Montagsblock /222

Ist die Wärmepumpe unbürgerlich? Entfremdet uns Heizen ohne Flamme vom Feuer? Müssen alle Heizungen bis Ende des Jahres aus den Kellern gerissen werden? Dient der „Heiz-Hammer“ dazu, Staatsmacht vorzuzeigen und uns alle zu Untertanen zu erziehen, wie (ab-)driftende Leitartikel weismachen wollen? Ist es eine Mafia aus Nicht-Regierungsorganisationen in Regierungsnähe und halbseidener Wissenschaft (Elfenbeinturm!), die das den Deutschen antut? Wäre ich BILD-Reporter, würde ich sie `NGOgheta nennen.*

So sehr Compliance-Regeln im zuständigen Ministerium verletzt wurden und so sehr da ein langjähriges Netzwerk in Anspruch genommen wurde, das allzusehr in sich ruhte, so wenig lässt sich der Ton in der Debatte um konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz damit erklären. Dass die interessierte Presse und die Opposition das ausschlachten und geradezu kampagnenförmig in Anspruch nehmen – das ist business as usual und wenig überraschend. Darin gleich Hetze zu vermuten, ist vielleicht eine Nummer zu groß. Überraschend ist nur die Chuzpe jener, deren eigene Netzwerke und Fehlleistungen Legion sind. Dass sie sich besonders über die Grünen echauffieren, hat natürlich damit zu tun, dass es um ein wichtiges Thema geht, aber auch damit, dass man den Grünen ihr (reales oder vermeintliches) Selbstbild der moralischen Überlegenheit um die Ohren hauen kann. Aber, wie gesagt, business as usual. Sich darüber zu wundern, wäre naiv.

Interessanter ist, wie sehr sich die Frage konkreter Maßnahmen zum Klimaschutz zum Kulturkampf entwickelt. Es geht fast nirgendwo mehr darum, welche Konzepte angemessen sind, welche Instrumente sinnvoll und welche Maßnahmen welche Effekte erzielen. Es wäre gerade jetzt die Zeit, nicht einfach zwischen „Markt“ und „Plan“ zu unterscheiden (das ist eine Opposition aus der Steinzeit), sondern die Art und Weise von Staatsintervention, von Investitionen versus Subventionen, von Marktmechanismen und Anreizpolitik, von Standort- und Industriepolitik stark zu machen. Diskutiert man das weiter, würden sich Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die weit über die primitiven Dichotomien der Diskussion hinausgehen, übrigens auch was private Finanzierungsmodelle für die Heizungsmodernisierung angeht. Aber die ganze Diskussion funktioniert, wie gut integrierte öffentliche Konflikte eben funktionieren: Es diffundiert hin zu einem Entweder/Oder – Klimaschutzmaßnahmen werden per se delegitimiert, und „man“ nimmt „uns“, was „uns“ lieb und teuer ist.

Vielleicht ist ein fast unvermeidlicher Fehler von Transformationspolitik, dass diejenigen, die seit Jahren oder Jahrzehnten an einem konkreten Thema arbeiten, sich dafür engagieren, die Dringlichkeit geradezu inhaliert haben, sich kaum vorstellen können, dass die Relevanzstrukturen und die Perspektiven aller anderen anders gestrickt sind. Dies zu beobachten, ändert nichts an der Dringlichkeit und nichts daran, dass es besser gewesen wäre, viel früher mit geeigneten Maßnahmen zu beginnen. Und es bedeutet auch nicht, dass die jetzt geplanten Maßnahmen richtig oder falsch seien – das interessiert hier nicht. Es geht darum, warum und wie die Dinge so emotionalisierbar sind und einen Resonanzboden erzeugen, der tatsächlich gefährlich für Klimapolitik werden kann.

