Montagsblock /191

ABC kreativ ist ein Wissensspiel, das die unvergessene Kommunikationstrainerin Vera F. Birkenbihl gerne gespielt hat. Und es geht so: Um ein Problem zu lösen, erstellt man nach dem Alphabet eine Liste von Begriffen, die man um das Problem herum wahrnimmt. Ein Beispiel: Tochter ruft Vater an. Ihr Auto sei eingeschneit, der überraschende Kälteeinbruch, sie habe keine Schaufel, geschweige denn Handschuhe, aber dafür einen wichtigen Termin. „Vati, was soll ich tun?“ Dann beginnt sie laut Anweisung eine ABC-Liste zu erstellen. Sie schreibt alles auf, was ihr in und am Auto auffällt. Auspuff, Bremse, CD-Player, Decke, Erste-Hilfe-Kasten, Fenster, Glas … bis hin zu Radkappen etc. Und des Rätsels Lösung? Raten Sie mal, welcher Begriff weiterhilft?

Nächstes Problem. Next Level. Bürger ruft Kanzler an. Heizung ist ausgefallen, der überraschende Wintereinbruch, man habe kein Holz gesammelt, geschweige denn einen warmen Overall zur Hand, aber die Kinder kämen am Wochenende zu Besuch. „Kanzler, was soll ich tun?“ Wir erstellen eine ABC-Liste. Alles, was uns rund um Heizung auffällt. Aufwärmen, Batterie, Choke, Dreckschleuder, Erdöl, Frieren, Gas, Heizdecke, Isar II, Kohle, Lüfter, Ofen, Photovoltaik, Qualm, Rohr, Sonne, Thermostat … bis hin zu Wind und Zwischenabrechnung. Und des Rätsels mögliche Lösung? Heizdecke – verbraucht im Vergleich am wenigsten Strom. Das hat mir letzten Freitag der Radiomann im Bayerischen Rundfunk erzählt.

Es gibt auch eine Fortgeschrittenenversion von ABC kreativ. Diese Variante habe ich ebenfalls von der großartigen Vera F. Birkenbihl, die ich vor vielen Jahren als Lektor begleiten durfte: das Metaphernspiel. Der amerikanische Medientheoretiker Neil Postman nennt Metaphern Wahrnehmungsorgane. Sie prägen, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Birkenbihl sagt: „Jede Metapher hilft uns, eine Sache intensiver zu betrachten, sie beleuchtet einen Aspekt der Sache, den wir vorher vielleicht nicht registriert hatten, sie hebt ein bislang unsichtbares Detail hervor.“ Das Spiel funktioniert so: Wir nehmen einige Begriffe und betrachten sie als potentielle Metaphern für ein gänzlich anderes Thema. Beispiel: Wir denken uns fünf Begriffe rund ums Auto aus und untersuchen sie auf mögliche Verbindungen zum Thema Verhältnis zwischen Mann und Frau. Autopilot, Bremse, Getriebe, Lenkrad, Zündkerzen. Jeder kann nun selbst eine Verbindung herstellen: Zündkerzen können verschmutzen, Getriebe stocken und Bremsen verschleißen. Das Problem in jedem Metaphernspiel ist nur: Je weniger Assoziationen wir haben, desto armseliger fällt unsere Ausbeute aus. Man stellt also schnell fest, welche Themen metaphernreif sind und wo wir Wissens- und Kreativitätsdefizite haben.

Deshalb hier eine schnelle Beispielskizze zum Metaphernspiel. Wir denken uns fünf Begriffe rund um Fußball aus und untersuchen sie auf mögliche Verbindungen zum Verhältnis zwischen Robert Habeck und Christian Lindner. Zweiter Ball, Umschaltspiel, Aufsetzer, Falsche 9, Pfosten. Jeder kann nun selbst eine Verbindung herstellen: Die Falsche 9 setzt Fährten ins Nirgendwo, der zweite Ball hüpft als Abpraller weiter und dieser Pfosten stand nun wirklich im Weg.

Birkenbihl hat mir einmal erzählt, dass einige Menschen anfänglich Schwierigkeiten beim Metaphernspiel hätten. Der Grund läge darin, dass „wir in der Regel kein ausgeprägtes Gefühl dafür mitbekommen haben, was das Wesen einer Sache ist“. Eine Metapher überträgt eine Bedeutung von A nach B. Und macht B dadurch verständlicher. Beispiel: der eiserne Vorhang. Ursprünglich war damit im Theater ein eisernes Netz zwischen Bühne und Zuschauerraum gemeint, aus Feuerschutzgründen. Berühmt wurde das Wort aber durch Churchill, der es als Metapher für die Grenze zwischen den damaligen Blöcken verwendet hat. Die absurde Trennung zwischen West und Ost hatte plötzlich eine bildliche Übertragung, mit der jeder verstand, was der Kalte Krieg (auch eine schöne Metapher) zu bedeuten hatte.

Eine hübsche Variante ist deshalb auch das Zitatenspiel. Birkenbihl bezeichnet Zitate als „metaphorische Such-Scheinwerfer, die einen besonderen Aspekt eines für uns noch neuen Themengebietes beleuchten“. Eine Art Spotlight auf einen bestimmten Kontextausschnitt. Das Spiel eignet sich besonders gut, wenn man sich in eine völlig neue Materie einarbeiten oder ein bereits bekanntes Thema erweitern oder vertiefen will. Die Grundstrategie funktioniert wie folgt: Man liest und vergleicht zunächst 15 bis 20 Zitate, erstellt dann zu einzelnen Stichpunkten ABC-Listen und begibt sich auf die Assoziationsreise.

Ich gebe es unumwunden zu: Mir gefallen diese kleinen Kopf- und Wissenspiele, vor allem, weil man sie für sich selbst und eigene Zwecke abändern kann. Und die zwei wichtigsten Nebeneffekte dieser Spaß-Denk-Kultur: Assoziativ denken und spielerisch lernen. Viel Spaß beim ABC kreativ, Metaphern– und Zitatenspiel.

Peter Felixberger, Montagsblock /191

10. Oktober 2022