Montagsblock /150

Wenn ich Ihnen sechs Sachbücher unter den Weihnachtsbaum legen dürfte…

  1. Horst Bredekamp: Michelangelo. Wagenbach

Mein Lieblingsbuch des Jahres 2021 – ein leinenfarben geheftetes Werk mit Garamond-Schrift und so überbordend altmodisch, dass sich kein Algorithmus, keine Künstliche Intelligenz und keine Datenbank je so ein außergewöhnliches Buch hätte ausdenken können. Horst Bredekamp ist Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler, er hat den brodelnden Geist, das monumentale Werk Michelangelos zu bändigen, weshalb er jedes einzelne Werk von ihm deutend auf einer Perlenschnur aufgefädelt hat – so skizziert er die künstlerische Geschichte dieses Weltkünstlers auf bunt-schillernde Weise nach. Ich empfehle eine Schritt-für-Schritt-Lektüre: Jeweils vier bis acht Seiten der reichlich bebilderten Deutung mit einem halben Glas Rotwein. Achtung: Weinbestände im Keller prüfen.

  1. Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln. 55 Inseln, auf denen ich nie war und nie sein werde. Mare

Dieses wunderbare Buch lege ich allen ans Herz, die poetisch-absurde und makabre Geschichten lieben. Eine Reise zu 55 Inseln, auf die man niemals reisen wird. Der Schriftsteller Clemens Setz hat das Buch wie folgt kommentiert: „Dieses Buch hat mir Stunden allerglücklichster Desorientierung beschert und meinem Papierkorb einen ganzen Stoß unnütz gewordener, lebloser Reiseführer.“ Man könnte auch sagen: Verirrungen enden nicht zwangsläufig in Verwirrungen.

  1. Silvia Ferrara: Die große Erfindung. Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Schriften. C.H.Beck

Wenigstens viermal in der Weltgeschichte wurde die Schrift neu erfunden. Silvia Ferrara ist Professorin für Ägäische Kultur und hat sich in ihrem Buch nicht weniger als ein globales Panoptikum der Schriftgeschichte zum Ziel gesetzt. Ein Buch für Wissenschaftler sowie Leser, die sich gerne von globalen, historischen Erkenntnisreisen überraschen lassen – und darüber hinaus ein schön gestaltetes Reisebuch durch die Welt der Schriften. Inklusive einer makellosen Dystopie, was aus den Schriften in einhundert Jahren geworden sein wird.

  1. Armin Nassehi: Unbehagen. C.H.Beck

Das neue Buch meines Herausgeberkollegen – die systemische Betrachtungsweise der Überforderung. Armin Nassehi zeigt, warum der Versuch eines Summum bonum, also einer Bündelung von kleinteiligen und kleinräumigen Lösungen auf ein gemeinsames Gesamtziel in unseren komplexen Gesellschaften zum Scheitern verurteilt ist – was natürlich Unbehagen erzeugt. Ein anspruchsvolles und forderndes Buch sowie ein Plädoyer für die problemzermalmende Kleinteiligkeit gesellschaftlicher Konflikte.

  1. Georg von Wallwitz: Die große Inflation. Berenberg

Georg von Wallwitz hat zwei Berufe. Bis Mittag ist er Schriftsteller, dann geht er seinem Erwerbsjob nach – er ist Vermögensverwalter. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit einem der prominentesten Themen dieser Tage, der Inflation, und beschreibt die Wirkmechanismen von Inflation und Deflation. Dabei seziert er das kulturelle Gedächtnis des Umgangs mit Geld auf. Absolute Leseempfehlung für alle, die ein Faible für Wirtschaftsgeschichte haben.

  1. Levi Israel Ufferfilge: Nicht ohne meine Kippa! Klett-Cotta

Levi Israel Ufferfilge war bis vor kurzem Schulleiter einer jüdischen Grundschule in Berlin und hat vor einigen Jahren bereits im Kursbuch einen Beitrag über jüdische Heimat geschrieben. Sein neues Buch ist wunderbar unterhaltend, gleichzeitig bleibt einem das Lachen bei vielen Geschichten im Halse stecken. Ein mutiges Buch von einem nicht minder mutigen Mann – mit Chuzpe gegen den Hass.

Peter Felixberger

Montagsblock /150, 13. Dezember 2021