Was unter dem großen Begriff der „Wärmewende“ diskutiert wird und was von interessierter Seite als „Heiz-Hammer“ delegitimiert wird und worüber schlichte Lügen (Heizungen müssen aus den Kellern gerissen werden!) verbreitet werden, hat das Zeug dazu, den Grundkonflikt genauer zu bestimmen. Wir wissen, dass Zustimmungsraten zu Klimapolitik sehr hoch sind, wenn man allgemein fragt, aber sinken, sobald Veränderungen der eigenen Situation drohen. Was geldwerte Kosten angeht, ist das erwartbar, und es lässt sich mit den Mitteln der Verhaltensökonomie gut rekonstruieren und mit finanziellen Mitteln teilweise kompensieren. Aber es geht auch um nicht in erster Linie geldwerte Kosten, es geht darum, dass Selbstverständliches in Frage gestellt wird.

Nicht umsonst wird die Diskussion vor allem über Alltagspraktiken geführt – kaum etwas ist dem Alltag näher als das Heizen der eigenen vier Wände. Danach kommt gleich das Autofahren. Das Tempolimit und die Antriebstechnik ist das vielleicht deutlichste Symbol. Man kann übers Autofahren spotten, man kann Leute, die auf der Autobahn schnell fahren (auch ich bin früher zugegebenermaßen schon mit 200 km/h über Autobahnen gefahren), für unverantwortlich halten, man kann sich darüber empören, dass übermotorisierte Fahrzeuge in Innenstädte fahren, man kann das Auto zum Symbol alles Falschen machen (weswegen die Blockadepraktiken der „letzten Generation“ symbolisch gut gewählt sind). Und man hat auch Recht damit – wie mit einer Kritik an Kurzstreckenflügen, an zu viel Fleischkonsum, sogar Grillabende sollen eine CO2-Bilanz wie ein großer Diesellaster haben.

Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass sich Verhaltens- und Strukturveränderungen kaum auf Überzeugungen und Aufklärung, auf gute Argumente und Dringlichkeitskommunikation verlassen können – dahinter steckt ein intellektuelles Selbstmissverständnis vor allem derer, die mit dieser Aufklärung und diesen Argumenten buchstäblich leben und ihr Geld verdienen. Was etwa Wärmepumpen als Wärmespender für Wohnhäuser angeht, ist Deutschland gemeinsam mit Großbritannien Schlusslicht, und das größte Problem bei der Umstellung auf Wärmepumpen könnte darin bestehen, dass andere europäische Länder eine viel höhere Nachfrage haben und man mit der Produktion kaum nachkommt – aber diese Information wie auch der Hinweis darauf, dass es nur darum gehen wird, dass ohne Wärmepumpen nicht neu gebaut werden darf, sind schon zu viel der Information und offensichtlich weniger mächtig als die „gefühlte“ Wirklichkeit und symbolische Bedeutungen.

Die vielleicht prägendste Alltagspraktik ist der Konsum – auch darüber kann man die Nase rümpfen und dabei gepflegter konsumieren als andere. Man unterschätzt, dass Konsumenten sich in Form von Konsumlogiken verhalten – und dass man auch Verhaltensänderungen in erster Linie konsumlogisch denken muss, denn daran sind wir (sic!) gewöhnt: Praktiken zu bevorzugen, Produkte und Dienstleistungen zu kaufen und das für plausibel zu halten, was sich bewährt hat oder das Bewährung am besten versprechen kann. Das gilt auch für Argumente und Überzeugungen.** Was wir tun, was wir schön finden, was wir kaufen, was Prestigewert hat, was ästhetisch überzeugt, was Distinktion gegenüber dem Nachbarn ermöglicht, wie impression management erfolgt, ähnelt stets eher der Form des Konsums als der Form der rationalen Information oder der abgewogenen Überzeugung.

Das gilt übrigens auch für diejenigen, für die jeder Verzicht auf CO2-lastige Praktiken im Alltag plausibel erscheint – kein Automobil zu besitzen, nicht zu fliegen, das Grillen von Fleisch als höllische Form anzusehen oder ein vermeintlich widerspruchsfreies Leben zu führen. Auch das lebt vom Distinktionsgewinn, der Plausibilität schafft und Zustimmung aus der peer group.

