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Als Donald Trump vor einigen Tagen zum ersten TV-Rüpel-Duell gegen Joe Biden antrat, war er womöglich schon Corona-infiziert. Cooler Verschwörungsmove oder, hey, könnte doch sein? Bereits millionenfach gepostet auf irgendeinem Social Stupification Channel. Ein weiterer billiger Stofffetzen, aus dem politische Treppauf-Witze gestrickt werden. Insofern ist der Ausruf: „Shut up, man!“ im Nachhinein die einzige virus- und verdummungsvorbeugende Aussage des Abends gewesen. Der Rest: Bully meets Sleepy. Oder wie es ein Washingtoner Journalist zusammenfasste: „Diese Debatte war so wie das ganze Land. Alle reden. Niemand hört zu. Nichts wird gelernt. Es ist alles Mist.“ Es ist sowieso fragwürdig, ob solche Abende überhaupt noch Einfluss auf die demokratische Willensbildung in den USA nehmen können. Die meisten Wähler haben sich längst festgelegt. Sie möchten eher von den Selbstvergewisserungs-Lagerfeuern gewärmt werden. So wie es ein junger Mann im Swing State Pennsylvania kondensiert: „Ich mag den Typen, der spricht meine Sprache.“ Nun, wir wissen nicht genau, was dieser 30-jährige Gefängniswärter aus Susquehanna River im Alltag mit seinen Stakeholdern bespricht, jedoch wissen wir, dass sich auch daraus ein Geltungsanspruch zusammenzimmern lässt, der neuerdings in der politischen Willensbildung seinen Platz zu reklamieren versucht. Man könnte mit Blick auf Trump fast sagen: Die je eigene Moral und Gefühligkeit darf sich zu einer republikanischen Umarmungszeremonie universalisieren. Am Ende gehört Chris, der Wärter, voll und ganz dazu. Ganz gewiss. Unmittelbar. Jetzt in dieser Stunde.
HILFE!!! Doch es naht erkenntnistheoretische Rettung. Der Wissenschaftsphilosoph Peter Strohschneider wird in Kürze ein Buch vorlegen, dass sich mit der modernen Synchronizität des Dummdreisten und Totalitären beschäftigt. Der Titel lautet: „Zumutungen“. Gemeint sind damit alle Moralisierungsüberschüsse, Irritationswellen, Diskursausbrüche und der ganz normale Populismusterror, der uns universal überwältigt und mit Kopfschütteln zurücklässt. Ein Bedrohungspotenzial für die pluralistische und repräsentativ-demokratische Verfasstheit moderner Gesellschaften. Letztere gilt es zu schützen. Strohschneider betrachtet Demokratie als die Summe relativer Ansprüche jedes einzelnen Bürgers. „Relativismus ist die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt.“ Macht und Wissen müssen ihr zufolge mit Ungewissheit, Vorläufigkeit und Ambiguität operieren. Das wiederum verlangt von jedem Akteur eine gewisse Unsicherheitstoleranz. Im Gegenlicht der Wahrheit schimmern Unschärfe und Uneindeutigkeit. Polarisierung verkümmert, Radikalität schrumpft. Jede Legitimation könnte immer auch anders sein. Kontingenz schafft Selbstdistanz. Oder wie Strohschneider schreibt: Es „setzt immer wieder die Fähigkeit voraus, die je eigene Fallibilität, die Möglichkeit vernünftiger Alternativen oder zukünftigen Revisionsbedarfs anerkennen zu können.“
Für Populisten wird die demokratische Verfassung des Politischen hingegen zur Verfügungsmasse des eigenen Herrschaftswillens. Das Volk hat sich unterzuordnen, fast schon zu unterwerfen. Oder wie es Christoph Möllers einmal gesagt hat. Diese Legitimationsfigur „beansprucht, demokratischen Willen ohne demokratische Formen zum Ausdruck zu bringen“. Für Trump sind die bevorstehenden Wahlen nebst demokratischer Entscheidungsfindung eigentlich überflüssig. Die Differenzierungen in Politik und Gesellschaft sind für ihn bloß Treibsand, den er mit kräftigen populistischen Paddelschlägen wegspült. Kein Wunder, dass die elektive Demokratie von ihm derart massiv angezweifelt wird, dass er jetzt schon einen möglichen Machtwechsel zu blockieren versucht. Ein einzig-einzigartiger Leader wie er erkennt das Volk nur in Form eines einigen und homogenen Volkes an, das von ihm vor der Andersheit der Anderen beschützt werden muss. Ausgrenzung inklusive.
Deshalb ist es zweimal kein Wunder, warum Trump Bidens kognitive Fähigkeiten im ersten TV-Duell so unverschämt anzweifelte. „Hast du etwa gerade das Wort klug verwendet? … An dir ist nichts klug.“ Chris, der Wärter, mag diese Sprache. Er liebt es, wenn sein Präsident zuschlägt. Impulsiv in jeder Sekunde. Totalitär in jeder Regung. Inkontinent statt kontingent. Infiziert statt spezifiziert.
Unbedingter Lesetipp: Peter Strohschneider: Zumutungen. Wissenschaft in Zeiten von Populismus, Moralisierung und Szientokratie. 288 Seiten. kursbuch edition, Hamburg 2020.
Peter Felixberger, Montagsblock/ 118
5. Oktober 2020