MONTAGSBLOCK /32

Lieber Martin Schulz, wir werden Sie auch nach diesem NRW-Wahlsonntag nicht so einfach aufgeben. Obwohl wir uns schon fragen, warum und vor allem wie Sie das Thema Steuergerechtigkeit in den Mittelpunkt des aufziehenden Bundestagswahlkampfes stellen.

Auf den Schulz gebracht: Es sei nicht gerecht, so der Mann aus Würselen, dass ein Bäcker seine Steuern zahlen müsse, aber ein globaler Kaffeekonzern sein Geld in Steueroasen parke. Es gehe um den Respekt vor der Lebensleistung von Menschen.
Was heißt das genau? Jeder soll steuerlich nur das zahlen, was er zu leisten imstande ist? Schulz plädiert in guter volkswirtschaftlicher Tradition für das Leistungsfähigkeitsprinzip: Der Einzelne wird nach seiner Leistung, also der Höhe des Einkommens und Vermögens, besteuert, womit eine gerechte Umverteilung höherer auf ärmere Einkommensschichten erreicht wird. Im Klartext: Bäcker verdient weniger, zahlt weniger Steuern. Kaffeekonzern verdient mehr, zahlt mehr Steuern. Das nennt sich Steuerprogression.

Voll gerecht, oder? Man will an dieser Stelle schon argumentativ abdrehen, weil alles plausibel und einleuchtend klingt. Bis man merkt, dass man durchaus mit zwei Brillen auf das Thema schauen kann. Brille 1, siehe oben: alles gerecht. Brille 2: alles ungerecht, weil der Kaffeekonzern, der mehr Leistung in Form von Umsatz und Wirtschaftskraft erbringt, sich selbst steuerlich bestraft oder überfordert fühlt und deshalb den Umweg über Steueroasen nimmt. Die Folge: Der Kaffeekonzern verweigert sich dem Progressionsgedanken, um finanziell weiter zu existieren. Er definiert, so würde wohl Schulz argumentieren, eigenmächtig das Leistungsfähigkeitsprinzip des Staates zum Selbstleistungsprinzip um.

Voll ungerecht, oder? Nicht ganz, denn beide Argumentationslinien sind zunächst schlüssig. Jeder fühlt sich allerdings in seiner Eigenlogik steuergerecht missverstanden oder sogar misshandelt. Der Bäcker, weil er ehrlich seine Steuern zahlt und mit dem Finger auf die Oasen zeigt. Der Kaffeekonzern, der seine Steuern so anpasst, dass er weiterhin Gewinne machen und sich refinanzieren kann. Was wirtschaftlich, würde der Kaffeeboss jetzt sagen, überhaupt die Voraussetzung ist, um Steuern zu zahlen.

Was lernen wir? Steuergerechtigkeit ist komplexer als eine billige Wahlkampftirade. Vor allem ist sie nicht so einfach, wie uns Schulz auf den ersten Blick auf den Leim führt. Moderne Gesellschaften inszenieren Komplexität, um zu überleben. Ja, sie inszenieren sogar einen vitalen Begründungslobbyismus, um die Meinungsbildung ihrer Akteure zu erleichtern und zu unterstützen. Der SPD-Politiker ebenso wie der Bäcker oder der Kaffeekonzern. Der eigentliche Witz besteht indes darin, die Begründungen als jeweilige Gerechtigkeitsgegenwarten zukunftsfähig zu halten. Denn am Ende muss der Bürger in der Wahlkabine komplexe Diskurse zu einem Kreuz eindampfen. Dafür braucht er die Heterogenität öffentlicher Erörterungslagen und nicht die Einfalt privater Helikoptermoral.

Also Schluss mit billigen Wahlkampfparolen. Mehr Mut zur komplexitätsbejahenden Vernunft. Das würde übrigens nicht nur zu Martin Schulz gut passen.
Lieber Herr Schulz, lassen Sie diese Vereinfachungen sein und trauen Sie dem Bürger ruhig die Auseinandersetzung mit Komplexität zu. Er wird es Ihnen eventuell mit seiner Stimme danken.

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /32, 15. Mai 2017