MONTAGSBLOCK /17

Das Kursbuch geht auf Reisen – in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut besuchen Kursbuch-Autorinnen und -Autoren Goethe-Institute in verschiedenen Ländern und halten dort unter dem Titel „Kritikmaschine“ Veranstaltungen ab, stets mit interessanten Gesprächspartnern und interessiertem Publikum. Ich selbst habe in der letzten Woche neben der Brandeis University bei Boston zwei Goethe-Institute in den USA besucht, nämlich in Boston und Los Angeles. Geplant waren Vorträge und Diskussionen über die Frage, warum in Deutschland und Europa populistische Politikformen reüssieren, wie es zur Unerreichbarkeit mancher Bevölkerungsteile durch wichtige Institutionen der Gesellschaft kommt und wie die Unzufriedenheit mit „dem System“ erklärt werden kann.

An dem Tag, an dem ich in Boston ankam, fand die erste Fernsehdebatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump statt, die ich mir in einem Restaurant in Boston angesehen habe – bestes Anschauungsmaterial also für einen Vergleich zwischen deutschen/europäischen und amerikanischen Populismen. In einer öffentlichen Diskussion am nächsten Tag mit John Summers, dem ehemaligen Herausgeber des Magazins Baffler, waren wir uns schnell einig über die performativen Strukturen des Populismus: einfache Fragen und einfache Antworten, klare Inklusions- und Exklusionskriterien, latenter und manifester Rassismus – alles, was zum entsprechenden Arsenal gehört. Interessant war die Diskussion der Unterschiede: Während der Fokus des Eigenen gerade in der deutschen Debatte sich auf die ethnische Homogenität des Volkes bezieht – das „Völkische“ als Vokabel wurde vor kurzem wieder ausgegraben –, ist das amerikanische Verständnis der Nation stets ein eher politisches Verständnis gewesen, das sich jenseits einer ethnischen Privilegierung bestimmter Gruppen verstand.

Dass sich in den USA dennoch soziale Ungleichheit, Machtstrukturen und vor allem der Zugang zu Entscheidungspositionen nach wie vor über ethnische Zugehörigkeiten und die Hautfarbe definiert, ist freilich ein Hinweis darauf, dass es zwischen der politischen Verfassung eines Staates und gesellschaftlichen Strukturbildungen erhebliche Unterschiede gibt. John Summers’ Argument war, dass Donald Trumps Konzentration auf die weiße, protestantische, männliche, bildungsferne untere Mittelschicht mit dieser ethnischen Exklusivität eine geradezu „unamerikanische“ Strategie sei, weil sie so stark auf die ethnische Karte setze.

Das Argument ist insofern interessant, als es die vielleicht wichtigste Strategie von Donald Trump freilegt. Trump geriert sich als Anwalt einer Gruppe, die sozialstrukturell gesehen vor kurzem noch als privilegiertes Milieu gehandelt wurde – weiß, protestantisch, männlich -, sich dieses Privileg von den Eliten und gerade von neuen Sprecherpositionen an Universitäten auch stets als Vorwurf anhören musste, nun aber an der eigenen Lage erlebt, dass es mit diesen Privilegien nicht mehr viel auf sich hat.

Ob das eine „unamerikanische“ Strategie ist, sei dahingestellt. Eine Parallele zu den Wählern der AfD jedenfalls besteht darin, dass auch diese sich zunächst für das Zentrum derer gehalten haben, die die Definitionsmacht in Händen wähnten über das, was man als „normal“ bezeichnet – im Hinblick auf Lebensformen, sozialmoralische Standards, ethnische Homogenität und nicht zuletzt Geschlechterverhältnisse und sexuelle Orientierungen. Der größte Verlust für diese Trägergruppen besteht womöglich gar nicht (nur) in ökonomischen Zwangslagen oder realen Zukunftsängsten, sondern darin, sich mit den Geschichten über die eigene Lebenslage in dieser komplexen Welt nicht mehr einrichten zu können.

Neben allen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen geht es vor allem um die Frage nach Beschreibungsautoritäten, nach Sprecherpositionen – es ist ein Kampf um Selbstbeschreibungen, oder, um es mit Gramsci zu sagen, ein Kampf um kulturelle Hegemonie. Wer hat, so habe ich es in meinem Vortrag zwei Tage später in Los Angeles genannt, die „narrative authority“? Norman Klein, Professor am California Institute of the Arts und mein Gesprächspartner dort, nannte es die Frage nach angemessenen Bildern und neuen Formen der Repräsentation, auch als Reaktion darauf, dass sich so etwas wie Beschreibungsmonopole nicht mehr halten lassen.

Wäre man Hegelianer, könnte man das Phänomen Trump, aber auch die AfD und ähnliche Formen fast für eine List der Vernunft halten: vorgeführt zu bekommen, was verloren geht, wenn man Politik und Beschreibungen nicht in legitimen Alternativen denken kann. Das erinnert stark an die deutsche Debatte, die daran krankt, dass dem politischen Publikum offensichtlich zu wenig politische Alternativen vorgeführt werden, was den Raum für eine „Alternative“ freigibt, die sich als Alternative zum gesamten politischen Betrieb gerieren kann.

Da man aus guten Gründen kein Dialektiker im Sinne jener optimistischen Lesart sein kann, stellen sich tatsächlich Beschreibungsfragen – übrigens auch der Intelligenzija, vom hohen Ross der Sicherheit zu steigen, man könne schon, wenn man nur dürfte.

Jedenfalls macht sich das Kursbuch auf Reisen in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut sehr gut – ich selbst werde in nächster Zeit Moskau, St. Petersburg und Helsinki besuchen – allesamt Orte, an denen sich ähnliche Fragen stellen. Ich werde davon berichten.

Armin Nassehi
MONTAGSBLOCK /17, 10. Oktober 2016

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