Als ich mir in der vergangenen Woche auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung Interviewpartner wünschen durfte, stand ganz oben auf meiner Wunschliste Donna Strickland. Nobelpreis für Physik 2018. Chirped Pulse Amplification (CPA). Ihr war es in ihrer Doktorarbeit gelungen, ultrakurze Laserpulse mit sehr hoher Intensität zu erzeugen, die heute Grundlage vieler Anwendungen, wie zum Beispiel für Augenoperationen, sind. Dass ich gerne mit ihr sprechen wollte, lag allerdings weniger an meiner Begeisterung für Laser (die zweifellos existiert), sondern vielmehr daran, dass Donna Strickland den Nobelpreis für Physik als dritte Frau jemals bekommen hat. Vor ihr kamen nur Marie Curie (1903) und Maria Goeppert-Mayer (1963). Und ich erinnere mich noch gut, wie sehr ich mich 2018 bei der Bekanntgabe der Preisträger darüber gefreut habe, dass die mehr als ein halbes Jahrhundert währende Abfolge männlicher Physik-Nobelpreisträger endlich durch eine Frau aufgelockert wurde.
Als ich mich auf das Interview vorbereitete, beschlich mich allerdings auch eine gewisse Scham, dass ich sie nun auch wieder auf diesen besonderen Status ansprechen würde – und sie nicht nur über ihre Forschungsarbeiten ausfragen würde, wie die meisten anderen Laureaten auch. Denn dieses Ungleichgewicht in der Aufmerksamkeit existierte tatsächlich schon von Anfang an: Nachdem ihre Ehrung bekannt geworden war, war die Öffentlichkeit weit weniger daran interessiert, wie man die Intensität der Laser so erhöhen kann, ohne das Lasermedium zu zerstören (was erstaunlich ist), als dass sie sich darüber den Kopf zerbrach, wie es sein kann, dass eine Neu-Nobelpreisträgerin keinen eigenen Wikipediaeintrag besitzt und keine vollwertige Professur innehat.
Als ich Donna Strickland in Lindau darauf ansprach, bestätigte sie mir, dass sie das immer noch ärgert. Denn ob sie einen Wikipediaeintrag hatte oder nicht, sei ihr damals einfach völlig egal gewesen. Genau wie ihre berufliche Position genau das gewesen sei, was sie selbst wollte, ohne dass sie dabei von irgendwem beeinflusst oder behindert worden wäre. „Es stört mich, dass die Leute ihre eigenen Probleme auf meine Geschichte projizierten“, sagte sie. Und wer die fröhliche Unbeschwertheit der Kanadierin erlebt, glaubt ihr sofort, dass sie immer genau das gemacht hat, was sie wollte. In ihrer Preisrede in Stockholm hatte sie den Cyndie-Lauper-Hit „Girls Just Want To Have Fun“ zitiert – und der Spaß lag für sie immer im Labor zwischen Laserstrahlen.
Trotzdem hat sie sich schnell in ihre neue Rolle eingefunden. Sie ist für viele Frauen und Mädchen zur Heldin und zum Vorbild geworden. „Jedes Privileg bringt Verantwortung mit sich“, so sieht sie das. Also redet sie nun seit sechs Jahren auch über Gleichberechtigung und die Wichtigkeit von Diversität, auch wenn der Mangel von Frauen unter den Physik-Nobelpreisträgern für sie selbst vorher nie ein Thema war. Allerdings scheint sie sichtlich froh zu sein, dass in den vergangenen Jahren noch zwei weitere Frauen in den exklusiven Club der Physiknobelpreisträgerinnen dazugestoßen sind, die sie nun unterstützen können: Andrea Ghez und Anne L’Huilllier.
