MONTAGSBLOCK /40

Angela Merkel und Martin Schulz werden nach einem Hurrikan als Schiffbrüchige an eine Insel angeschwemmt. Der Morgen danach: Beide sitzen am Strand, zerzaust vom Sturm in der Nacht, ein bisschen zerbeult, zerkratzt, gestaucht, aber mehr ist ihnen nicht passiert. Eine wunderschöne Insel, denken sie, während sie gemeinsam aufs Meer blicken. Noch wissen sie nicht, dass es auf der Insel zwar alle Ressourcen im Überfluss gibt, aber leider keine einheimische Bevölkerung, über die man regieren kann. Angela und Martin beginnen, die Insel zu erkunden. Die ersten Tage verstreichen wie Schmelzkäse in der Wüste. Nach einiger Zeit wird ihnen klar, dass sie nicht damit rechnen können, in den nächsten Jahren gerettet zu werden. Sie sind auf sich selbst gestellt und müssen ihren Alltag organisieren. Die kleine Welt der Angela und des Martin – Paradies oder Hölle? So sitzen sie unter Palmen und fangen an, miteinander über eine gemeinsame Zukunft zu reden. Nach dem Motto: Wir gründen eine gerechte Zweiergesellschaft. Kein Wunder, dass die beiden zunächst verhandeln, wer welchen Anspruch auf welche Ressourcen hat.

Martin: „Wir verteilen alles gerecht fifty-fifty unter uns.“

Angela: „Ok, einverstanden. Aber ganz ehrlich: Zu den Kokosnüssen komme ich nicht mehr hoch. Das schaffe ich rein körperlich nicht. Da musst du mir helfen, Martin.“

Martin: „Dafür könntest du mir etwas von deinem Wasser abgeben. Oder noch besser: Wir führen als Tauschmedium Muschelgeld ein. Damit kann man Dinge vom anderen erwerben. Man bezahlt einfach mit den Muscheln, die hier herumliegen.“

Angela: „Was allerdings einen Haken hat, Martin. Wenn nämlich jeder von uns mit gleich vielen Muscheln beginnt, wird derjenige reicher, der kräftiger ist oder mehr physische Fähigkeiten hat. Das heißt, wir fangen zwar gleich reich an, aber langfristig verliere ich dabei, weil ich physisch schwächer bin.“

Martin: „Na gut, Angela. Nur, wie kriegen wir eine Form von Gleichheit zwischen uns beiden hin, welche unsere unterschiedlichen Stärken berücksichtigt und die wir lange aufrechterhalten können?“

Angela: „Ich schlage eine – nennen wir sie – anständige Zweiergesellschaft vor. Ohne Ungleichheit, die zu individueller Demütigung führen könnte.“

Martin: „Siehst du, deshalb bin ich ja für uneingeschränkte Verteilungsgerechtigkeit, um den anderen zu entschädigen. Es liegt in der Verantwortung jeder Gesellschaft – auch von uns beiden als Zweierkollektiv –, die Verteilung von glücklichen Zufällen und Schicksalsschlägen zu verändern. Du bist Bundeskanzlerin, ich nicht. Aber du bist dicker als ich und nicht so fit wie ich. Für eine gerechte Verteilung ist es erforderlich, dass die Fitten einen Teil oder die Gesamtheit der Vorteile, die sie ihrer Fitness verdanken, an die Unfitten abtreten. Und umgekehrt die Mächtigen an die Ohnmächtigen. “

Angela: „Mensch, Martin. Ich will doch nur ein paar Kokosnüsse von dir. Deine Umverteilung von Haben-Können zu Haben-Wollen gibt dir Macht über mich, die ich nicht zulassen werde. Am Ende muss ich dich wahrscheinlich noch um die Kokosnüsse anbetteln. Lass uns doch vereinbaren, dass die Kokosnüsse zu unser beider Wohlergehen gleich verteilt werden. So läuft doch das Demokratiegeschäft: Alle müssen sich wohlfühlen.“

Martin: „Sehe ich nicht so. Eine Art Wohlergehensgleichheit, wie von dir gefordert, hat seine Tücken. Nehmen wir nur zum Beispiel an, dass ein einigermaßen wohlhabender Mann mehrere Kinder hat, von denen eines blind ist, ein anderes ein Playboy mit kostspieligen Vorhaben, ein drittes ein angehender Politiker mit teuren Ambitionen, ein weiteres ein Dichter mit bescheidenen Bedürfnissen, ein fünftes ein Bildhauer, der mit teuren Materialien arbeitet, und so weiter. Wie soll er sein Testament gestalten?“

Angela: „Ist doch ganz einfach, Martin. Wenn er Wohlergehensgleichheit anstreben würde, wird er das Vermögen sehr unterschiedlich verteilen, je nachdem, wie er Wohlergehen definiert. Wenn er hingegen Ressourcengleichheit erreichen will, müsste er sein Vermögen zu gleichen Teilen aufteilen, vorausgesetzt, die Kinder sind in etwa gleich wohlhabend. Die Folge: Würde der Vater zu dem Ergebnis kommen, dass er dem behinderten Kind zum Ausgleich mehr vom Erbe zukommen lässt, würde er gleichzeitig dem Kind mit den kostspieligen Ansprüchen Ressourcen vorenthalten, um dessen aufwendigeres Leben zu finanzieren. Das Problem ist sogar: Wer Wohlergehensgleichheit will, erntet Ressourcenungleichheit. Und umgekehrt: Wer Ressourcengleichheit will, wird Wohlergehensungleichheit in Kauf nehmen müssen. Kurzum: Würde das behinderte Kind mehr Vermögen bekommen, würde das erfolgsambitionierte Kind dadurch ungleich behandelt. Würden beide gleich viel Vermögen erhalten, würde das behinderte Kind eingeschränkt sein, sein Wohlergehen zu erhöhen.“

Martin: „Weißt du was, Angela? Ich hole dir so viele Kokosnüsse von den Palmen, wie du willst. Ohne Gegenleistung. Unsere Lage ist schon kompliziert genug.“

Angela: „Schön, Martin, dass du doch noch zur Vernunft gekommen bist.“

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /40, 11. September 2017