Anfang Dezember erscheint die 50. Edition des Kursbuchs, für das Armin Nassehi und ich (seit 2012) mit Sibylle Anderl (seit 2021) verantwortlich sind. Das Thema lautet: Wie geht’s weiter? Dafür haben wir mir 13 Menschen aus Wissenschaft, Kunst, Religion, Wirtschaft, Politik und Kultur gesprochen. Wir wollten von ihnen wissen, was sie von ganz persönlich bis systemisch-überbaulich auf diese Frage antworten. Für diesen Montagsblock habe ich einige erste Antworten ausgewählt. Sozusagen die Gesprächseröffnungen in a nutshell. Lesen Sie rein in diese Interviewanfänge. Mehr dann ab 4. Dezember im Kursbuch 220 – als Print- und eBook.
Levi Israel Ufferfilge, Rabbiner: „Da drängt sich bei mir ein menschengesundheitlicher Klassiker auf. Ich hatte 2017/2018 Krebs. Es ging um Leben und Tod. Ich musste alle Zelte in meinem Lebensmittelpunkt Münster aufgeben. Ich hatte zuvor meine Promotion begonnen, konnte wissenschaftlich arbeiten und beim Aufbau des Instituts für Jüdische Studien mithelfen. Ich musste dann allerdings für meine medizinische Behandlung nach München ziehen. Das war ein radikaler Schritt. Ich beschäftigte mich in der Folge nur mit den Behandlungen und dem Gesundwerden. Zähne zusammenbeißen und durchkommen. Fragen an die Zukunft habe ich damals nicht mehr gestellt.“
Andreas Voßkuhle, Verfassungsrechtler: „Rechtsstaat und Demokratie hängen miteinander zusammen. Wir können die Demokratie letztlich nicht ohne den Rechtsstaat denken, und wir können den Rechtsstaat nicht ohne die Demokratie denken. Das zweite mag noch eher möglich sein. Man kann sich vorstellen, in einem nicht so demokratischen Gemeinwesen zu leben, das trotzdem rechtsstaatlichen Vorstellungen folgt. Aber wenn wir den Rechtsstaat nicht nur formal, sondern in seiner inhaltlichen Form denken, in dem auch Freiheitsrechte der politischen Minderheit geschützt werden, dann verbindet sich das immer mit einem Demokratisierungsprozess.“
Jana Ringwald, Cyberstaatsanwältin: „Ich arbeite in einem Bereich, der verlässlich Rechtssicherheit verleihen soll, was die Menschen auch von uns erwarten dürfen. Aber der ruhende Stein der Justiz ist durch die fortschreitende Digitalisierung in Bewegung gekommen. Es ist eine riesige Chance, aber auch eine riesige Herausforderung.“
Berit Glanz, Schriftstellerin: „Ich finde diese Frage sehr schwierig. Die nächsten fünf Jahre kann ich mir ganz gut ausmalen, aber wie es in den nächsten 30 Jahren sein wird? Solch langfristigen Prognosen sind immer sehr riskant: Wenn man richtig liegt, wirkt man retrospektiv wie ein weiser Zukunftsforscher. Aber wenn man falsch liegt, wirkt man schnell wie ein Trottel.“
Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker: „Ich hänge sehr an meiner Arbeit. Es ist eine Ablenkung von den trüben Gedanken, wie lange ich noch leben und arbeiten kann. Die zentrale Abhängigkeit, dass mein Körper funktioniert, ist eine Art von Basso continuo. Gleichzeitig schafft das Alter aber auch Distanz zu vielem, von dem ich nicht mehr weiß, ob ich es noch erleben werde. Ich mache das, was ich mit meinen Möglichkeiten tun kann, um den Zustand der Welt nicht zu verschlechtern. Dass man nicht weiß, wie lange es noch geht, kann ich nicht verdrängen. Ich fange gerne noch Sachen an.“
Joscha Bach, Informatiker: „Keiner weiß es. Im Augenblick ist es so, dass die Entwicklungen relativ schnell verlaufen, aber man kann nicht vorhersagen, ob es zu einem Plateau kommt, oder ob es so weitergeht. Wir wissen nicht einmal, ob der Fortschritt, den wir messen, tatsächlich der Fortschritt ist, den wir suchen. Nehmen wir zum Beispiel die Skalierungshypothese. Die besagt, dass durch mehr Trainingsdaten, mehr Rechenleistung und allmähliche Fortschritte in der Algorithmenentwicklung die Fähigkeit, das nächste Token – also zum Beispiel das nächste Wort – vorherzusagen, stetig immer besser wird. Dann ist aber die Frage: Was bedeutet es, dass man in der Lage ist, vorherzusagen, wie der Text weitergeht oder wie das Bild aussehen soll? Ist das die Art von Kreativität und Intelligenz, die wir suchen? Ist Allgemeine Intelligenz nicht etwas anderes?“
Paula-Irène Villa Braslavsky, Soziologin: „Geschlechterfragen sind eine Grundfrage von Gesellschaften auf allen Ebenen – von der intimsten individuellen Praxis über den Alltag mit seinen alltäglichen Organisationsweisen bis hin zur ökonomischen Struktur oder politischen Verfasstheit. Insofern werden Geschlechterfragen als Fragen weitergehen. Geschlechterfragen sind nicht still zu stellen. Und genau so, als Fragen nämlich, ermöglichen Diskussionen rund um Geschlecht eine wichtige Qualität in zeitgenössischen, modernen, offenen Gesellschaften: in dem die Grundlagen dieser Frage – die auch fragt: welche Frage(n) überhaupt? – dauerhaft verhandelt werden, sind wir potenziell reflexiv, lernen individuell, organisational, politisch, strukturell, entwickeln uns weiter. Inzwischen bin ich allerdings etwas skeptischer, wie es weitergehen wird.“
Aladin El-Mafaalani, Bildungsforscher: „Ich befürchte, dass es einige Jahre noch weiter bergab gehen wird, habe aber immer noch begründete Hoffnung, dass die Maßnahmen, die so langsam getroffen werden, zum Beispiel das Startchancen-Programm, dazu führen, dass wir in den 2030ern eine Trendwende schaffen können.“
Simon Strauß, Schriftsteller: „Ich war gerade auf einem Literaturfestival im norwegischen Stavanger. Und da ging es in Diskussionen zwischen deutschen und norwegischen Autoren genau um die Frage: Wohin geht es mit Deutschland? Ich hatte das Gefühl, dass man dort auf fremdem Boden etwas befreiter darüber reden konnte als hier bei uns, wo sofort viele Sicherheitsmechanismen greifen, wenn man über Deutschland spricht. Generell glaube ich, die Zeiten werden etwas bewegter sein als zuletzt. Ich habe in Norwegen nochmal erzählt, wie es war, als ich mein erstes Buch geschrieben habe. Das war 2017. Da gab es diese „Merkelschwere“, dieses bleierne „Mutti macht‘s schon, wir müssen uns nicht groß darum kümmern“. Das ist auf jeden Fall vorbei. Man hat nicht mehr das Gefühl, die Politik wird’s schon richten.“
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Peter Felixberger, Montagsblock /298
11. November 2024