Es ist ein Schicksal erfolgreicher Frauen in Männerdomänen: Sie müssen sich immer damit auseinandersetzen, dass sie als Frau erfolgreich sind. Entweder sie machen es wie Donna Strickland und nutzen ihre Sichtbarkeit, um andere Frauen zu motivieren und zu unterstützen. Es gibt aber auch eine andere Variante, damit umzugehen: Die Existenz des Problems grundsätzlich abzustreiten und aggressiv zu reagieren, sobald es mit Bezug auf den eigenen Erfolg angesprochen wird. Besonders drastisch ist mir das einmal passiert, als ich eine Pionier-Frau im Vorstand eines großen Unternehmens nach ihren Erfahrungen befragen wollte. Ich wurde von ihrem Sprecher zurechtgewiesen, als würde ich seiner Chefin unterstellen wollen, ihre einzige Kompetenz sei es, eine Frau zu sein. Obwohl es doch klar war, dass sie diese Position ohne herausragende Fachkompetenz niemals erreicht hätte.
Ich habe versucht, das nicht persönlich zu nehmen. Denn das zugrundeliegende Problem kenne ich ja, und habe es (wenn ich mich richtig erinnere) auch schonmal im Montagsblock beschrieben: Es ist die Unterdeterminiertheit des Grundes für den eigenen Erfolg, die besonders Frauen trifft. Die Quotenangst hängt immer wieder in der Luft: Ist es wirklich nur die eigene Leistung? Oder eher die Tatsache, dass reine Männergruppen heute so blöd aussehen? Mit dieser Unterdeterminiertheit muss man umgehen lernen.
Wie schwierig das praktisch ist, hat Ende Mai auch eine Gruppe von Quantenphysikerinnen in einem „Wertemanifest“ für Frauen in der Quantenforschung auf arXiv beschrieben (arXiv:2407.02612). „Frauen schultern im Allgemeinen eine übermäßige Belastung an Diensten für die wissenschaftliche Community (Komitees, Beurteilungen, etc.) im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen“, heißt es da. Gleichzeitig seien Frauen in den wirklich entscheidenden Positionen und Gremien nach wie vor stark unterrepräsentiert, „zurückgestuft auf die Position der ‚Frau im Raum‘ anstatt als Wissenschaftler anerkannt zu werden“.
Das könnte ein Grund sein, warum so viele Frauen den Karriereweg in der physikalischen Forschung vorzeitig abbrechen. In Deutschland waren 2021 nur zwölf Prozent der vollen Physikprofessuren von Frauen besetzt. Die Quantenphysikerinnen werben in ihrem Manifest dafür, ein Klima zu schaffen, in dem sich Frauen und Angehörige von Minderheiten repräsentiert fühlen können. Mit dem derzeitigen Modell von wissenschaftlicher Führung, Finanzierung und Autorität sei das nicht gegeben, schreiben sie. Es reicht offenbar nicht, in allen Komitees und Gremien als „die eine Frau“ dabei zu sein, wenn eine grundlegendere Transformation ausbleibt – so verstehe ich ihre Forderung.
Ich persönlich finde Quoten trotzdem gut – trotz der psychologischen Anstrengungen für das eigene Selbstbild, die sie mit sich bringen. Denn nur wenn es normal wird, dass Frauen mitmischen, wenn Frauen überall sichtbar sind, können sich langsam die Hürden für die nachkommenden Frauen abbauen. Deshalb habe ich kein schlechtes Gefühl dabei, wenn ich deutlich mehr Einladungen auf Podien bekomme als die meisten männlichen Kollegen und das mit Sicherheit (zumindest teilweise) daran liegt, dass es wenig podiumsaffine Frauen in den Naturwissenschaften gibt. Und trotzdem hoffe ich, dass es bald gar keine Frage mehr sein wird, was hinter dem Erfolg von Frauen steht. Genau wie ich Donna Strickland wünsche, dass sie bald nur noch über die wunderbaren Seltsamkeiten der Laserphysik sprechen darf.
Sibylle Anderl, Montagsblock /281
08. Juli 2024