Montagsblock /240

Zuerst dachten die Anwesenden beim Sternenhimmelfestival südlich von München, dass es sich vielleicht um eine besondere Kunstinstallation handeln könnte, als abends, untermalt von Partymusik, plötzlich eine lange Reihe heller, einzelner Lichter vom Horizont aufstieg, über den Himmel eilte und plötzlich wieder verschwand. Als ich am nächsten Tag dazukam, war die Verstörung der Beobachter noch zu spüren. Der Ursprung der Lichter hatte sich aber bereits durch Googeln aufklären lassen: Es war eine neue Lieferung der Musk’schen Starlink-Satelliten gewesen, die in Formation fliegen, bevor sie sich auf ihre finalen Bahnen bewegen. Nach wie vor hat dieser Anblick etwas Dystopisches. Und die Tatsache, dass deren Ausbringung nie von all denen legitimiert wurde, deren Blick in den Himmel von ihnen nachhaltig gestört wird, passte so wunderbar zu dem Thema des Festivals – „Horizonte der Zukunft“ – dass man den Zufall der raumzeitlichen Abstimmung kaum fassen konnte. Zudem schien es fast ein thematischer Vorbote gewesen zu sein, für die Fragen, die am Folgetag in einer von mir moderierten Diskussion aufkommen sollten, in der es um Solares Geoengineering ging.

Ich muss gestehen, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit nicht glauben konnte, dass die Idee, das Klima aktiv durch Reflexion von Sonnenlicht zurück ins All kontrollieren zu wollen, tatsächlich ernsthaft verfolgt wird. Durch meine eigene Forschung an komplexen nichtlinearen Systemen, zu denen auch das irdische Klima zählt, habe ich großen Respekt davor, die eigenen Möglichkeiten der Kontrolle solcher Systeme zu überschätzen. Schwefeldioxid in die Stratosphäre einzubringen, um dort die Entstehung von sulfathaltigen Aerosolen zu fördern, die Sonnenlicht reflektieren, klingt zwar oberflächlich nach einer eleganten Lösung, die Erderwärmung aufzuhalten. Aber dass dabei auch massiv viel schiefgehen kann, sollte eigentlich offensichtlich sein: Das Wetter wird regional in kaum vorhersehbarer Weise beeinflusst und es könnte zu neuen atmosphärischen Extremphänomenen kommen, Pflanzen leiden und Ernteausfälle sind zu erwarten, die Ozonschicht wird in Mitleidenschaft gezogen, Solaranlagen arbeiten weniger effizient. Und schließlich ändert sich nichts am ursprünglichen Problem: Es bleibt zu viel CO2 in der Atmosphäre und gebunden in den Meeren. Sobald die Aerosole nach etwa zwei Jahren wieder aus der Stratosphäre verschwunden sind und nicht nachgeliefert werden, kommt es außerdem zu einem „termination shock“: Zur plötzlichen Erwärmung auf die Temperatur, die dem hohen CO2-Gehalt in der Atmosphäre entspricht, was deutlich gefährlicher sein könnte, als der langsame Klimawandel selbst.

Viele Jahrzehnte war das solare Geoengineering für die meisten Wissenschaftler tabu, denn es liefert die bequeme Illusion einer vermeintlichen Lösung, die dem Anpacken des eigentlichen Problems durch die Minderung der Treibhausgasemissionen im Wege steht. Doch die Stimmung hat sich in den vergangenen Jahren geändert, und das war die beunruhigende Erkenntnis, die ich von der Veranstaltung mit nach Hause nahm. Vor einem Jahr fand beispielsweise das erste wissenschaftliche Freilandexperiment zu solarem Geoengineering statt. Dabei wurden einige hundert Gramm Schwefeldioxid mit einem Ballon in die Stratosphäre gebracht, was selbst natürlich kein sonderlich folgenreicher und gefährlicher Vorgang ist.  Trotzdem war es ein Tabubruch, und das hauptsächliche Resultat des Experimentes war denn auch die Erkenntnis, dass so etwas einfach und billig machbar ist: Die Ausstattung hatte weniger als 1000 Dollar gekostet. Der verantwortliche Wissenschaftler Andrew Lockley hatte das Experiment mehr oder weniger im Alleingang durchgeführt, ohne vorher damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Das rechtfertigte er damit, dass ein früheres, ähnliches Experiment der Harvard University nach dem Versuch, die Öffentlichkeit einzubeziehen, durch Proteste gestoppt worden war.

