MONTAGSBLOCK /13

Also, richtig schlau möchte man derzeit nicht sein. In meinem letzten Montagsblock, es war die Nummer 11, habe ich behauptet, Gott wolle man im Moment nicht sein, weil Leute wie Erdogan oder Gauland es geradezu für ein Gottesgeschenk halten, wenn die Dinge nicht gut laufen. Das ermögliche es ihnen, ihr unerfreuliches Geschäft mit noch mehr Verve zu betreiben.

Heute möchte ich behaupten, nicht wirklich schlau sein zu wollen. Jedenfalls legt dies eine Studie nahe, in der die beiden Sozialpsychologen Mark Brandt aus Tilburg in den Niederlanden und Jarret Crawford aus New Jersey in den USA zeigen konnten, dass es im Hinblick auf Vorurteile und Stereotype zwei problematische Gruppen gebe (Social Psychological & Personality Science, Juli 2016). Die eine sei diejenige mit geringen Intelligenzquotienten, also die nicht gar so schlauen. Das überrascht nicht. Geringe Intelligenz korreliert ziemlich eindeutig mit der Unfähigkeit, sich auf Ungewohntes oder Unbekanntes einzustellen und Gruppen zu meiden oder gar zu verachten, denen man selbst nicht angehört. Vorurteile sind Urteile, die mit wenig Informationen auskommen und damit auch wenig Informationsverarbeitungskapazität benötigen – und das ist es wohl, was psychologisch als Intelligenz bezeichnet wird.

Interessanter ist die zweite problematische Gruppe. Wie die beiden Sozialpsychologen nämlich zeigen konnten, sind diejenigen mit einem besonders hohen IQ ebenfalls besonders anfällig dafür, Vorurteile zu pflegen. Freilich unterscheiden sich die Gruppen voneinander. Während die, wie es heißt, „less cognitively capable people“ stark essentialisieren und kaum Wahlmöglichkeiten haben, verachten diejenigen mit dem hohen IQ Gruppen, die eine Wahl haben und trotzdem essentialisierende, ausgrenzende, fremdenfeindliche Einstellungen haben. Die „high capables“ projizieren insbesondere Konservativen gegenüber ihre eigene, kognitiv gestützte Fähigkeit, Alternativen und andere Möglichkeiten zu denken, auf jene Gruppen, von denen sie annehmen, dass sie auch anders könnten, wenn sie nur wollten. Die Autoren beziehen das etwa auf den US-amerikanischen Wahlkampf, in dem die Intelligenten den Konservativen vorwerfen, wider besseres mögliches Wissen das Geschäft jener zu betreiben, die letztlich aufgrund mangelnder Intelligenz gar nicht anders können als in festen Gruppenschemata zu denken, Fremdenfeindlichkeit zu pflegen, Grenzen zwischen unterschiedlich wertigen Gruppen stark zu machen.

Diese Beschreibung klingt plausibel, weil sie durchaus abbildet, wie weit die Denkungsarten zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft gerade im Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit und gruppenbezogene Ressentiments inzwischen auseinanderklaffen. Hohe Intelligenz schützt also offensichtlich davor, selbst Ressentiments zu pflegen, macht daraus aber ein Ressentiment gegen jene, von denen man annimmt, sie müssten all das auch können. Es bildet schön ab, wie weit gerade die Mittelschichtsintelligenz auf ihrem Feldherrenhügel des besseren Wissens und des größeren Überblicks von den eher konservativen und kleinbürgerlichen Gruppen entfernt ist, denen man ihre Unmündigkeit als selbstverschuldet zurechnet, um sich dann im ressentimentgeladenen Distinktionskampf nach unten auf dem Hügel noch besser einrichten zu können.

Ich finde, dieses hier angedeutete Syndrom bildet auch die derzeitige Diskussion in Deutschland über die Flüchtlingskrise, über die Lügenpresse und die Liberalisierung von Lebensformen gut ab. Die Frage ist aber nun, was aus meiner Ausgangsthese wird. Möchte man wirklich nicht richtig schlau und intelligent sein? Was ist die Alternative? Vielleicht bildet die Intelligenzmessung nicht das ab, worum es wirklich geht: nicht nur das Verständnis für die ganz Schwachen, von denen man ohnehin so weit entfernt ist, dass man sich gerne paternalistisch für sie verwendet, sondern auch eine Empathie für diejenigen, die nicht ganz so weit von jenem Hügel entfernt sind. Vielleicht bestünde die eigentliche Intelligenz darin, diese Art von Selbstkritik auch noch zu pflegen. Dann würde es sich schon lohnen, richtig schlau zu sein – besser als Gott zu sein, wäre es allemal.

Armin Nassehi
MONTAGSBLOCK /13, 15. August 2016

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