MONTAGSBLOCK /48

Neujahr

Alles wieder auf 0 – und los geht’s. Eine wilde Achterbahnfahrt steht uns 2018 bevor. Der 1. Januar ist der einzige Tag im Jahr, an dem Prognosen erlaubt sind. Deshalb haben wir uns das kommende Jahr einmal näher angesehen: Ereignisse, Sensationen, Augenblicke und Haltepunkte. Hier in ungeordneter Reihenfolge, aber umso einschneidender.

  1. Donald Trump stürzt von der großen Mauer an der mexikanischen Grenze. Beim Einweihungstermin klettert der US-Präsident auf einer Leiter hoch, stellt sich breitbeinig hin, breitet die Arme in Richtung Mexiko aus und beginnt mit den Worten: „Ihr seid Mexikaner, wir nicht.“ Ein Wüstenbussard, der gerade des Weges fliegt, will sich das Rotgesicht unter blondem Haarfell näher anschauen. Trump sieht ein dunkles Objekt im Sturzflug und möchte schnell den roten Knopf drücken. Leider aber ist der Spielekoffer im Lincoln. Die Welt atmet auf.
  2. Angela Merkel verlässt Hals über Kopf in der Nacht das politische Berlin mit unbekanntem Ziel. Zunächst fährt sie in einem Erdgas-Lupo im Zickzack-Kurs Richtung Norden, wird aber an einer Tanke, wo sie zwei Schokoriegel kauft, enttarnt. Daraufhin heftet sich ein Lokalreporter irgendeiner übriggebliebenen Volkszeitung an ihre Fersen. Die wilde Verfolgungsjagd endet an der Küste. Merkel steigt wutentbrannt aus, setzt sich an den Strand und blickt aufs Meer. Zusammen mit einer kranken Möwe erwartet sie die Flut. „Scheiß Berlin“, zischt sie. Die Welt leidet mit ihr.
  3. Markus Söder unterschreibt die Abrissgenehmigung für die bayerische Staatskanzlei. An gleicher Stelle soll gemäß seiner Neubaupläne ein Weltraumbahnhof entstehen, in dem er künftig regieren wird. Auf einer Pressekonferenz erklärt er vorsorglich alle Nichtbayern zu Menschen zweiter Klasse und alle Nichtfranken zu Ausländern. Dabei bläst es ihn so auf, dass die Nähte seines Anzugs platzen und Fleischwülste sich ihren Weg bahnen. Im letzten Augenblick reißt er sich die Kleidung vom Leib und brüllt: „Alles unter Kontrolle, meine sehr verehrten …“ Dann wird der Fleischberg weggeräumt. Ein Spatz auf dem Fenstersims fliegt davon. Die Welt ist wieder im Lot.
  4. Armin Nassehi stellt sich in den 68er-Rekapitulationsfeiern die Frage: „Gab es 1968?“ Was ihm zunächst einen Shitstorm jüngerer Historiker einbringt, die 1968 zwar nur vom Hörensagen kennen, aber zweifelsfrei belegen können, dass 1967 und 1969 sicher stattgefunden hätten. Daraus würde man, so die Meinungsführer, empirisch ableiten können, dass es auch 1968 gegeben hat. Nassehi, plötzlich in die erste Aufmerksamkeitsreihe populärer Medien geschwemmt, erklärt daraufhin auf dem Jahreskongress schwäbischer Geschichtslehrer: „Auch für 1968 gilt die letzte Wahrheit der Perspektivendifferenz. Und aus meiner Perspektive gab es 1968 nicht.“ Ein brütendes Mauerseglerpaar im Dachgebälk der Mehrzweckhalle verschanzt sich im Nest. Die Welt rätselt.
  5. Sven Murmann veranstaltet zu Ehren der 25. Ausgabe der neuen Kursbuch-Ära ein Wochenende in einer Schwitzhütte im Sauerland. Mit den Worten: „Die dunkle Zeit hat nun ein Ende“ verlässt er nach dem ersten Tag kurz die Hütte, um den zwei angereisten Feuilletonjournalisten der Sauertöpfischen Nachrichten einen ersten Zwischenbericht zu geben. Danach backen in der Hütte Herausgeber, Verleger und Mitarbeiter ein Brot aus naturreinem Sauerteig. In der anschließenden Selbstbeweihräucherungsrunde steigert der Hustenreiz der Beteiligten jedoch ins Unerträgliche. Schließlich rennen alle davon und verstecken sich im Wald voreinander. Einige Raben schütteln den Kopf und verziehen sich. Die Welt schaut weg.

Und jetzt wieder zurück in die Gegenwart. Wir wünschen allen Freunden des Montagsblocks ein vielversprechendes Neues Jahr. Mögen Sie gesund und munter bleiben und weiterhin standfest den Darmwinden des Naheliegenden widerstehen.

Peter Felixberger

PS:

6. Peter Felixberger zieht alle Strippen bei den Murmann Publishers, beim Kursbuch und überhaupt in der deutschen Medienlandschaft und kommt mit den vielen Leinen manchmal durcheinander. Bisweilen sieht es fast aus, als würde selbst er den Überblick verlieren, aber nein, seine eigene Diagnose von 2016 (https://kursbuch.online/shop/peter-felixberger-armin-nassehi-deutschland-ein-drehbuch/), dass alle und alles sich einem nachgerade unsichtbaren Drehbuch fügen, stellt sich auch als Prognose heraus. Die Ordnung ist trotz verhedderter Drähte wiederhergestellt. Alle tun auch 2018 tatsächlich das, was von ihnen erwartet wird. Nur Peter Felixberger nicht. Er ist der Einzige, der seinen eigenen Draht sucht. Von oben wundern sich einige Bussarde auf der Suche nach Mäusen.

Armin Nassehi

MONTAGSBLOCK /48, 01. Januar 2018