Alle reden vom Team und vom Teamgeist. Oben steht, wer zusammenhält. Dort sind wir irgendwie alle gleich. Die Isländer träumen mit ihren Fußballern. Berliner Start-ups kuscheln mit ihren Mitarbeitern. Politbosse umarmen die Bedürfnisse ihrer Wählerschaft. Ein großes „Mia san mir“ ist ausgebrochen. Irgendwo dazugehören, zu den Richtigen, zu den Wirklichen, zu den Wissenden, so lautet die Devise der neuen Communitybuilder. Facebook & Co. stehen als digitaler Werkzeugkasten bereit. Vive la What’s App! Vive la Mannschaft!
Blöderweise ist das Meiste nur Fassade. Das Wahre ist genauso blöd wie der Fake. Island ging in den letzten Jahren gerne mal bankrott, seine Politiker und Banker waren genauso gierig und Panama war nicht weit. Huh! Im doppelten Sinn. In Berliner Start-ups mendeln sich neuerdings autoritäre Bosse nach oben und beuten ihre Mitarbeiter aus. Und die Seehofers und Gabriels reden ihrem Klientel nach dem Maul, um ihre Macht zu erhalten. Stellt sich die Frage, wie die Chefs nach oben gekommen sind und warum es in der Regel nur die Blender schaffen?
Eine neue Klasse von Wissensverweigerern erklimmt gerade die Machtgipfel. Die, die jetzt oben stehen, betrachten Wissen nämlich nicht mehr im Sinne von Lernen, Begreifen, in Besitz nehmen, sondern sie haben nur mehr eine Ahnung davon. Und sind damit absichtlich dümmer als alle Experten und Intellektuelle, die sich wie ehedem als Gelehrte die Ordnung der Welt zusammenreimen. Aber die Neo-Durchblicker sind gewiefter auf dem Parkett der Wissensgesellschaft. Den altertümlichen Typ des Alleswissers trifft man nur noch im Feuilleton. Im Management ist er nahezu ausgestorben. Deswegen gibt es heute mehr erfolgreiche Manager als originelle Feuilletonschreiber. Letztere haben einfach die Kernlogik nicht verstanden: Je mehr Wissen man anstrebt, desto weniger Durchblick ist einem gewiss.
Was wiederum die Geburtsstunde des Blenders ist. Sein Wissensspeicher ist auf den ersten Blick dürftig und mager ausgestattet. Doch das macht ihm nichts aus. Sein Motto: mehr Schein als Sein. Er weiß haargenau um seinen Vorteil: eigentlich nicht zu wissen, was er weiß. Er hat nur noch ein dumpfes Gefühl, etwas zu wissen. Und repräsentiert nur noch den Schein des Wissens. Der Blender ist eine Art Dummkopf, der vom Schein umgeben ist, das Wissen zu besitzen. Für die Medien, die immer weniger Platz für Wissen und Information bereitstellen, ist er der ideale Mitspieler.
Klingt schlimmer, als es ist. Nehmen wir zur Kontrastierung einen gestandenen Durchblicker, der auf traditionellen Pfaden wandelt. Den griechischen Philosophen Platon, der einst nur jenen zum König ernennen wollte, der weiß. Jemanden also, der die Ordnung der Welt, die Ideen geschaut hat. Im Grunde genommen den großen Wissenden, der gesehen hat, was den vielen anderen unsichtbar bleibt. Blöderweise zappeln die Erben Platons im Netz der Unübersichtlichkeit von Ideen und Meinungen, der kulturellen und wirtschaftlichen Vielfalt. Und suchen selbst verzweifelt nach Halt. Und Haltung.
Sicher, wir verehren immer noch die großen Durchblicker in Politik, Kultur und Wirtschaft, die zu allem und über alles etwas wissen und sagen können. Hängen ihnen an den Lippen, wenn sie uns die Zeitläufte erklären. Doch leider knistert es verdächtig laut in deren Gehirnstübchen. Ihr Universalismus strandet in der Unübersichtlichkeit der Erörterungslagen. Nur wenige der Großgelehrten verstehen die Begrenztheit ihres Wissens als strategischen Vorteil. Genau dadurch wird man aber zur echten Autorität. Der Weise spürt längst, dass es ihm in der Ära der übergroßen Wissensberge nicht mehr gelingt, so viel zu wissen, um als Autorität im früheren Sinne zu gelten. Es ist also der Schein, der eine Führungskraft zur Autorität macht – in den Chefetagen Kompetenz genannt. Kompetent ist derjenige, der unwissend oder dumm ist. Derjenige, der indes Allwissen vorgibt, ist völlig inkompetent. Es nimmt ihm keiner mehr ab. Nicht die schiere Menge an Allmachtswissen, sondern der Schein des Wissens wird heute zur Kardinaltugend.
Was lernen wir daraus? Wer Karriere in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft machen will, sollte möglichst kompetent in einem neuen Sinne sein. Nach außen eine Scheinautorität, nach innen ein Spezialist für alles Mögliche. Er sollte bescheiden dümmer werden. Oben steht er sowieso nur, wenn er wenig weiß. Wenn er davon genug hat, ist er eine allseits geachtete Autorität. Ein Gleichgesinnter unter den Dummen.
Wer mehr darüber lesen will, darf sich auf unser neues Buch Deutschland. Ein Drehbuch freuen, in dem Armin Nassehi und ich als Gleichgesinnte über Autoritäten des Landes „herfallen“. Es wird am 2. September zeitgleich zum nächsten Kursbuch erscheinen.
Peter Felixberger
MONTAGSBLOCK /10, 04. Juli 2016