MONTAGSBLOCK /24

Warum gibt es eigentlich keine sozialen Utopien mehr? Wer verknüpft sein eigenes Dasein noch mit einem utopischen Gesellschaftsideal? Warum herrscht im ganzen Land eine seltsame Uneigentlichkeit im Denken und Tun? Und warum revoltiert niemand dagegen?

Wenden wir uns dem Menschen in der Revolte zu. Und blättern zunächst etwas in der Geschichte herum. Ein französischer Schriftsteller meinte in den 1950ern: »Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt.« Richtig, und mit dem Nein formuliert er die Grenze des Bis-hierher-und-nicht-weiter. Hinter der Grenze wartet als Alternative das Da-haben-wir-ein-Recht-darauf-Land. Jeder Aufstand, jede Revolution folgt unausweichlich dieser Dialektik. Mit der Grenze des Unerträglichen wird gleichzeitig etwas definiert, was der Mühe lohnt. Aus dem dunklen Nein schält sich ein helles Ja heraus.

Historisch gesehen, braucht es genau diese Synchronizität aus dunklem Nein und hellem Ja. Dann brechen die Revolten los. Es war und ist jedoch schwierig, zu bestimmen, wann genau diese Gleichzeitigkeit den unbedingten Drang zu Empörung und Aufruhr auslöst. Wann also revoltiert ein Mensch? Wenn er nichts mehr zu essen hat, wenn er geknebelt in der eigenen Ohnmacht erstickt oder wenn die Regierenden ob ihres moralischen Lotterlebens den Bogen überspannt haben? Vor allem, wann revoltiert ein Mensch heute, in einer Zeit, wo eine Gewerkschaftsdemo so viel Aufruhr auslöst wie eine zufällige Zusammenrottung von Papageien in der Zoohandlung. Im Zeitalter der durchagitierten Menschen verkümmern laute Parolen zu austauschbaren Werbeeinblendungen. Keiner kann sich hierzulande mehr eine Revolte vorstellen. Warum? Weil sie im frühmorgendlichen Berufsverkehr stecken bleiben oder im Feierabend-Swing der Proletarier untergehen würde?

Es ist diesbezüglich traurig, aber eigentlich hat Donald Trump das Prinzip der Revolte reanimiert. Er hat ein dunkles Nein formuliert, und ein helles Ja soll seine Präsidentschaft werden. Denn er begreift sich im Innersten seines Herzens als Königsmörder. Sein Antrieb ist klar: Als Erfüllungsgehilfe des Paradieses, eine Art selbst ernannter Erzengel, tötet er das Böse, damit das Gute unbefleckt bleibt. Er betrachtet sich als Tugendhafter, der via Twitter wie eine moralische Rasierklinge regiert. Und redet permanent über das gute, alte Da-haben-wir-ein-Recht-darauf-Land. Mit der Folge: wer nicht spurt, muss fühlen. Entweder drin, oder abgekanzelt und exkommuniziert. Twitter wird zum Wohlfahrtsausschuss.

Dabei ist der semantische Trick uralt: Bereits Robespierre & Co. verlegten die Legitimation des Königsmordes außerhalb der Gesellschaft, nämlich ins Naturrecht. Für den König ist dort kein Platz mehr. Er wird als Außenstehender, als Feind stigmatisiert, der keine Verbindung zur neuen Macht besitzt. »Die Revolte beginnt, wenn der Tyrann stirbt«, rief Saint-Just im Paris von 1792 aus. Trump ist die billige Reinkarnation dieses Satzes. Sein Naturrecht erstreckt sich auf die amerikanische Nation. Als exklusiven Zugehörigkeitsort. Er stilisiert seine politischen und sonstigen Gegner zu semantischen Tyrannen (Clinton, Obama, nicht nationalistische Unternehmen, Intellektuelle usw.), um sie dann als Außenstehende aus der Gesellschaft zu treiben. Wir werden in der nächsten Zeit vielfach Zeuge dieser Trump’schen Ausgrenzungen werden. USA first! Trump first!

Doch darin liegt der Keim der nächsten Revolte. Denn das Königsmörder-Spiel beginnt irgendwann wieder von Neuem. Bis das dunkle Nein und das helle Ja wieder im Gleichklang schwingen. Trump wird zum Katalysator seines eigenen Untergangs. Am Ende wird er der Tyrann sein, der aus dem Amt gejagt wird. Vermutlich wird man dann wieder über soziale Utopien reden. Dank sei Trump!

Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /24, 16. Januar 2017