Unter Ökonomie versteht man den (mehr oder weniger planvollen) Umgang mit knappen Ressourcen. Ökonomisch zu handeln, bedeutet, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag angesichts knapper Güter in Rechnung zu stellen. Wären Güter, welcher Art auch immer, nicht knapp, bedürfte es keiner Ökonomie, und wären sie so knapp, dass es keinerlei Entscheidungsspielraum gäbe, ebenfalls nicht. Ökonomisches hat stets mit einer Kombination aus Knappheit und Entscheidungsmöglichkeiten zu tun. Deshalb neigt man bei der Reflexion des Ökonomischen dazu, auf Rationalität zu setzen, also darauf, den Nutzen im Sinne des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag zu maximieren. Dabei entsteht zugleich eine Differenz von Beobachtern, denn der Nutzen bzw. der erwartete Nutzen im Sinne des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag variiert – des einen Nutzen kann des anderen Nachteil sein, des einen Mittel steht dem anderen nicht zur Verfügung, und so etwas wie ein Gesamtnutzen ist das Konstrukt einer Beobachtung, die vor allem von der Definition Kriterien des Nutzens abhängt und von einzelnen Akteuren nicht unbedingt geteilt werden muss.
Genau genommen ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag also nicht einfach eine simple Summen- oder Verhältnisfunktion, sondern ein multidimensionales und komplexes Phänomen – und es hängt auf Märkten zugleich von dezentral handelnden Akteuren und Zurechnungspunkten ab, die eben nicht zentral zu steuern sind, ganz abgesehen davon, dass Knappheiten nicht einfach vorliegen, sondern auch ökonomisch hergestellt werden (müssen).
Aber es soll hier nicht um Ökonomie gehen, sondern um eine bestimmte Ökonomie, um die Aufmerksamkeitsökonomie nämlich. Auch Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut. Es folgt insofern einem „mentalen Kapitalismus“, wie es Georg Franck formuliert, also einer wertschöpfenden Praxis durch die Investition von Informationen mit dem Ziel der Ertragssteigerung. Die Währung ist Aufmerksamkeit. Mit dem Begriff der Information wird Knappheit gut operationalisiert, denn eine Information besteht stets aus etwas, das einen Unterschied macht und das andere Möglichkeiten explizit und implizit ausschließt. Man muss freilich auch hier nicht unbedingt an Strategien in dem Sinne denken, dass sich Aufmerksamkeit in jedem Falle instrumentell herstellen lässt. Es ist eher eine gegenwartbasierte Vernetzung von Beobachtern, gleich einem Markt, in dem sich Themen, Themenpartikel, Aufmerksamkeit für etwas durchsetzen – oder eben auch nicht.
Betrachtet man etwa die gegenwärtigen öffentlichen Themen nach einem kurzen, aber durchaus heftigen Bundestagswahlkampf, fällt auf, was gar nicht auffällt. Der Klimawandel etwa war im Wahlkampf fast gar kein Thema, dafür haben Anschläge wie die in Aschaffenburg und Magdeburg den Lichtkegel auf andere Themen gelenkt, auf innere Sicherheit und Migration, ein Thema, das viele, auch der spätere Wahlsieger aus dem Wahlkampf heraushalten wollten. Wie sehr die Aufmerksamkeitsökonomie Themen wie Investitionsprogramme in den Informationsmarkt drückt, lässt sich an der unseligen Strategie des künftigen Kanzlers studieren, ein 5-Punkte-Papier im Bundestag von der AfD nobilitieren zu lassen, und zugleich kam es wie auf anderen Märkten auch dazu, dass sich Themen und Formulierungen ihren Weg suchen. Die Begrenzung von Fluchtmigration, symbolisiert im Begriff der Grenzkontrolle, wurde zur zentralen Vokabel, die von Spielern unterschiedlicher Couleur mit je eigenen Chiffren verkleidet wurde. Übrigens hat die Wiederholung dieses Informationspartikels ganz nach den ökonomischen Regeln des abnehmenden Grenznutzens immer mehr an Aufmerksamkeit verloren, sodass es dann das Verfahren selbst sein musste, das den damaligen Kanzlerkandidaten der Union dazu gebracht hat, in das Verfahren zu investieren und weniger die Sache in den Mittelpunkt zu stellen.
Aufmerksamkeitsökonomie ist nicht einfach der Wunsch nach Aufmerksamkeit oder Anerkennung, also eine marktförmige Eitelkeitsbestätigung. Sie ist eher ein Hinweis darauf, wie sehr Diskurse davon abhängig sind, was sagbar ist, was auf dem „Markt“ anschlussfähig wird, ob man mit Verstärkung rechnen kann, auch ob die Rechnung aufgeht, falls man eine gemacht hat. Wie wenig man die Dinge in dieser Ökonomie steuern kann, wurde, wie gesagt, auch durch die Anschläge in Aschaffenburg und Magdeburg deutlich. Und selbst solche Ereignisse sind Produkte aufmerksamkeitsökonomischer Allokationen.
