Montagsblock /238

Im Metaspiel der Weltpolitik gibt es neben den vertrauten Bekannten zahlreiche Akteure, die durch die Weltgefilde toben. BRICS-Länderchefs in antiwestlicher Selbstberauschung, tollwütige Soldaten im Kriegsrausch oder islamische Volksunterdrücker im Letzte-Wahrheitsrausch. Putin & die letzte Heuler-Crew wollen andere Regeln, andere Rollen und greifen auf andere Ressourcen zurück, damit lösen sie neue Konflikte und Widersprüche aus. So sind etwa seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine die Regeln von Krieg und Frieden gezielt verschlechtert worden. Menschliche Tierwesen lauern in Schützengräben. Bösartige Drohnen bohren sich in öffentliche Marktplätze. Helfende Hände geraten unter Beschuss.

Neue undurchsichtige Gesellen in der Weltpolitik, dazu die Ökonomie weiter auf dem globalen Beutezug mit Wohlstandsbalsam für die Heimat. Zu guter Letzt ein soziales und wirtschaftliches Problemkorsett, das nationalstaatlich wie supranational nicht mehr lösbar scheint. Grenzenlose Unübersichtlichkeit ohne jede Kontrolle?

Das alles macht Angst, verständlicherweise. Was aber tun gegen die Orientierungslosigkeit und Erschöpfung, die aus dem Krisenstakkato resultieren? Wie wird eine positive Zukunft wieder begreifbar? Lassen Sie uns kurz gedankenexperimentell eine andere Kameraeinstellung einnehmen. Ein möglicher Schritt zu mehr Beruhigung und Entlastung. Raus aus der Untergangspandemie. Kurz die aktiven Schurkenvulkane löschen und von einer anderen Welt träumen. Auch so kann ein Montag beginnen.

Nennen wir sie die Welt einer kosmopolitischen GmbH. Ohne Mehrheitseigner.

Präambel: Wir leben in einer Welt, in der an allen Orten die Widersprüche der Vielfalt herrschen dürfen. Gleichzeitig werden die positiven Möglichkeiten für mehr Kreativität, für die Entfaltung von politisch-alternativen Formatierungen oder für die höhere Produktivität von Arbeit gefördert. Es lebe das Zeitalter der Transformationsungleichheit. Schluss mit Nationalismus und Kontinentalismus jeder Art, die im Inneren eine Gleichheit der Identität vorgaukeln, die zwangsläufig mit der Exklusion derjenigen endet, die nicht dazugehören.

Paragraf 1: Der Bürger des 21. Jahrhunderts ist ein Kosmopolit im Sowohl-als-auch, ein Weltbürger über alle Grenzen hinweg und ein Bürger der Polis. Anmerkung: „Im Ort verwurzelt sein und Flügel haben“, hat der Soziologe Ulrich Beck diese Konstruktion einer doppelten Heimat einmal beschrieben. Alte, nationale Heimat verliert Exklusivität und ermöglicht die Beteiligung des Fremden. Während im Nationalismus Heimat nur als Anerkennung der Eigenheit des Eigenen verstanden wird, ist der Kerngedanke im Kosmopolitismus „die Anerkennung der Andersheit des Anderen”, so Beck.

Nicht schlecht, oder? Man versöhnt sich mit der Geschichte des anderen durch gegenseitige Anerkennung. Oder andersherum: Man fühlt sich für das Unrecht der eigenen Nation schuldig und erkennt die Geschichte des anderen an. So könnte Versöhnung zum zentralen Erinnerungserlebnis werden. Man wird Teil eines globalen Ganzen und differenziert sich über verschiedene Identitäten. Eine Drinnen-Draußen-Logik gibt es nicht mehr.

Paragraf 2: Jeder ist ein Ausländer und genau dort zu Hause. Grenzen lösen sich auf. Anmerkung, noch einmal Ulrich Beck: „Der kosmopolitische Blick verbindet den Respekt vor der Würde der kulturell anderen mit dem Interesse am Überleben jedes Individuums.” Das klingt nicht nur, das ist Kern einer Befreiungstheorie, die die Fesseln des einzelnen von den übermächtigen alten Kräften in Politik und Wirtschaft lösen will.

Summerday statt Mayday: Weder der Westen mit seinen weiterhin neoliberalen Einmarschbemühungen in den globalen Raum noch die selbstherrliche Verknalltheit russisch-chinesisch-nordkoreanischer Präsidenten in die Allmacht können das Spiel am Ende gewinnen. Niemand regiert auf lange Sicht über den anderen. Keiner kann dauerhaft omnipotent bestimmen, wo es langgeht. Auch nicht die Wirtschaft, die vielerorts immer noch glaubt, den Staat minimieren zu müssen, um die eigenen Interessen zu maximieren. Auch nicht die Politik, die im national- und europastaatlichen Korsett eingezwängt immer unfähiger wird, die drängenden Probleme zu lösen. Selbst Borderliner wie Xi Jinping werden die staatssozialistischen Schranken irgendwann öffnen müssen.

Die Welt als GmbH ohne Mehrheitseigner? Eine Utopie, die beim Denken bereits in den Waldbränden der Tagesaktualität zu verglühen scheint. Doch nach dem Feuer sprießen neue Pflänzlein. Weiß jeder Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau. Was spricht also gegen eine neue Balance der Mächte, einer Balance of Power ohne Machtfressmaschinen und Gewaltgötzen?

Ende des Traums. Wir schalten zurück in die böse Welt.

Dieser Montagsblock ist den Opfern von 9/11 vor genau auf den Tag 22 Jahren gewidmet. In Memoriam: 11. September 2001. Leider wird der Kosmopolitismus bis heute als romantisch-naiver Pseudoismus diffamiert. Der Realitätsimperialismus durchgeknallter Diktatoren, zerstörungswütiger Krieger und grenzenloser Menschenverachter diktiert weiterhin das Zeitgeschehen.

Peter Felixberger, Montagsblock /238

11. September 2023