MONTAGSBLOCK /37

Gibt es so etwas wie eine strukturelle, vielleicht sogar habituelle, womöglich, horribile dictu, unvermeidliche Dummheit der Sieger? Gibt es eine Dummheit im Lorbeerkranz?

Es sieht fast so aus. Denkt man an die Meldungen dieser Tage, dass die Spitzen der deutschen Automobilindustrie sich womöglich in einem Kartell über gemeinsame illegale Praktiken abgesprochen haben, könnte man das durchaus als eine der Dummheiten ansehen, die es vielleicht nur bei Siegern gibt, oder bei Siegern, denen langsam schwant, dass es sich ausgesiegt hat. In einem Tweet hat Tom Strohschneider, der Chefredakteur des Neuen Deutschland (ausgerechnet!) dieses Gehabe ebenso süffisant wie zutreffend als „Geheimplanwirtschaft“ beschrieben.

Ob die Vorwürfe in dieser Form nun stimmen oder nicht – sie verweisen tatsächlich darauf, dass gerade Siegern die Kategorien über die Bedingungen ihres Erfolgs aus dem Blick geraten sind. Man kann sich das schematisch etwa so vorstellen: Während der Sieger nach einem Kampf wenig Anlass und Anreiz hat, sich über seine Strategien Gedanken zu machen, hat schon der zweite Sieger, wie man den ersten Verlierer gerne nennt, einen höheren Anreiz, sich über seine Lage Gedanken zu machen. Dem Sieger erscheinen die Verhältnisse als quasi-natürlich, dem Verlierer erscheinen sie als suboptimal und veränderbar. Deshalb wird der Verlierer aufmerksamer und wacher sein müssen, während der Sieger schon aus Bequemlichkeit nicht gerade auf Veränderung setzt. Exakt deshalb richten sich die Erfolgreichen auch gerne in ihrem Erfolg ein – und kommen damit auch sehr oft durch.

Für die deutsche Automobil-Industrie sind diese Überlegungen wie gemacht. Es sind wirklich Sieger, Weltmarktsieger, und das mit Recht und mit wirklich grandiosen Lösungen – wenn man genau hinsieht, gibt es derzeit auf dem Weltmarkt nur drei wirklich erfolgreiche Spieler: Japan, Korea und Deutschland. Letztere waren lange die Technologieführer schlechthin, aber ihr Erfolg hat ihnen auch den Anreiz gesetzt, die Erfolgstechnologie immer weiter zu verfeinern, also auf der Siegerstraße weiter zu gehen, dem Diesel noch einmal einige Verbrauchsliter zu entziehen und dies dann durch noch mehr Leistung zu kompensieren. Ein Erfolg auf ganzer Linie – und auch ein nationalökonomischer Erfolg, was die akribische Stützung dieser Industrie durch deutsche Regierungen aller Couleur belegt. Es ist eben ein Erfolgsmodell – gewesen.

Wohlwollende Beobachter meinen, dass die deutschen Automobilbauer bei den neuen Technologien alternativer, vor allem emissionsfreier Antriebe nicht die Ersten waren, aber mit ihrer technologischen Potenz die Dinge nun selbst in die Hand nehmen werden. Zumindest sieht es derzeit nicht danach aus. Denn die Sieger haben so sehr gesiegt, dass in der Strategie der Kontinuierung und Optimierung des alten Technologiemodells so viel Investitionskapital verbaut und so viel Entwicklungskapital verplant ist, dass man sich das angesichts dieses volatilen Marktes kaum vorstellen kann.

Dass es ökonomisch vernünftig sein kann, zwischendurch ökonomisch nicht alles herauszuholen, was möglich ist, kann der Sieger womöglich nicht sehen. Da wirkt es dann fast rationaler, sich mit den Konkurrenten zusammenzutun und nach gemeinsamen Strategien zu fragen, wie man die Technologie von gestern noch ein wenig retten kann, um die eigenen Anlagen abschreiben zu können.

In Hegels Dialektik von Herr und Knecht kann man nachlesen, was da in Untertürkheim, München, Ingolstadt und Wolfsburg so passiert. Nachdem der Herr durch eigenen Mut zum Herrn wurde, ließ er den Knecht für sich arbeiten. Mit der Zeit wurde aber deutlich, wie sehr der Herr, der nicht mehr arbeiten musste, von der Anerkennung des Herr-Knecht-Verhältnisses durch den Knecht abhängig wurde, weil nur dieser arbeiten konnte. Die Frage ist dann, ob es dem Herrn gelingt, durch Anerkennung des Knechtes dessen Arbeit für relevant zu halten, oder aber ob er in seiner letztlich kenntnisfreien Siegerpose verharrt und nicht mehr sieht, was geschieht. In dieser Pose scheinen die Leute zu verharren, die sich an einen noch kurzen Erfolg klammern, statt diejenigen anzuerkennen, die neue Lösungen anstreben – emmissionsfreie Automobile, intelligente Verkehrssteuerung, neue Produktkonzepte für Mobilität usw.

Wenigstens die Bundesrepublik hat sich so sehr von der Automobilindustrie abhängig gemacht, dass deren Erfolg zu einer Gefahr werden kann – in schlimmsten Szenarien für Deutschland womöglich gefährlicher als die Folgen der Finanzkrise. Wie sagte Theodor Heuss 1958 bei einem Truppenbesuch etwas unpassend? „Dann siegt mal schön!“ Wie unpassend das tatsächlich ist, kann man an jenem Kartell der Dummen sehen – dem Kartell jener Sieger, die mit Dummheit geschlagen sind, weil sie Sieger waren und sich nicht vorstellen konnten, dass das jemals anders sein könnte. Wenn man ihnen wenigstens nur vorwerfen könnte, dass sie banal eigene ökonomische Interessen vertreten, dann wär’s ja noch gut. Es ist aber viel schlimmer, weil sie offenbar nicht einmal das können!

Armin Nassehi
MONTAGSBLOCK /37, 24. Juli 2017