Montagsblock /303

Jetzt fehlen nur noch die Aliens – das war nach der Pandemie ein immer wieder geäußerter Witz unter Wissenschaftsjournalisten. Und natürlich war ich für diesen Witz Hauptadressatin. Denn wenn die Aliens kämen, dann wäre eine Doppelexpertise in Astrophysik und Philosophie sicherlich eine gute Voraussetzung für gewissenhafte journalistische Begleitung der Invasion. Die persönlichen Folgen kann man sich leicht ausmalen: Überstunden ungekannten Ausmaßes, die wohl mit ziemlicher Prominenz einhergehen würden, wenn ich jeden Morgen im Frühstücksfernsehen die neuesten Kommunikationsversuche zwischen uns und den fremden Wesen kommentieren würde (optimistisch angenommen, wir Menschen würden nicht sofort vernichtet). Letztendlich eine eher zweifelhafte Aussicht. Allerdings mache ich mir keine allzu großen Sorgen. Denn allen mittlerweile bekannten potentiell lebensfreundlichen Exoplaneten zum Trotz – die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie ist wohl doch höher als die des Besuchs von Außerirdischen. Die Galaxie ist einfach viel zu groß und viel zu dünn mit Himmelskörpern bestückt, um – nach allem was wir physikalisch wissen – eine florierende interstellare Besuchskultur zu erlauben.

Trotzdem musste ich daran in diesen Tagen denken, während die sozialen Medien mit Videos merkwürdiger Flugobjekte über New Jersey und angrenzenden US-Bundesstaaten geflutet werden. Drohnen, die angeblich überraschend schnell fliegen können, deren Licht teilweise aussetzt, sobald sie beobachtet werden, mit der Größe von Kleinwagen. Und keiner weiß, was sich hinter diesen unbekannten Flugobjekten verbirgt. Kongressmitglieder und Lokalpolitiker wenden sich eindringlich an die Regierung mit der Bitte um Antworten, die Regierung sagt, sie wisse auch nicht was los ist. Donald Trump empfiehlt, die Dinger einfach abzuknallen.

Im Fernsehen berichten Experten, viele der Sichtungen könnten durch Flugzeuge und Helikopter erklärt werden (durchaus ein Argument gegen das einfache Abknallen). Die Vielzahl der Beobachtungen sei auch dadurch motiviert, dass die Menschen angeregt durch die Medienberichte plötzlich alle den Himmel nach blinkenden Flugobjekten absuchen. Demnach könnte es also so sein, dass alles ist wie immer, dass aber viele Menschen nur weniger auf ihr Handy schauen und stattdessen mit offenen Augen durch die Welt gehen. Das wäre eine ganz hübsche Geschichte (was würden wir Menschen noch alles entdecken können, wenn wir nur mehr in der Gegend herumschauten?). Aber kann sie die Häufung von Sichtungen wirklich erklären?

Das Misstrauen, dass die US-Regierung etwas verheimlicht, ist groß. Aber: Über Aliens wird vergleichsweise wenig gesprochen. In keiner der amerikanischen Nachrichtensendungen, die ich gesehen habe, waren Außerirdische ein Thema. Nicht einmal bei Fox. Auch wenn ich selbst so kurz vor Weihnachten keinesfalls eine große Alien-Berichterstattung vom Zaun brechen möchte: Ein bisschen enttäuschend finde ich das schon.

In Deutschland gibt es ein Forschungsfeld, das sich mit möglichem Kontakt zwischen Menschen und Aliens aus soziologischer Perspektive beschäftigt. Zwei dieser Exosoziologen, Andreas Anton und Michael Schetsche, haben zu dem Thema ein großes Lehrbuch geschrieben. Um die Frage beantworten zu können, wie wir Menschen darauf reagieren würden, wenn wir von der Existenz Außerirdischer erführen, unterscheiden sie drei Szenarien: Entweder wir empfangen eine Botschaft fremder Intelligenzen. Oder wir finden ein Artefakt – einen Gegenstand, den Aliens bei einem vergangenen Besuch in unserem Sonnensystem zurückgelassen haben. Oder wir treffen sie in direktem Kontakt.

Letzteres Szenario wäre für die Menschheit demnach das folgenreichste. Die Autoren mutmaßen, dass wir uns in unseren Reaktionsmustern von Science-Fiction Filmen inspirieren lassen würden. In jedem Fall würde es einen nachhaltigen Kulturschock geben. Oder Schlimmeres. Denn, darauf weisen die Autoren hin, bisher ist das Aufeinandertreffen verschieden weit entwickelter Kulturen für die weniger entwickelte selten sehr günstig ausgegangen. Dass die Aliens kommen und niemand sie kulturgeschockt beachtet, sondern lieber ausgiebig der Regierung Vorwürfe macht, das kommt in ihrem Szenario bemerkenswerterweise nicht als Möglichkeit vor.

Ich muss gestehen, dass ich diese Variante ziemlich lustig fände: Wenn die humorbegabten Aliens darauf setzten, dass sie von amerikanischen Bürgern gar nicht ernst genommen würden. Wenn sie also auf eine ähnliche Reaktion vertrauten, wie sie etwa während der noch nicht lange zurückliegenden Hurrikane Milton und Helene zu beobachten war: Während der Stürme behaupteten nicht wenige, die Katastrophen seien statt auf den Klimawandel auf eine geheime Wettermanipulation der Regierung zurückzuführen. Sofern die Außerirdischen halbwegs intelligente Beobachter wären, könnten sie darauf hoffen, dass wir Menschen gerade so sehr mit uns selbst und unserer politischen Unzufriedenheit beschäftigt sind, dass wir einfach keine Muße haben, noch ein neues Fass in Form einer Alieninvasion aufzumachen.

Zugegeben, sehr wahrscheinlich ist das nicht. Ein schönes Szenario für einen Science-Fiction Film wäre trotzdem.

Sibylle Anderl, Montagsblock /303

16. Dezember 2024