Montagsblock /206

62 Prozent der Deutschen haben 2022 der Wissenschaft und Forschung voll und ganz vertraut — mehr als zehn Prozent mehr als vor der Pandemie, die Anfang 2020 die Vertrauenswerte in die Höhe hatte schnellen lassen, bevor es dann wieder zu einem leichten Abfall kam. Diese Zahlen hat das Wissenschaftsbarometer, das seit 2014 jährlich von Wissenschaft im Dialog (WiD) durchgeführt wird, Ende vergangenen Jahres veröffentlicht. Befragt wurden dafür mehr als 1000 repräsentativ ausgewählte Personen. Was die Umfrage auch zeigt: Das entgegengebrachte Vertrauen hängt vom formalen Bildungsniveau ab. Bei Menschen mit niedrigem Bildungsniveau vertrauten nur 44 Prozent der Forschung, bei Menschen mit hohem Bildungsniveau waren es dagegen 76 Prozent.

Dieses Phänomen ist nicht neu und wurde bereits in vielen Studien beobachtet, die sich mit dem öffentlichen Verständnis von Wissenschaft beschäftigen. Es legt den Schluss nahe, dass es für fehlendes Vertrauen in die Forschung ein einfaches Rezept gibt: Bildung. Denn — so wäre die weitergehende Begründung — Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Wissenschaft ist kompliziert, und wenn man nicht weiß, was die Forscher so treiben, ist das wenig vertrauenserweckend.

Dass die Dinge aber doch verwickelter sind, hat vergangene Woche eine Studie in PLOS Biology untermauert. Sie bringt einen zweiten wichtigen Faktor ins Spiel: neben dem objektiv überprüfbaren Verständnis von Wissenschaft und Forschung, wie es vom formalen Bildungsgrad abgebildet wird, spielt auch die subjektive Einschätzung des eigenen Wissens eine wichtige Rolle. Denn wer fälschlicherweise glaubt, Wissenschaft zu verstehen, der wird sich nicht vor dem Unbekannten ängstigen, sondern höchstens vor seinem falschen Bild von Wissenschaft.

Man ist da sofort an den Dunning-Kruger-Effekt erinnert, der das Phänomen beschreibt, dass die (in bestimmten Fragen) Inkompetenten durch ihre Inkompetenz daran gehindert werden, das eigene Wissen und auch fremde Kompetenzen zutreffend einzuschätzen. Resultat ist Selbstüberschätzung — und das wiederum hieße, dass diejenigen, deren objektives Wissen von wissenschaftlichen Zusammenhängen lückenhaft ist, das vermutlich gar nicht merken. Je nachdem, was sie sich selbst über die Wissenschaft zusammengereimt haben, könnte ihr Bild der Wissenschaften dann allerdings sowohl positiv als auch negativ ausfallen.

Dass das aber nicht der Fall ist, zeigt nun die erwähnte Studie. Durchgeführt wurde sie von britischen Genforschern, die anscheinend wissen wollten, woher das verbreitete Misstrauen ihrer Arbeit gegenüber stammt. Auf der Grundlage der Befragung von mehr als 2000 britischen Erwachsenen stellten sie zuerst fest, dass diejenigen, die eine sehr starke positive oder negative Einstellung zu Gentechnik hatten, auch diejenigen waren, die vom eigenen Wissen zu diesem Thema besonders überzeugt waren, und zwar graduell: Je stärker die Meinung, desto höher das Selbstbewusstsein. Wenn im nächsten Schritt aber geprüft wurde, wie gut dieses Wissen tatsächlich ist, waren es vor allem diejenigen mit lückenhaftem Wissen, die der Gentechnik besonders negativ gegenüberstanden. Andersherum konnten die Wissenschaftler auf der Grundlage des abgefragten Wissens recht gut voraussagen, wie hoch die Vertrauenswerte und die Skepsis hinsichtlich des Nutzens dieser Forschung waren — und zwar nicht nur in Bezug auf Gentechnik sondern auch in Bezug auf die Covid-Impfung. Bei letzterem Thema zeigte sich allerdings auch, dass nicht nur die Vorbildung eine wichtige Rolle spielt, sondern auch demographische Faktoren, und hier insbesondere das Alter der Befragten — wenig verwunderlich, da das Verhältnis der Risiken von Impfung und Erkrankung bekanntlich stark vom Alter abhängen.

Die Studie ist hinsichtlich der abgefragten Themen natürlich überaus limitiert. Aber trotzdem ist es interessant, welche Schlüsse die Autoren aus ihren Ergebnissen ziehen. Denn wenn bei denjenigen, die der Wissenschaft skeptisch gegenüberstehen, die Überzeugung besonders hoch ist, gut informiert zu sein, wird man sie kaum mit Bildungsangeboten erreichen — sie wissen ja schon alles. Und nicht selten ist die Quelle dieses Wissens verschwörungstheoretischer Natur. Statt die Skeptiker belehren zu wollen, so der Vorschlag der Autoren, müsse man vielmehr versuchen, die falsche Selbsteinschätzung anzugehen: indem man auf logische Inkonsistenzen aufmerksam macht, und indem man sie bittet, ihr Verständnis wissenschaftlicher Zusammenhänge zu erläutern. Dann können man ihnen demonstrieren, an welchen Stellen Lücken und Unstimmigkeiten sind.

Eine andere Folgerung der Autoren ist eine Mahnung: Man müsse im Kopf behalten, dass extreme Meinungen offenbar nicht selten mit einem starken Selbstbewusstsein über das eigene Wissen einhergehen, das nicht immer gerechtfertigt ist. Wenn das so ist, führt das natürlich zu einem Bias. Denn es heißt, dass mitunter diejenigen besonders überzeugend wirken, die besonders wenig wissen. Diejenigen dagegen, die Dinge differenzierter sehen, wären dann die, die sich der eigenen Wissenslimitationen besonders bewusst sind, weniger entschieden auftreten und damit auch weniger gehört werden. Die Studie bestätigt diese Beobachtung auch gleich: Denn unter ihren Teilnehmern erwiesen sich nur zehn Prozent als wissenschaftsfeindlich. 44 Prozent dagegen zeigten sich an Wissenschaft interessiert und wünschten sich eine stärkere Berichterstattung.  So wichtig das Thema zunehmender Wissenschaftsskepsis ist, darf man also nicht vergessen, dass es sich um eine laute Minderheit handelt, die die Glaubwürdigkeit und den Nutzen von Wissenschaft und Forschung in Zweifel zieht. Und das wiederum deckt sich auch mit den aktuellen Zahlen aus Deutschland.

Sibylle Anderl, Montagsblock /206

30. Januar 2023

Fonseca, C; Pettitt, J; Woollard, A; Rutherford, A.; Bickmore, W.;Ferguson-Smith, A.; Hurst, L.: „People with more extreme attitudes towards science have self-confidence in their understanding of science even if this is not justified“, PLOS Biology, 24.1.2023: https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3001915

Wissenschaftsbarometer 2022: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2022-12/Wissenschaftsbarometer_2022.pdf