Montagsblock /128

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Berlin, März 2022. Institut für Begriffe aus der Welt von morgen (BadWvm). Geschäftsführerin Imke von der Emke. Ihr gegenüber FLXX von der Kursbuch-Wenigkeit. Grüner Tee dampft, Gebäck lümmelt herum, ein Tulpenstrauß reckt sich.

 

Kursbuch: Frau von der Emke, danke, dass Sie heute mit uns über Wörter und Begriffe reden wollen, die gerade Furore machen und die Sie in den nächsten zwei Jahren in die Mitte unseres Sprachgebrauchs vordringen sehen. Fangen wir im politischen Berlin an. Welche Begriffe erwarten Sie demnächst ganz vorne?

Von der Emke: Derzeit beschäftigen sich unsere Experten mit den neuen Wörtern „aufmerkeln“, „entspahnen“, „verscholzen“, „umlindern“ und „zerhabecken“. Es war bereits im letzten Frühjahr, in dem die Begriffe erstmals aufgetaucht sind. Sie nahmen dann über Social Media schnell an Fahrt auf. Jetzt stehen sie kurz vor der DUDEN-Pforte.

Kursbuch: Lassen Sie uns die Begriffe etwas näher unter die Lupe nehmen. Zunächst aufmerkeln. Klingt ein bisschen nach Aufmerken oder Aufmucken?

Von der Emke: Es ist ganz interessant. Aufmucken hätte Angela Merkel am 3. März sollen oder sogar müssen, als die Bund-Länder-Kommission die fatalen Lockerungen zu Beginn der dritten Coronawelle beschlossen hatte. Ursprünglich meint „aufmerken“ plötzlich aufmerksam werden, aufhorchen. Oder noch klarer: Gut aufpassen. Das kleine „l“, das jetzt am Ende des Wortes eindringt, verstärkt diese Betonung. „Aufmerkeln“ bedeutet demnach richtig gut aufpassen, immer in Habacht-Stellung sein. In der Jugendsprache wurde es im Sommer sogar in Richtung: „Merkel dich nicht so auf“ umgedeutet. Das bedeutet: Spiel hier nicht den siebengescheiten Aufpasser über alles.

Kursbuch: Gut, dann lassen wir es an dieser Stelle ruhig ausmerkeln und kommen zum nächsten Begriff: Entspahnen?

Von der Emke: In der Tat noch interessanter. Auch in diesem Fall darf ich noch einmal auf Anfang letzten März zurückblenden. Der mittlerweile ja zurückgetretene Gesundheitsminister Jens Spahn kam damals heftig ins Kreuzfeuer der Kritik, als er neben den schleppenden Impfungen auch noch die versprochene Menge an Schnelltests nicht garantieren konnte. Der Begriff „entspahnen“ kommt natürlich von entspannen. Und da drang das lange „h“ ein. Es verwandelt die Entspannung in Entspahnung, einer besonders misslichen Form von romantischer Fehlplanung in Verbindung mit ständiger Betonung von Alles-im-Lot. Entspahnen bedeutet letztlich von einer Anspannung befreit werden. Und zwar nicht eigenständig, sondern von anderen. Erst, wenn sich die Lage weiter entspahnt, beruhigen sich die Umstände. Alle Beteiligten müssen auf Los zurück.

Kursbuch: Ganz so entspahnt geht es bei unserem nächsten Begriff nicht zu: Verscholzen?

Von der Emke: Dieser Begriff hat uns alle überrascht. Verschmolzen bedeutet ursprünglich miteinander verbunden, zusammengeflossen, eine Einheit geworden. Mit Olaf Scholz wurde das verbindende „m“ allerdings eliminiert. Es kam zu einer Antithese. Verscholzen meint heute eher auseinandergerissen, entzweit. Es hat also eine negative Konnotation. Wenn jemand in die Gefahr gerät, so richtig verscholzt zu werden, steht eine Trennung unmittelbar bevor. Es klingt dann mehr nach verholzt werden, holzig werden. Das Gegenteil von zusammenfließen. Ich darf erinnern: Nach dem SPD-Debakel in der Bundestagswahl hat die Juso-Vorsitzende mit dem Satz: „Von Olaf lassen wir uns nicht weiter verscholzen“ für ziemlich viel Aufregung gesorgt.

Kursbuch: Unglaublich, was ein weggelassener Buchstabe alles bewirken kann. Trifft das ähnlich auch auf unseren nächsten Begriff zu: das sogenannte „Umlindern“?

Von der Emke: Ein besonders bizarrer Fall. „Lindern“ bedeutet ja im Idealfall mildern, erträglicher machen. Ein Kranker bekommt lindernde Umschläge. Und ein Angeklagter mildernde Umstände. Von alledem ist „umlindern“ kilometerweit entfernt. Der Begriff meint im Gegenteil: etwas in eine Richtung verschärfen, die nur wenige nachvollziehen können. Umlindern bedeutet umdichten, umdeuten oder umfallen. Heute kann man Begründungen nach Herzenslust umlindern. Nach dem Motto: Klingt schön, tut niemandem weh und ist nicht nachhaltig. Auch bei diesem Wort stand übrigens ein ehemaliger Spitzenpolitiker Pate: Christian Lindner, der nach seinem Rückzug aus der Parteipolitik in der Stiftung für notwendige Umlinderungen (SfnU) eine Spitzenposition übernommen hat.

Kursbuch: Unfassbar, wie neue Begriffe als Karrierebooster wirken können. Das betrifft unseren letzten Fall wohl nicht: „zerhabeckern“?

Von der Emke: Obwohl, so unähnlich ist dieser neue Begriff nun auch wieder nicht. „Zerhacken“ meint in der originalen Wortverwendung zerteilen, zerkleinern. Man macht etwas gefügig, so dass es passt. Der heutige Vizekanzler Robert Habeck hatte ja in seinem Wahlkampf das rhetorische Kunststück vollbracht, jedes noch so konfliktträchtige Argument zwischen Schwarz und Grün so zu verkleinern, dass es in den späteren schwarz-grünen Regierungsrachen passte. Ein rhetorisches Zerkleinern bis zur Unkenntlichkeit. Zerhabeckern klingt natürlich im ersten Moment rauer, härter, aggressiver. Hier rutscht das ursprüngliche Wort „hecken“ herein, was bei Vögeln das Ausbrüten von mehreren Jungen auf einmal bedeutet. Habeckern meint das Ausbrüten von mehreren gegensätzlichen Argumenten, meist zwischen politischen Gegnern. Aber eher positiv, sanft, wohlwollend. Ein bisschen Bauch und Bart dürfen sein. Und etwas in der Politik zerhabeckern heißt eigentlich Gegensätze überwinden.

Kursbuch: Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau von der Emke. Wir freuen uns auf die nächste Folge unseres Interviews mit den Begriffen: „downklöcknern“, „verbaerbocken“, „abscheuern“ und „Leyendarsteller*innen“.

 

Montagsblock 128, 8. März 2021

Peter Felixberger