Montagsblock /291

Wenn wir fragen, wie es weitergeht – wie wir es in unserem nächsten Jubiläumskursbuch tun werden – denken wir meist eher relativ kurzfristig. Schon allein aus rein pragmatischen Gründen. Eine unserer Gesprächspartnerinnen für den Band stellte sehr treffend fest: Bei langfristigen, Jahrzehnte in die Zukunft reichenden Prognosen geht man das hohe Risiko ein, ziemlich blöd zu wirken, weil es ja doch meist anders kommt. Man muss da schon einen starken Drang mitbringen, sich irgendwann als weiser Zukunftsforscher feiern lassen zu wollen, um auf die deutlich geringere Wahrscheinlichkeit einer zufällig richtigen weitreichenden Vorhersage zu setzen.

Eine Ausnahme gibt es allerdings von dieser Faustregel. Und die – Sie können es sich vielleicht schon denken – betrifft die radikalsten Zukunftsvorhersagen, diejenigen nämlich, die sich auf die weitere Entwicklung unseres Universums beziehen. Wenn Astrophysiker über unsere kosmologische Zukunft spekulieren, die sich in Zeiträumen abspielen wird, die so viele Jahre umfassen, dass wir dafür nicht einmal mehr die Zahlenbezeichnungen kennen, klingt auch das so vermessen wie spekulativ. Immerhin aber müssen die entsprechenden Astrophysiker nicht fürchten, dass das Nicht-Eintreffen ihrer Vorhersagen Sie irgendwann dumm aussehen lässt. Denn dann wird es die Menschheit schon sehr lange nicht mehr geben.

Einer, der in der Lage ist, derart langfristige Aussagen über das Schicksals des Universums zu treffen, ist der Astrophysiker Heino Falcke. Er hat im vergangenen Jahr zusammen mit Kollegen Berechnungen veröffentlicht, die an Überlegungen des Physikers Stephen Hawking anschließen. Darin geht es um das langfristige Schicksal von kosmischen Objekten wie Schwarzen Löchern, Neutronensternen oder Weißen Zwergen. Wenn in weiter zeitlicher Ferne sonst schon nicht mehr viel existiert, wird es zumindest diese Objekte noch geben, und insofern beantwortet die Frage nach deren mutmaßlichem Ende auch die Frage nach dem Ende insgesamt. Das ist für unsere menschlichen Gehirne nicht ganz leicht zu fassen, aber die Größe der Frage eröffnet viel Raum für Philosophie und auch Theologie – und da insbesondere letztere ein weiteres Interessenfeld von Heino Falcke ist, ist die Frage nach dem Ende unserer Welt bei ihm in den allerbesten Händen.

Heino Falcke schaut aber nicht nur in die weite Zukunft, er schaut auch sehr präzise in die Vergangenheit. Für Astrophysiker ist das nichts Außergewöhnliches, aber er macht das mit einer Genauigkeit, die ihm und seinem Team vor einigen Jahren einige Berühmtheit eingebracht hat. Ihnen gelang es, das erste Bild eines Schwarzen Lochs jemals (oder genauer: dessen Schatten) aufzunehmen: Ein orangener Doughnut mit dunklem Zentrum, der schließlich die Titelseiten sämtlicher Zeitungen auf der ganzen Welt zierte. Heino Falcke war einer der ersten, der vor einigen Jahrzehnten an die Machbarkeit dieser völlig unmöglich klingenden Idee glaubte, und alles in Bewegung setzte, sie auch umzusetzen (wie sollte man bitte ein Schwarzes Loch fotografieren??).

Ich habe Heino Falcke vor vielen Jahren im Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie kennengelernt, wo wir beide (allerdings zu verschiedenen Zeiten) gearbeitet haben. Wir wurden damals in der Kantine von einem Kollegen einander vorgestellt, der ebenfalls eine „Wie geht es weiter“-Prognose wagte: Er sagte uns viele anregende Diskussionen über viele Disziplingrenzen hinweg voraus. Und damit lag er, auch ohne Zukunftsforscher zu sein, vollkommen richtig.

Mir fallen nicht viele Kollegen ein (wenn überhaupt), die mich immer wieder mit einem so breiten Spektrum an neuen interessanten und unerwarteten Projekten überraschen. Zuletzt hat Heino mit seiner Frau zum Beispiel ein ganz wunderbares Kinderbuch geschrieben. Anderes Beispiel: Vor einigen Jahren war Heino mit chinesischen Wissenschaftlern über die Möglichkeit im Austausch, auf der Rückseite des Mondes ein Radioteleskop aufzubauen, das die Ruhe der Erdabgewandtheit für bahnbrechende neue Beobachtungen nutzen könnte. Ich bin mir nicht sicher, was aus dieser Idee geworden ist, aber ich werde ihn nächste Woche fragen können.

Denn Heino Falcke ist am Freitag, den 27. September 2024, mein Gast in der ersten Ausgabe unserer neuen Veranstaltungsreihe, der Kursbuch-Salons. Darin wollen wir die traditionellen Kursbuch-Modi des Schreibens und Lesens mit denen des Redens, Zuhörens und Diskutierens vervollständigen – und dabei möglichst viele disziplinäre Grenzen hinter uns lassen. Zum Auftakt wird es also darum gehen, wie es weitergeht mit dem Kosmos insgesamt. Und über alle anderen großen und auch kleineren Fragen, die sich daran anschließen. Das Ganze findet im Deutschen SchauSpielHaus Hamburg statt, 19.30 Uhr, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie auch dabei sein könnten!

Sibylle Anderl, Montagsblock /291

16. September 2024

Tickets für den Kursbuch-Salon gibt es hier: https://schauspielhaus.de/stuecke/kursbuch-salon-nr-1