Vor einer Woche konnten wir die Erde mal wieder von Weitem sehen. Aus knapp 435.000 Kilometern Entfernung erschien unser Heimatplanet klein hinter dem Mond, den das Orion-Raumschiff auf seiner Testmission Artemis-1 gerade umflogen hatte. Am 11. Dezember wird die Kapsel zurück auf der Erde erwartet. Bei der nächsten Mission, die für 2024 geplant ist, werden auch erstmalig wieder Menschen mit der NASA zum Mond reisen, und Fotos der “Blue Marbel” machen, 52 Jahre wäre das nach der ikonischen Aufnahme von Apollo 17.
Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen dann auch Europäer nicht nur zum Mond geflogen sondern auch dort gelandet sein. Die neue Astronautenklasse der ESA wurde am 23. November bekannt gegeben, zwei deutsche Frauen wurden als Reserveastronautinnen ausgewählt. Bei der Bekanntgabe waren auf der Bühne im Hintergrund nicht nur der Mond sondern auch der Mars zu sehen – dem zukunftsgewandten Explorationsgeist in Richtung All können sich selbst die sonst eher zur Skepsis neigenden Europäer derzeit nicht mehr verschließen.
Wichtige Motivation dabei ist aber nicht nur die astronautische Inanspruchnahme neuer Räume sondern auch der Abbau von Weltraumressourcen. Und auch hier erleben wir gerade historisch bedeutende Entwicklungen. Ende November sollte mit der japanischen M1-Mondlandefähre, die Teil des HAKUTO-R-Programms der Firma ispace ist, eine kommerzielle Mondmission starten, die Anwärter auf den Titel der ersten kommerziellen Mondlandung ist. Der Start mit der Falcon-9-Rakete der Firma Space-X musste allerdings ersteinmal verschoben werden. Im kommenden Jahr folgen die ersten kommerziellen Transporter der “Commercial Lunar Payload Services” der NASA, die den Aufbau einer dauerhaft bewohnten Mondbasis vorbereiten sollen. Spätestens dann wird das erste Unternehmen sich mit einer Mondlandung schmücken können. Und bereits in den kommenden Jahren die Firmen auch rechtliche Präzedenzfälle hinsichtlich des Rohstoffabbaus schaffen sollen: Die NASA hat 2020 vier Unternehmen damit beauftragt, Mondgestein einzusammeln und dieses der Weltraumbehörde zu verkaufen — um den Handel nicht unnötig zu verkomplizieren, soll das praktischerweise per Selbstabholung durch den Käufer erfolgen.
Dass der kommerzielle Abbau von Weltraumressourcen überhaupt rechtlich möglich ist, liegt an Lücken im internationalen Weltraumvertrag von 1967, den die USA jetzt durch einen eigenen Mondvertrag ergänzen will. Der Handel mit Ressourcen aus dem All wird in diesen “Artemis Accords” ermöglicht und geregelt, nicht nur für den Mond sondern auch den Mars, Kometen und Asteroiden. Deutschland hat die bilateral geschlossenen Verträge noch nicht unterzeichnet, aber vermutlich ist das nur noch eine Frage der Zeit, nachdem etwa Frankreich und Italien bereits dabei sind. Da eine Verweigerung der Kooperation mit den Amerikanern die Chancen auf gute Startplätze zum Mond in deren Artemis-Programm nicht unbedingt erhöhen dürfte, existieren schließlich handfeste Anreize, nicht allzu lang darauf zu pochen, dass Weltraumgesetze ausschließlich Sache der Vereinten Nationen sind.
Es ist interessant zu verfolgen, wie schnell aktuell zur Realität wird, was in Science-Fiction-Geschichten schon lange durchdacht wurde: Die Ausweitung der Ressourcenausbeutung immer weiter über die Erde hinaus. Was dabei konkret zu erwarten ist, und in welchem Maße diese Strategie die Rohstoffknappheit auf der Erde auszugleichen in der Lage sein wird, bleibt noch weitgehend offen. In den kommenden Jahren wird zunächst ausführlich erforscht werden, was im Mondboden überhaupt zu finden ist.
Aber es ist eindrucksvoll, mit welch großem Einsatz hier an etwas gearbeitet wird, dessen Alternative (sofern man die geopolitische Ebene ausklammert und sich auf die Ressourcen konzentriert) ein nachhaltiger Umgang mit irdischen Rohstoffen sein könnte. Vor fünf Jahren hatte das von der EU im Rahmen des Horizon-2020-Programms geförderte Projekt INTRAW drei Szenarien entwickelt, wie sich die abzeichnende Rohstoffknappheit im Jahr 2050 auf der Erde entwickelt haben könnte. Im ersten Szenario würden primäre Rohstoffe keine große Rolle mehr spielen, weil im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft Recyclingprodukte eine viel wichtigere Rolle einnehmen. Alternativ könnten aber auch technologisch effizientere und ethisch vertretbarere Methoden und Vereinbarungen entwickelt worden sein, um den Ausbau von Rohstoffen in internationaler Kooperation verantwortungsbewusst weiter voranzutreiben und Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Auch möglich, das wäre das dritte Szenario, wäre, dass politische und soziale Spannungen 2050 zu so verbreitetem Nationalismus und Protektionismus geführt haben, dass der Rohstoffmarkt weitgehend zum Stillstand gekommen ist. Die herrschende Rohstoffknappheit würde überall auf der Welt zu Konflikten führen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen mag man an die Realisierung der ersten beiden Szenarios kaum glauben. Stattdessen könnte man sich aber durchaus vorstellen, dass solche militanten Ressourcenkonflikte nicht nur auf die Erde beschränkt bleiben müssten.
Unser aktuelles Kursbuch 212 zum Thema Knappheit ist übrigens am vergangenen Freitag erschienen!
Sibylle Anderl, Montagsblock /199
05. Dezember 2022