Würde man nun einwenden, dass diese gut informiert sind und jene nicht, ist das nicht ganz falsch – aber auch nicht richtig. Denn in dem Pro und Contra, das damit imaginiert wird und dessen distinktive Funktion nicht unterschätzt werden sollte, ist auch die engagierte Seite nur teilweise gut informiert. Wüsste man etwas darüber, wie sehr der Alltag von Menschen von plausiblen Gewohnheiten geprägt ist, davon, die Grundfesten der Alltagsroutinen in einer latenten Unsichtbarkeit zu belassen, distinktive Formen der Individualität zu brauchen, Bestätigung und Anerkennung für den eigenen Alltag, dann wäre man womöglich in der Lage, Strategien daraufhin auszurichten.

Nach meinem Dafürhalten ist das, was der Bundeswirtschaftsminister versucht, genau das Richtige – und sich die Expertise zu holen, die man dafür braucht, ist es ebenso. Was aber unterschätzt wird, ist die Tatsache, dass das, was für den einen Information und Überzeugung ist, für den anderen Infragestellung symbolischer Selbstverständlichkeiten bedeutet. Diejenigen, die obercool, kampagnenartig, selbstgerecht, rabulistisch (Höhepunkt: die Unbürgerlichkeit der Wärmepumpe), vorurteilsbeladen und zugleich uninformiert dagegen vorgehen, haben keine besseren Konzepte. Aber sie nutzen exakt diese Form der alltagsnahen Formen symbolischer Selbstverständlichkeiten und Bedrohungen, um daraus Kapital zu schlagen.

Vielleicht muss man daraus den Schluss ziehen, bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen – neben aller Überzeugungs-, Informations- und Argumentationspflicht – auch dies zu berücksichtigen: Wie werden aus anderen, veränderten, vielleicht auch anstrengenderen Praktiken solche, die ästhetisch überzeugen, die distinktiv funktionieren, die alltagsnah umsetzbar sind, die Veränderung nicht als Verzicht framen, die in diesem Sinne plausibel sind? Die Kampagnen gegen Veränderungen nutzen diese Strategien – sie haben die Alltagsselbstverständlichkeiten und die symbolischen Formen des latent Gültigen auf ihrer Seite. Sie können diejenigen, die nicht allgemein über Klimaschutz schwafeln, sondern etwas umzusetzen versuchen, als alltagsferne Schwätzer und – Lieblingswort – „Ideologen“ abtun. Man kann diese Formen niemals mit besseren Argumenten kritisieren, weil man sich dann auf eine Währung einlässt, die in dieser Auseinandersetzung gar keine Rolle spielt. Man muss diese Leute mit ihren eigenen Waffen schlagen. Sie glauben, dass sie den „gesunden Menschenverstand“ und die wirklichen Interessen und Gefühle der Leute auf ihrer Seite haben. Dagegen hilft weder ein gutes Argument noch die distinktive Demonstration moralischer Integrität und erst recht nicht, die urbane Lebensform der immer schon Überzeugten für überlegen zu halten. Dagegen hilft nur, Lösungen alltagsfest und alltagsnah zu machen, eine Sprache zu sprechen, die das demonstriert und nicht zuletzt Veränderungen mit einem Bewährungsindex zu versehen.

Diese Kategorien sind mindestens so wichtig wie volkswirtschaftliche und industrie- und wirtschaftspolitische Überlegungen. Die Kompensation sozialer Härten durch Geld muss flankiert werden durch die Kompensation symbolischer Härten durch entsprechende Ansprache, Gestaltung und Toleranz anderen Milieus gegenüber. Alles andere wird von denen, die noch die Geschwindigkeit auf der linken Fahrspur für den wesentlichen Freiheitsindex halten und die Gasheizung ob ihrer Feuernähe geradezu zur anthropologisch angemesseneren Form der Wärme erklären, nur ausgeschlachtet werden, um jede Debatte zu verhindern. Denn das ist die Erfahrung der letzten Krisen: Die Fundamentalopposition gegen das Ungewohnte und Herausfordernde hat es zumindest geschafft, jegliche Diskussion von Alternativen, von konkurrierenden Lösungen, von Selbstkorrekturen zu verhindern – um dann mit dem Zeigefinger aufzumerken und genau das zu beklagen.

Armin Nassehi, Montagsblock /222

22. Mai 2023

* Rechte an dem Begriff günstig abzugeben.

** Vgl. Armin Nassehi: Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft, München 2021, S. 389ff.