In einem Artikel, den er in der Zeitschrift „Futures“ veröffentlicht hatte, findet man weitergehende Informationen über mögliche Beweggründe. Dort schreibt Lockley mit zwei Kollegen, dass solares Geoengineering notwendig werden könnte, um Zeit im Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen und schlimme Folgen der dadurch hervorgerufenen Erwärmung zu verhindern. Vor diesem Hintergrund sei es eine interessante Frage, inwiefern „philanthropisches Geoengineering“ vertretbar sein könnte, denn Zivilisten würde ja auch an anderen Stellen zugestanden, im Angesicht großer Krise besondere Maßnahmen zu ergreifen: Züge zu stoppen, Gebäude evakuieren zu lassen oder sich mit Waffengewalt selbst zu verteidigen. Wäre es entsprechend denkbar, dass Einzelpersonen ethisch gerechtfertigt und verantwortungsbewusst selbst solares Geoengineering umsetzen, das sich schließlich dadurch auszeichnet, relativ billig und hocheffizient zu sein? In seinem Artikel durchdenkt er mit seinen Kollegen verschiedene Szenarien: vom Milliardär in Erdrettungsmission oder Gruppen reicher Einzelpersonen über Crowdfunding-Aktionen und sozialen Bewegungen bis zu extern finanzierten Technokraten. Sein Fazit: Mit der Legitimierung ist es überall nicht ganz einfach, aber am einfachsten wäre es im Technokraten-Szenario zu rechtfertigen, wenn Menschen mit der entsprechenden Expertise die Dinge in die Hand nähmen.

Es ist interessant, als Kontrast einen Artikel zu lesen, den 2018 der Soziologe Ryan Gunderson, der Geograf Brian Petersen und die Nachhaltigkeitsforscherin Diana Stuart in der Zeitschrift „Sustainability“ geschrieben haben. Dort wenden sie Gedanken der Frankfurter Schule und insbesondere von Herbert Marcuse auf das Problem des Geoengineerings an. Ihre Analyse weist darauf hin, wie sehr die Idee der Logik entspricht, die Natur zu nutzen und zu beherrschen und warnt davor, dass Geoengineering den Widerspruch zwischen Kapital und Klima (der Kapitalismus mit seiner wachsenden Produktion zerstört gleichzeitig die Vorbedingungen dieser Produktion) verschleiert statt aufzulösen. Eine hoch riskante Strategie wird dabei der eigentlich naheliegenden Alternative vorgezogen, den Systemfehler selbst zu adressieren.

Die Autoren weisen darauf hin, dass eine kritische Diskussion des Geoengineerings in dem Maße, in dem es als seriöses Forschungsfeld etabliert wird, immer weniger stattfinden könnte. Mittlerweile befinden wir uns tatsächlich schon mitten in diesem Prozess der Etablierung. In den Vereinigten Staaten soll jetzt ein großes internationales Forschungsprogramm zum solaren Geoengineering auf den Weg gebracht werden, im Juni ist dazu ein großer Report für die Biden-Regierung erstellt worden. Ob das wirklich dazu führt, dass der kritische Blick auf diese Technologie abnimmt, wird sich zeigen. Was man aber zumindest aus dem Blick in den immer stärker von Satelliten dominierten Nachthimmel gelernt haben sollte ist: Manchmal kann es mit der Anwendung von Technologien mit globalen Folgen schneller gehen, als man es für möglich hält.

Sibylle Anderl, Montagsblock /240

25. September 2023