Montagsblock /283

Trump im Fightclub. Menschenverachter Putin. Vorgaukler Orban. Iceface Xi Yinping. Janusköpfe Meloni und Le Pen. Die Anti- und Hybriddemokraten sind auf dem globalen Vormarsch. Ihre Mittel: Hegemoniegetümmel anzetteln und Verwirrung stiften. Gestern noch bezeichnete Donald Trump in Michigan die Mitglieder der Demokratischen Partei als „Feinde der Demokratie“. Zudem verglich er Nancy Pelosi „mit einem Hund und einer Bettwanze“. Was wird die nächste Stufe des bisher Unsagbaren sein?

Unterdessen stuft die aktuelle Ausgabe des Democracy Index (Economist) nur noch 24 Länder als „vollständige Demokratien“ ein. Darunter befinden sich Deutschland, Irland, Neuseeland und die skandinavischen Länder. Unter den Schwellen- und Transformationsländern gibt es erstmals mehr Autokratien als Demokratien. Dieser Montagsblock will Begriffsklärung betreiben, um die Basis der Rechtstumulte und Wahrnehmungsbeutezüge besser zu verstehen.

Wo liegen die Unterschiede zwischen vollständigen und ausgehebelten Demokratien? Lassen Sie uns profunder werden.

In vollständigen Demokratien gibt es drei Evolutionsbedingungen:

  1. Alle Bürger müssen den Gesamtwillen (als Summe aller Einzelwillen) akzeptieren, der in einer geheimen Wahl konstituiert wird. Regierung und Opposition begegnen sich auf Augenhöhe. Alle Bürger müssen folglich das Gefühl, auch eine Minderheit sein zu können, aushalten. Sie dürfen sich allerdings nicht permanent übergangen fühlen. Wer entscheidet? Was wird entschieden? sind die beiden Bezugsfragen in jeder Demokratie.
  2. Alle Bürger sind gleichzeitig Herrscher und Beherrschte. Das nennt man Demokratieparadoxon. Es ist vergleichbar einem Pendel. Einerseits herrscht die Politik verbindlich über die Bürger, andererseits herrscht der einzelne mittels repräsentativen Prinzips über die Politik. In einer Demokratie werden zwar große Teile der Bevölkerung von der unmittelbaren Machtausübung ausgeschlossen, gleichzeitig üben sie als Wählerinnen und Wähler aber politische Macht aus. Anders gesagt: Demokratie will, dass das Volk selbst herrscht. Luhmann bezeichnet es als das „Sich-selbst-zugleich-Befehlen-und-Gehorchen-Paradoxon“. Gesamt- und Einzelwille soll befehlen und gehorchen.
  3. Demokratie dient deshalb in erster Linie dem Befriedungsbusiness zwischen unterschiedlichen Perspektiven und den Interessen im politischen Bezugsrahmen. In der Demokratie sollten im Idealfall alle Bürger Differenzen aushalten, Pluralität ermöglichen und Konflikte zivilisiert austragen.

In unvollständigen Demokratien mit spezifischen Autoritär-Autokratisch-Aufladungen werden diese Regeln gerade umformuliert:

  1. Immer mehr Bürger tendieren dazu, sich dem Einzelwillen eines Herrschers zu unterwerfen, der eine geheime Wahl eher als notwendiges Übel begreift. Einmal gewählt, Dammbruch, Restart. Immer mehr Bürger suchen Platz auf der Couch der Macht. Die Minderheit muss draußen bleiben. Die beiden Bezugsimperative lauten: Ich/Wir entscheide(n)! Was, das entscheide(n) ich/wir!
  2. Jeder Bürger ist entweder Herrscher oder Beherrschter (das Verschwinden des Sowohl-als-auch). Das nennt man: eine Demokratie aushebeln. Mit einer Demagogie, die die Bevölkerung spaltet. In einer ausgehebelten Demokratie werden Teile der Bevölkerung von der politischen Entscheidungsfindung ferngehalten. Sie sind Feinde, Hunde oder Bettwanzen und werden zu Wählerinnen und Wählern hinter dem Zaun degradiert. Anders gesagt: Ausgehebelte Demokratien befördern, dass ein Teil des Volkes sich über die anderen erheben darf. Und dann nach dem Befehl-und-Gehorsam-Prinzip regiert.
  3. Eine ausgehebelte Demokratie dient dem ausweglosen Machtkampf zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Interessen im politischen Bezugsrahmen. Ja und Nein, Sieger und Besiegte. In ausgehebelten Demokratien mutieren immer mehr Bürger zu Claqueuren, die Differenzen stärken, Pluralität abbauen und Konflikte möglicherweise unzivilisiert austragen wollen. Nur „die Gnade des allmächtigen Gottes“ stehe noch darüber, so Trump. So macht sich in den zugehörigen Echokammern ein gehetztes Wahrheits- und Unwahrheitsempfinden breit, das den gesellschaftlichen Diskurs auf hartes Pflaster aufschlagen lässt.

Lesen Sie in der nächsten Folge unserer Reihe: Viel Demokratie braucht wenig Macht oder warum auch Ganoven und Trickser wichtige Anstifter des Transformativen sind. Schöne Ferien allerseits!

Peter Felixberger, Montagsblock /283

22. Juli 2024