Eines, der vielen Dinge, die ich an den sozialen Medien nicht mag, ist das Posten von Selfies mit gerade verstorbenen Prominenten. Die schiere Masse von Bildern, die bei solchen Gelegenheiten das Netz fluten, lässt es jedes Mal so erscheinen, als habe der oder die Verstorbene kaum etwas anderes im Leben getan, als sich auf sozialen Veranstaltungen herumzutreiben.
Vergangene Woche habe ich allerdings genau das auch getan. Weil die einzige Person gestorben ist, bei der mir mein Erinnerungsbild von einem gemeinsamen Treffen wirklich etwas bedeutet hat. 2019 durfte ich mit Jane Goodall mein erstes Fernsehinterview führen. Sie trat bei einer Veranstaltung in München auf und hatte vorher eine ganze Reihe von Presseterminen. Ich war unglaublich aufgeregt. Das war aber sofort vorbei, sobald ich ihr gegenübersaß. Sie beantwortete mit einer bewundernswerten Geduld all die Fragen zu ihrem Leben und ihren Arbeiten, die sie vermutlich jeden Tag mehrmals auf ihren Reisen durch die Welt immer wieder beantworten musste – während es mir fast etwas peinlich war, sie genau wie alle anderen auch wieder blöd danach zu befragen, wie es denn nun war, als Frau ohne die nötige akademische Qualifikation das damals herrschende Paradigma der Primatenforschung umzuschmeißen.
Ich neige normalerweise wirklich nicht dazu, im Zuge von Interviews eine Art Fantum zu entwickeln. Aber ich erinnere mich noch gut daran, wie ich nach unserem Treffen das Gefühl hatte, einen der wenigen Menschen getroffen zu haben, auf den die Zuschreibung „weise“ zutrifft. Goodall war mit so einer Konzentration und Zugewandtheit bei der Sache, als hätte sie noch nie zuvor jemandem von ihrem Leben erzählt, brachte so eine Nachsicht gegenüber der Kleingeistigkeit ihrer damaligen akademischen Gegenspieler zum Ausdruck ohne den Hauch einer verbliebenen Kränkung und sprach über die Zerstörung der Natur durch den Menschen mit einer von Traurigkeit untermalten Verwunderung, als könne sie es kaum fassen, dass die vermeintlich intelligenteste Spezies der Erde sich dauerhaft als derart dumm erweisen wird.
Eine meiner letzten Fragen war, wie sie es macht, angesichts all dieser Krisen so positiv zu bleiben (wenn ich 2019 gewusst hätte, was in den folgenden Jahren so alles passieren würde…) – auch das eine Frage, die ihr natürlich alle stellten. Und sie antwortete, dass wir Hoffnung brauchen, um die Zukunft zum Besseren zu ändern. Weil wir alle etwas bewegen können und in der Welt einen Unterschied bewirken. In den sozialen Medien wurde diese Überzeugung Goodalls nun immer wieder geteilt. Mich hat sie damals aus ihrem Mund auch sehr beeindruckt, obwohl sie bei jedem anderen geklungen hätte wie ein kitschiger Kalenderspruch. Bei ihr war das nicht so. Vielleicht, weil sie genau das so ausdrücklich gelebt hat mit ihrem ruhelosen Nomadenleben, immer unterwegs in der Welt, um möglichst viele Menschen zu treffen und sie dafür zu sensibilisieren, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen.
Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, was genau diese Fähigkeit Jane Goodalls ausgemacht hat, die Menschen derart beeindrucken zu können. Eine wirklich gute Erklärung habe ich nicht gefunden. Auffällig ist aber, dass sie als Person wie eine Gegenthese zu unserer heutigen Zeit wirkte. Selbst wenn sie vorschlug, Elon Musk, Donald Trump, Putin und Xi mit einer Rakete auf den Mars zu schicken, klang sie noch ausgesprochen freundlich. Obwohl sich alles um sie drehte, zeigte sie keinerlei Anzeichen von Eitelkeit. All die negativen Gefühle, die so massiv durch unsere vernetzte Welt schwappen, schienen sie im Kern nicht zu erreichen oder zumindest nicht anstecken zu können. Vielleicht war es das: Dass ihre Botschaften durch ihre sanfte, stille und gleichzeitig entschiedene Art so besonders eindringlich und entlarvend wirken konnten – und nicht als Moralappelle oder laute Parolen geäußert wurden.
Schon 2019 war offensichtlich, dass Jane Goodall sehr alt war, mit ihren damals 85 Jahren. Aber gleichzeitig wirkte sie so jung und energiegeladen, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass sie irgendwann nicht mehr da sein würde. Die Nachricht ihres Todes am vergangenen Mittwoch hat mich sehr traurig gemacht. All das, was sie verkörperte, wird in dieser krisengeschüttelten Welt nun noch mehr fehlen.
Sibylle Anderl, Montagsblock /343
06. Oktober 2025