das zu sehen, machen wir übrigens das Kursbuch.
Armin Nassehi
MONTAGSBLOCK /5, 25. April 2016