MONTAGSBLOCK /26

Nach Trump und Brexit, inmitten neuer Exits, kurz vor Frexit und AfD-Wahlkrampf, stehen weitere semantische Auseinandersetzungen vor der Tür. Schon in Kürze wird ein Mediengetöse mit Polarisierungen, Demütigungen und gegenseitiger Verachtung losgehen. Zwei Welten, ohne Aussicht auf Versöhnung? Zwei kurze Blicke in die europaweiten „Anleitungen zum Unglücklichsein“ zeigen, wie wichtig jetzt transformative Politik wäre. Mit der Stärke einer Perspektivendifferenz, an der wir uns narrativ abarbeiten und argumentativ ausrichten können.

1. Die Zeichen stehen allerdings auf Konfrontation. Man fühlt vielerorts eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft. Die empfundene Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern wird größer. Während die Sieger noch mehr Freiheit und Autonomie einfordern, brauchen andere Fairness und Solidarität. Während die einen frei von unnötigen Vorschriften und Zwängen sein wollen, bestehen die anderen auf entschiedener Führung und Schutz. Es entsteht also eine Kluft zwischen denen, die Freiheit nutzen, und jenen, die sich vor der Freiheit ducken. Zwischen Zuversichtlichen, die sich an die Altparteien klammern, und den Verängstigten, denen die AfD Wut injiziert. Was nicht thematisiert wird? Es geht längst nicht mehr um die traditionelle Kluft zwischen Arm und Reich, Rechten und Linken, Modernen und Konservativen, sondern um eine Kluft, die auf der individuellen Fähigkeit basiert, mit einer immer komplexeren Welt fertig zu werden. Ein Teil der Gesellschaft wird deshalb Schutz und Führung erwarten, während andere ihre eigenen (Lebens-)Ziele verfolgen und feste Verpflichtungen auf ein Minimum reduzieren. Letzteren bieten sich neue, ungeahnte Möglichkeiten, während sich am anderen Ende der Fahnenstange die Menschen einer Welt ausgesetzt sehen, die sie nicht mehr verstehen.

2. Die Zeichen stehen auf Abschottung. Einerseits die Kreativen und Unabhängigen – mit Potenzial und Optionen. Äußere Zwänge und Führung lehnen sie ab. Sie sind in der Welt zu Hause, mobil und vernetzt.
 Auf der anderen Seite Menschen, welche die negativen Auswirkungen der Individualisierung erleben. Sie haben zwar mehr Wahlmöglichkeiten als früher, aber die daraus resultierenden Dilemmata verwirren sie. Für diese Menschen sind andere Werte wichtig. Fairness zum Beispiel ist wichtiger als Freiheit. Sie wünschen sich deshalb mehr Stärke und Einsatz von der politischen Führung. In dieser Situation wird der Ruf nach Nation, Nachbarschaft und Identität laut. Gleichzeitig bricht diese homogene, geschlossene Gesellschaft immer mehr auf. Genau darauf hoffen strategisch die Rechten im Lande: Die Gemeinschaft löse sich mehr und mehr auf, Einwanderung und Globalisierungskräfte stellen ihre Heimat infrage. Sie betonen, dass Solidarität, Zusammenhalt und Berechenbarkeit, die die alten Strukturen boten, verschwinden. Aus ihrer Perspektive muss diesen Bedrohungen entgegengewirkt werden. Die Politik könne ihnen den Schutz nicht mehr bieten, den sie erwarten. Hier liegt des Messers Schneide für die Politik des politischen Establishments.

Eine demokratische Gesellschaft kann nur überleben, wenn nicht zu viele Bürger das Gefühl haben, dass sie zu den Verlierern gehören beziehungsweise sich als Opfer sehen denn als Akteure oder Beteiligte. Politik muss die Mehrheit zwischen den Polen davon überzeugen, dass das Land Erneuerung benötigt. Diese Herausforderung korrespondiert allerdings mit dem Bedarf nach transformativer Führung, die in der Lage ist, Polarisierung und antagonistische Spaltung zu überwinden. Eine neue Erzählung wird benötigt. In Sicht ist sie noch lange nicht. Deutschland sieht alt aus.
Willkommen im Wahlkampf, den wir wie gewohnt nur altbacken erleben werden!

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /26, 13. Februar 2017