Montagsblock /183

In der übernächsten Woche, am 24. August, feiert Karen Uhlenbeck ihren 80. Geburtstag. Als ich das vor ein paar Wochen hörte und gefragt wurde, ob das ein relevantes Datum sei, wusste ich zunächst nicht, wer Karen Uhlenbeck ist. Wenn ich das heute schreibe, ist mir das peinlich — auch wenn der Vorfall zumindest ein bisschen dadurch relativiert wird, dass ich ein sehr schlechtes Namensgedächtnis habe. Aber Karen Uhlenbeck muss man kennen, denn schließlich ist sie die erste Frau, die den prestigereichen Abel-Preis bekommen hat, der an Mathematiker für ihr Lebenswerk verliehen wird. 2019 war das, vor ihr war der Preis an 19 Männer gegangen.

Tatsächlich war Uhlenbeck überhaupt erst die zweite Mathematikerin, die einen der großen Preise ihres Faches bekommen hat. Die berühmte von der International Mathematical Union (IMU) vergebene Fields-Medaille, die manche auch als Nobelpreis der Mathematik bezeichnen und die nur an Wissenschaftler unter 40 vergeben wird, war nach 52 Männern zwischen 1936 und 2013 erstmalig 2014 einer Frau verliehen worden. Die Iranerin Maryam Mirzakhani wurde damals für Arbeiten in der hyperbolischen Geometrie ausgezeichnet. In diesem Jahr wurde die Fields-Medaille zum zweiten Mal an eine Frau verliehen: an die Urkainerin Maryna Viazovska für Arbeiten über Extremalproblemen und Interpolationsproblemen in der Fourier-Analyse. Die anderen Preise der IMU – die Chern-Medaille für ein herausragendes Lebenswerk, der Nevanlinna-Preis für Beiträge zur theoretischen Informatik und der Carl-Friedrich-Gauß-Preis für Beiträge zur angewandten Mathematik – hat noch nie eine Frau bekommen. Der Shaw Prize in Mathematical Sciences ist seit 2004 an 29 Männer vergeben worden, und auch der ebenfalls hoch dotierte Crafoord Prize ging noch nie an eine Mathematikerin.

Mathematikpreise scheinen ein Geschlechterproblem zu haben – so formulierte das die Fachzeitschrift “Nature” in diesem Juni. Obwohl zwischen 25 und 30 Prozent der Doktortitel in Mathematik in den USA an Frauen verliehen werden, sind in den Universitäten weniger als 10 Prozent der festen Stellen von Frauen besetzt. Trotzdem ist das noch mehr als der Anteil der Preisträgerinnen der wichtigsten Mathematik-Preise. In der Physik ist das freilich ähnlich, wenn man etwa auf den Nobelpreis schaut. Marie Curie hat ihn bekommen, das war 1903, dann Maria Goeppert-Mayer 1963 und danach erst wieder Donna Strickland 2018, gefolgt von Andrea Ghez 2020. Der Grund für diese Frauenknappheit, die sich nicht annähernd mit dem Anteil der Frauen in den entsprechenden Fächern deckt, ist vermutlich die wenig transparente Vergabepraxis dieser Preise, bei der persönliche Netzwerke eine große Rolle spielen und die Vergabekomitees selbst größtenteils aus Männern bestehen. Die entsprechenden Organisationen arbeiten aber angeblich an diesen Problemen. “Nature” berichtet, dass etwa das Komitee der Fields-Medaille in diesem Jahr vor ihrer Entscheidung explizit auf möglichen unbewussten Bias hingewiesen wurde.

Die wenigen Frauen, die schließlich ausgezeichnet wurden, sind dadurch zu umso wichtigeren Identifikationsfiguren für junge Frauen auf der ganzen Welt geworden, das gilt für Karen Uhlenbeck wie für Donna Strickland – letzterer bin ich selbst einige Male beim Nobelpreisträgertreffen in Lindau begegnet und konnte miterleben, wie begeistert die anwesenden Studentinnen davon waren, endlich eine inspirierende Frau in der Reihe der alten Männer zu sehen (ich war auch sehr begeistert) – auch wenn Donna Strickland selbst in diese Vorbildrolle erst hineinwachsen musste, wie sie mir einmal im Interview berichtete. In den 70ern, so erzählte sie, sei ihr und ihren Freundinnen immer vermittelt worden, dass sie alles schaffen könnten. Insofern habe es sie nicht gestört, selbst keine weiblichen Vorbilder zu haben. Heute sei das offenbar anders, das merke sie jetzt als dritte Physik-Nobelpreisträgerin. Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass Mädchen damals weniger auf weibliche Vorbilder angewiesen waren als heute. Natürlich spielt immer das persönliche Umfeld und das Elternhaus eine besondere Rolle, und wenn man Eltern hat, die entsprechende Interessen fördern, dann kann man sicherlich auf Vorbilder verzichten. Aber wenn das persönliche Umfeld wenig unterstützend wirkt, wird es immer hilfreich sein, wenn man Frauen sieht, die verdeutlichen, dass das entsprechende Feld nicht nur etwas für Männer ist. Denn dieser Eindruck wird vielen Mädchen in den Schulen ohnehin viel zu oft vermittelt.

Bei Karen Uhlenbeck war es ihr Vater, der ihr mathematische und physikalische Bücher mit nach Hause brachte – auch wenn diese eigentlich für ihren Bruder gedacht waren, der aber keinerlei wissenschaftliches Interesse entwickelte. Von Lehrern und Professoren wurde sie nicht sonderlich gefördert, rückblickend berichtete sie, von manchen sogar gesagt bekommen zu haben, dass Mathematik für Frauen nichts sei. Ihr Weg war also alles andere als einfach. Umso eindrucksvoller sind ihre überaus vielfältigen mathematischen Arbeiten. Sie ist eine Meisterin im Umgang mit geometrischen partiellen Differentialgleichungen, leistete wichtige Beiträge zur Beschreibung von Minimalflächen, wie man sie bei Seifenblasen findet, legte Grundlagen für die Gauge Theorie, die eine zentrale Rolle etwa für Theorien der Teilchenphysik spielt und arbeitete im Gebiet der integrablen Systeme. Vermutlich bin ich ihren Arbeiten auch einige Male ohne es zu wissen begegnet, denn in der theoretischen Physik spielt all das, wofür sie sich interessiert, eine wichtige Rolle.

Auch Uhlenbeck wurde zunächst eher widerwillig zum Vorbild, wie sie selbst sagt. Schließlich habe sie aber realisiert, dass der Weg hin zu einer ausgewogenen Repräsentation von Frauen härter sein würde als erwartet. “Wir haben alle gedacht, dass Frauen und Minderheiten durch die akademischen Türen laufen würden und die ihnen zustehenden Plätze einnehmen würden, sobald alle rechtlichen Barrieren abgeschafft wären”, wurde sie 2019 in “Nature” zitiert. Das Problem sei aber vielmehr die Kultur, in der Menschen aufwachsen, und die sei sehr viel schwieriger zu ändern.  Damit hat sie mit Sicherheit Recht, und vielleicht kann man ja ihren bevorstehenden Geburtstag zum Anlass nehmen, sich selbst zu fragen, an welchen Stellen man dazu beitragen kann, Frauen und Minderheiten das nötige Selbstbewusstsein zu vermitteln, ihre Interessen zu verfolgen, selbst wenn diese sie in (noch) von Männern dominierte Felder hineinführen.

Sibylle Anderl, Montagsblock /183

08.08.2022