MONTAGSBLOCK /30

Dankenswerterweise hat sich mal wieder Gunter Dueck zu Wort gemeldet. Früher, in den Anfangszeiten des Internets, hat er spektakuläre Bücher über das Bizarre in der Netzökonomie geschrieben (wie zum Beispiel Supramanie – glänzend, seiner Zeit weit voraus). Seine ersten Werke haben auf Anhieb aber nicht viele verstanden, so dass er im Laufe der Zeit beschloss, banalere Bücher zu schreiben, die jeder schnell kapiert. Die Leser liefen ihm fortan in Scharen zu. Mittlerweile ist er als Zerstörer des laufenden digitalen Schwachsinns unterwegs. So toll spektakulär ist das allerdings nicht mehr.

Wie auch sein neues Büchlein zeigt. Es geht über den Flachsinn. Was zwar begrifflich schon mal gut klingt und das Gegenteil von Tiefsinn ist, das eigentlich noch besser klingt, aber ganz schwierig zu erreichen ist. „Wir können im neuen Welttheater des Netzes noch gar nicht erkennen, was wichtige oder ernsthafte Inhalte sind und was eben nur Theater ist – oder eben Nepp, Blendwerk oder um Werbeeinnahmen bemühter Sensationismus. Unter dem massenhaften Flachsinn im Netz verblasst das Wichtige und Ernsthafte, das früher die Autorität beanspruchen konnte und die Kontrolle hatte.“ Zack, das sitzt. Und weil er offenbar so in Fahrt war, ging er bis an die Schmerzgrenze: „Deshalb fordere ich, den Tiefsinn zu fördern, die Kulturschätze flachsinnfrei für jedermann im Netz zu öffnen und wieder Vorbilder der neuen Welt zu schaffen und zu propagieren statt Promi-Klatsch zu verbreiten.“

Eine Revitalisierung des Kulturellen und der Kunst? Eine neue Sphäre des Tiefsinns am Horizont. Schon will man applaudieren, da zucken die Hände zurück. Besser erst einmal einen Blick zurück nach vorn werfen. Der Tiefsinnige war früher ein Soloartist. Er saß im ruhigen Kämmerlein, studierte und sinnierte, schaute bisweilen aus dem Fenster und hatte natürlich – was sonst – irgendwann eine zündende Idee. Diese ließ er der Menschheit auf übersichtlichen Publikationswegen zukommen, und – eins, zwei, drei – fertig war das Wunderkind. Das Modell basierte erstens auf der Annahme der zündenden Idee und zweitens auf der Annahme des universalistischen Blicks. Sprich einer Person, die alles zu wissen für sich in Anspruch nahm. Aus dem Nährboden des Allwissens zuckte der plötzliche Ideenblitz. Von dieser romantischen Vorstellung des einsamen Gelehrten nährte sich die Zunft der kreativen Alleserklärer. Über Jahrhunderte.

Diesen Helden-, Superman- und Elitenquark will aber keiner mehr. Wir halten es da eher mit der modernen Kybernetik, die das Chaos der Vielfalt (Kollege Nassehi würde es womöglich Komplexität nennen) als kreativen Antriebsmotor interpretiert. Der Kybernetiker Uri Merry: „Das Chaos ist der fruchtbare Boden, auf dem die Kreativität entstanden ist. Das tiefe Chaos ist ein natürlicher, unvermeidlicher und wichtiger Übergang im Verwandlungsprozess jeder Lebensform.“ Und S. A. Kauffman, ein weiterer Komplexitätsforscher von Rang, ist sich sogar sicher, dass die Evolution ganz absichtlich die komplexen Systeme an den Rand des Chaos stößt, weil sie eben nur da jene Bedingungen vorfinden, unter denen sie sich kreativ weiterentwickeln zu können. Alles ist flüchtig, vage, wechselhaft. Unsere Chance besteht darin, dass wir uns in diesen Tumult einreihen, in dem die Karten immer neu gemischt werden. Das ist das kreative Spiel des Lebens.

Das Netz schließt deshalb den Tiefsinn keineswegs aus und ist auch kein automatischer Türöffner für den Flachsinn. Es ist nur eine weitere Drehschraube der Evolutionstumulte. Meine Devise lautet daher: Das Chaos mit Würde aushalten, jeden Tag intensiv das Komplexe bearbeiten sowie den Tiefsinn innig umarmen, wenn er sich zeigt. Und diesen ganzen Heldenkulturkram überlassen wir lieber den romantischen Eliten. Frohe Ostern!

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /30, 17. April 2017