Solche Anschläge werden vor allem von labilen jüngeren Männern verübt, zum Teil radikalisiert durch islamistische Angebote im Internet, im Falle des jüngsten Ereignisses in Mannheim auch durch andere Formen des Labilen, hier vielleicht getriggert durch rechtsradikale Formen, auch im Netz. Es handelt sich nicht um organisierten Terrorismus, sondern eher um Ereignisse, die sich schon in ihrer phänotypischen Form ähneln: Messer und Automobile. Wenn solche labilen, zum Teil islamisierten Täter eskalierbar sind, dann durch Wiederholung und Bewährung von Bildern. Das kann kein Zufall sein, dass sich die Typen der Anschläge ähneln, gerade weil die Realität und die vorgestellte Realität sich in solchen Erwartbarkeiten einer Ökonomie formen, die die Aufmerksamkeit auf plausible Informationspartikel lenken. Und dass das Interesse an der Amokfahrt in Mannheim in dem Moment, sank als deutlich wurde, dass der Mörder diesmal kein islamistischer Mörder ist, bestätigt nur die fragile Form der Herstellung von Sichtbarkeit durch Anschlussfähigkeit. Der offensichtliche Verdacht eines rechtsextremen Hintergrund konnte sich dann nicht gegen das Desinteresse an dem Anschlag durchsetzen.
Es ließen sich noch andere Beispiele bringen, etwa die derzeitigen Verhandlungen um Kreditmöglichkeiten für den Bundeshaushalt und eine schnelle Grundgesetzänderung, weil das Wahlergebnis dies zukünftig ausschließt, weil Union, SPD und Grüne im künftigen Bundestag drei Stimmen für eine verfassungsändernde Mehrheit fehlen. Auch hier lässt sich schön beobachten, wie durch äußere Ereignisse, hier: die militärische und geopolitische Sicherheitslage, sich der Informationshaushalt und die Ökonomie des Sagbaren erheblich verändert. War die Frage nach der Schuldenbremse vor kurzem noch ein kulturkämpferisches Symbol einer radikalen Wirtschaftswende, werden nun Varianten von Vorschlägen des noch amtierenden Wirtschaftsministers ganz anders gerahmt – und auch wenn das vielen auffällt, etwa auch denen, die als Unions-Abgeordnete ihr Bundestagsmandat mit den gegenteiligen Sätzen verteidigen sollten und aufgrund des schlechten Wahlergebnisses verloren haben und nun noch einmal für das Gegenteil stimmen sollen (was vielleicht ein Unsicherheitsfaktor in der ganzen Sache sein könnte), gelingt die Umwidmung des Informationspartikels allein deshalb, weil es anders gerahmt werden kann.
All diese Beispiele sollen nur zeigen, wie selektiv und wie zufällig, und wenn nicht zufällig, wie arbiträr Themenkonjunkturen, Sagbarkeiten und Aufmerksamkeiten sind. Man muss sich verdeutlichen, wovon es abhängig ist, was eine Gesellschaft über sich selbst weiß und wissen kann. Dieses Selbst der Gesellschaft liegt nicht einfach vor, es ist eine selektive Form dessen, was diese sich über sich selbst zuzumuten in der Lage ist. Man sollte das bedenken, bevor man Gesellschaftsbeschreibungen macht, über Krisen redet, Reparaturstrategien vorschlägt, gar Kausalaussagen über Lösungen für Probleme auf den Begriff bringt. Dass dabei vor allem politische oder politisch relevante Themen in den Blick kommen, ist übrigens selbst das Ergebnis einer merkwürdigen Selektivität: Das politische System, in dem es um die Erzeugung kollektiv bindender Entscheidungen geht, fungiert gewissermaßen als ein Stellvertreter für die „Gesellschaft“, der Themen angeboten werden, die Komplexität der Verhältnisse auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und für Entscheidungen bearbeitbar zu machen.
Übrigens sind es heute womöglich die aufmerksamkeitssensiblen Algorithmen sozialer Netzwerke und anderer rechnergestützter Formen der Distribution/Erzeugung von Information, die den stärksten Eingriff in die Aufmerksamkeitsökonomie darstellen – unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, aber mit dem Ziel, Wahrnehmungen zu kumulieren, um ihnen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die algorithmische Form des Eingriffs in diese Informationsökonomie ist die vielleicht größte Medienkatastrophe, die derzeit blüht. Daneben nehmen sich die expliziten Verbotslisten für bestimmte Begriffe in der offiziellen Sprache US-amerikanischer Behörden und nachgeordneter Behörden* geradezu wie eine steinzeitliche Strategie aus, die eher mit dem Holzhammer arbeitet – vielleicht insofern auf der kognitiven Augenhöhe der derzeitigen US-Administration, aber leider nicht weniger wirksam.
Wenn man genau hinsieht, müsste man sich dafür interessieren, was man gar nicht zu sehen bekommt, also für all das, was es in der Aufmerksamkeitsökonomie gar nicht zur Marktfähigkeit schafft. Wie oben gesagt: Es geht nicht nur darum, Knappheit zu bewältigen, sondern auch, Knappheiten zu erzeugen. Das Interessanteste an der Aufmerksamkeitsökonomie ist genau genommen das, was keine Aufmerksamkeit bekommt – und es ist am Ende kaum zu benennen, weil es ja dafür Aufmerksamkeit bräuchte.
Armin Nassehi, Montagsblock /314
10. März 2025
* Vgl. dazu den instruktiven Artikel in der New York Time vom 7.3.2025. URL: https://www.nytimes.com/interactive/2025/03/07/us/trump-federal-agencies-websites-words-dei.html?searchResultPosition=5