Montagsblock /300

Es ist derzeit so eine Sache mit dem Optimismus. Mit dem Optimismus im Allgemeinen – es ist November und in der Welt reiht sich eine Katastrophe an die nächste – und mit dem technologischen Optimismus im Speziellen. Früher, als ich in Frankfurt noch Mitglied des Feuilletons war, war es oft mein Job, inmitten der Geschichts- und Kulturbegeisterten für Technologieoffenheit zu werben. Dafür, die Potentiale und Chancen von Wissenschaft und Technik zu verteidigen. Das fiel mir meist leicht. Raumfahrt half damals noch der internationalen Kooperation, künstliche Intelligenz zeigte so offensichtliche Limitationen, dass man sich als Mensch noch sicher fühlen und weitgehend ungetrübt fasziniert sein konnte, und die sozialen Medien – gut, die waren auch damals schon schlimm. Aber irgendwie konnte man doch noch die Hoffnung haben, dass die Vernetzung von Menschen guten Zwecken dienen kann und die Daten sammelnden Digitalunternehmen von kritisch denkenden Gesellschaften in Zaum gehalten würden.

Tatsächlich besitze ich eine große Motivation, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Denn letztendlich liegt es ja in unserer Hand, das Kommende erst noch zu gestalten, und Depression raubt uns dafür nur unnötige Kraft. Anstrengend wird es ja ohnehin. In den zurückliegenden Wochen passierte es mir allerdings gleich zweimal, dass ich am Ende einer Diskussion hilflos um einem positiven Ausblick rang, ohne so recht einen zu finden.

Auf der einen Seite im Gespräch mit der Hamburger Technikethikerin Judith Simon, mit der ich in der Reihe „Hamburger Horizonte“ über die politische Dimension von KI geredet habe. Dabei ging es um Manipulation mithilfe von KI, um Täuschungen, die uns dazu verleiten, KI mehr Vertrauen zu schenken, als gut ist. Es ging um Biases, die veraltete Moralvorstellungen und soziale Ungerechtigkeiten in KI-Modelle transferieren, so dass uns die unkritische Nutzung dieser Modelle zukünftig immer eine konservative Schlagseite in unser Leben bringen wird. Und es ging um den Zunehmenden Verlust von Wahrheit und Falschheit, um das Verschwinden von Vertrauen und Verantwortlichkeit.

Auf der anderen Seite scheiterte ich mit meinem Optimismus in einem Workshop, den ich zur Nutzung von KI beim Schreiben guter Texte gehalten habe. Die Ironie dabei: Ich nutze nie KI, um Texte zu schreiben – in meiner Redaktion tun wir das alle nicht, auch wenn es mittlerweile sehr hilfreiche Tools dafür gibt, Texte stilistisch zu verbessern. Abgesehen davon, dass wir das auch gar nicht dürfen, ohne den Einsatz explizit zu kennzeichnen, halte ich es aber tatsächlich auch für wichtig, die Fähigkeit zur erfolgreichen Textproduktion nicht aus der Hand zu geben.

Das war es auch, was ich im Workshop zu vermitteln versuchte: Man muss wissen, was man von einem guten Text erwartet und was einen guten Text ausmacht, um KI gewinnbringend nutzen zu können. Man muss auch wissen, wann man KI bewusst nicht nutzt. Zum Beispiel weil der Text Individualität ausdrücken soll. Weil man mit Text gestalten will, statt nur verständlich mitzuteilen. Und um diese Fähigkeit nicht zu verlernen, muss man sie praktizieren. Damit es nicht so endet, wie mit unserer Fähigkeit, Landkarten lesen zu können, wenn mal das Navi ausfällt. Aber ob das Zukunft hat?

Auch hier war mein Schlusspunkt wieder ein pessimistischer. Kürzlich ist eine Studie in den Scientific Reports erschienen, in der Testpersonen Gedichte von Dichtern und KI (GPT-3.5) vorgelegt wurden. Die Probanden sollten sagen, welche Verse von Menschen und welche von KI erdacht worden waren. Außerdem sollten sie die Qualität der Gedichte einschätzen. Ergebnis: Sie hielten die KI-Gedichte für vom Menschen geschriebene, weil sie sie klarer, zugänglicher und einfacher verständlich fanden. Die menschlichen Werke wurden häufiger mit der Einschätzung „ergibt keinen Sinn“ belegt – entsprechend wurde hier KI-Autorenschaft vermutet. Man kann das Ergebnis nach vielen schulischen Stunden der Gedichtinterpretation vielleicht nachvollziehen. Und gleichzeitig zeigt es, dass wir uns vielleicht in Zukunft einiger Dimensionen menschlicher Kreativität berauben, wenn wir immer mehr Gefallen an leichter zu konsumierender KI-Kunst und ein generelles Misstrauen Inhalten gegenüber entwickeln.

Worauf ich bei all dem aber eigentlich hinauswill: Der ganze Pessimismus der zurückliegenden Novemberwochen hat mich einige Male an ein Interview denken lassen, das ich für den kommenden Kursbuchband mit Berit Glanz geführt habe. Nicht nur schreibt Berit Gedichte, die hoffentlich niemand für KI-generiert halten würde. Sie ist außerdem unerschütterliche Technologie-Optimistin, allerdings ohne dieser Einstellung einen angemessen kritischen Blick zu opfern. In unserem Gespräch passierte es immer wieder, dass ich zugeben musste: Ja, das kann man auch positiver sehen als ich. Ja, wir wissen nicht, wie sich das alles entwickelt. Ja, dieser negativen Einschätzung liegt zugrunde, dass ich nicht genügend Fantasie entwickelt habe, wie es auch anders gut sein könnte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie selbst der Tatsache etwas Positives abgewinnen könnte, dass Menschen lieber KI-generierte Gedichte lesen, weil sie sie menschlicher finden. Wenn ich sie das nächste Mal spreche, werde ich sie fragen. Aber bis dahin – Achtung Werbung! – kann ich nur allen ans Herz legen, sich am 5. Dezember das Kursbuch 220 zu kaufen und für einen helleren Blick nach vorne Berit Glanz zu lesen.

Sibylle Anderl, Montagsblock /300

25. November 2024