MONTAGSBLOCK /42

Was haben Donald Trump, Frauke Petry, die Bundestagswahl und der FC Bayern gemeinsam? Richtig, alle vier sind in Schicksalsfragen unberechenbar und nahezu unbegreiflich geworden. Trump aufgrund schwankender Intelligenz, Petry mit bizarrer Allmachtsfantasie, die Bundestagswahl mit spontan neuen Mehrheiten und der FC Bayern mit abrupter Über-Nacht-Verwandlung in eine Gurkentruppe. Man fragt sich, welcher Keim zu diesen plötzlichen Überraschungen führt. Verbreitet er sich zufällig und aus heiterem Himmel auf die Menschheit stürzend? Stehen dahinter vielleicht perfide diabolische Kräfte? Oder folgt alles einer unausweichlichen, unbekannten Ablauforganisation?

Gehen wir der Sache etwas näher auf den Grund. In seiner Poetik verwendet Aristoteles den Begriff der Peripetie. Sie bezeichnet den meist plötzlich eintretenden Umschlag einer dramatischen Handlung. Es geht um diesen einen Moment, den genialen Moment, bei dem es ins Positive oder Negative dreht. Mit ungeahnter Tragweite. Es ist, wie wenn man einen Motor anwirft und die Drehzahl urplötzlich hochjazzt, ohne dass sie noch zu beeinflussen wäre. Die drei Brüder Severin (Theaterregisseur), Alexis (Topmanager) und Raphael (Musikdirektor) von Hoensbroech haben hierzu ein wunderbares Büchlein geschrieben.* Ich habe die drei vor zwei Jahren in Berlin kennengelernt. Wir tranken Kaffee und Tee in einem Berliner Hotel und erzählten uns Schoten über jene genialen Momente, in denen sich das Wetter dreht. Schließlich gingen wir auseinander und waren uns einig, ein Buch daraus zu machen. Was jetzt nach einigen kleinen Umwegen erschienen ist. Und in dem die Autoren die Techniken und Grundprinzipien beschreiben, die den Weg zu diesen Peripetie-Momenten ebnen.

So, Ende des Werbeblocks. Noch nicht ganz. Denn Severin von Hoensbroech, Psychologe, Schauspieler und Regisseur, liefert ein wichtiges Detail für unseren kleinen Gedankenflug. Er ist überzeugt davon, dass die Peripetie eine Krise als Ausgangspunkt braucht. „Die Krise ist häufig der Humus der Peripetie.“ Und die beginnt oft schon im Gehirn. Dort werden dann Kräfte freigesetzt, Potenziale geweckt oder ganz profan Blockaden und Grenzen gesetzt, die einen ins Verderben führen können.

Nehmen wir diesbezüglich einmal Horst Seehofer und Angela Merkel als schwankende Peripetie-Helden. Heute beginnen sie ja ihre Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung. Peripatetisch gesehen aus einer ziemlich miesen Lage. Denn beide stecken in einer Krise. Das schlechte Wahlergebnis hat sie auf dem falschen Fuß erwischt. Und anstatt im Sinne des genialen Moments die Krise zu nutzen und über die Freisetzung von Kräften nachzudenken, setzten beide schon in der Wahlnacht eine Grenze und eine Blockade. Seehofer und seine Vasallen wollten sofort die rechte Flanke mit einer Obergrenze schließen. Merkel wiederum bekräftigte nur, dass sich keiner in ihr Regierungsgeschäft einzumischen brauche. Schließlich sei ja nichts Großes passiert, sie müsse sich um Größeres kümmern (die Welt!). Was sie dabei nicht bemerkt hat? Merkel blockiert den Aufruhr und zieht eine Grenze um sich herum.

Da liegt aber das eigentliche Problem, und zwar für beide. Sie stehen mitten in der Petersilie und finden nicht mehr heraus. Denn Seehofer und Merkel gelingt es peripatetisch nicht, die Krise zu nutzen. Vielmehr verpassen sie gerade den genialen Moment, mit neuen Freiheitsgraden ausgestattet das Überraschende zu tun. Was bei Seehofer nicht weiter überrascht, da er nur noch den starrsinnigen Altbauern aus dem CSU-Intrigantenstadl spielen kann. Bei Merkel wundert es hingegen. Sie, die etwa den Ausstieg aus der Atomkraft und die Ehe für alle zur Überraschung aller verkündete und damit brodelnde Horizonte wie Phönix aus der Asche in die Arena des Politischen schob. Fast schon hätte sie in der Peripetie-Geschichte einen Ahnenplatz erhalten. Doch ihr Starrsinn verhindert es. Die Meisterin des genialen Moments wird zum Opfer eigener Grenzziehung.

Was heißt das für die neuen, kleinen Regierungsaspiranten? Die FDP und die Grünen werden, wenn sie klug sind, die Peripetie für sich dahingehend nutzen, das Thema der größeren Perspektive stark zu machen. Mit der Zukunft als Leitbegriff. Doch „um eine Vision vertreten zu können, muss man zunächst einmal eine haben“, sagt Raphael von Hoensbroech zu Recht. Als Musikwissenschaftler, Dirigent und Unternehmensberater kennt er den Unterschied zwischen Musikmachen und Notenspielen. Beim nur Notenspielen braucht es keinen Dirigenten mehr. Ob Seehofer und Merkel noch einmal gemeinsam Musik orchestrieren oder bloß ihre Noten herunterspielen, wird peripatetisch über ihr Schicksal entscheiden. Wer führt, muss wirksam sein und etwas bewegen! Das gilt in Wirtschaft, Politik und auch im Fußball. Ach ja, Jupp Heynckes wird heute erstmals das Training beim FC Bayern leiten.

* Raphael, Severin, Alexis von Hoensbroech: Das Peripetie-Prinzip. Die Kunst wirksamer Führung. 216 Seiten. Murmann Publishers, Hamburg 2017.

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /42, 09. Oktober 2017