Montagsblock /331

Neulich auf der Phil.Cologne, dem Philosophiefestival in Köln, kam ich nach dem Abendprogramm in den Hotelbar mit einigen anderen mitwirkenden Philosophen ins Gespräch. Wir fachsimpelten ein wenig über die Wissenschaftsphilosophie und landeten schließlich bei der Wissenschaftskommunikation und deren Herausforderungen während der Pandemie. Bei zwei Themen, da waren wir uns schließlich einig, seien damals besondere Defizite deutlich geworden: bei der Kommunikation von Unsicherheiten wissenschaftlicher Resultate, und beim Anerkennen der Tatsache, dass Wissenschaft keine völlig objektive in einem wertfreien Raum operierende Unternehmung ist – auch wenn sie nach diesem Ideal strebt.

Beide Punkte sind von Autoren der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssoziologie in den vergangenen bald hundert Jahren detailliert ausgearbeitet worden. Aber insbesondere mit letzterem tun sich die (Natur-)Wissenschaftler selbst nach wie vor schwer. Einerseits, weil sie vielleicht wirklich glauben, dass das Ideal objektiven Wissens gewissermaßen in Reichweite ist, weil die Forschungspraxis es schafft, sich durch Mechanismen wie Peer-Review und die intensive forschungsinterne Diskussionskultur von sozialen Verzerrungen frei zu machen. Andererseits, weil es in der öffentlichen Kommunikation für einige Wissenschaftler zu einem Verteidigungsreflex geworden ist, auf oftmals politisch motivierte Wissenschaftsskepsis mit Verweis auf den völlig neutralen Charakter ihrer Forschung zu reagieren. Und schließlich, auch da waren wir uns einig, sind die philosophischen Grundlagen gelungener Selbstreflexion vielen Naturwissenschaftlern leider nach wie vor (viel zu) unbekannt.

Umso mehr freute ich mich daher gestern über eine neue Veröffentlichung in den Proceedings of the National Academy of Sciences, in der vier an US-amerikanischen Universitäten lehrende Kommunikationswissenschaftler um Dietram A. Scheufele auf genau dieses Problem eingehen. Sie beschreiben dort zwei verschiedene Paradigmen der Wissenschaftskommunikation: Den verbreitenden Ansatz („dissemination“), der zum Ziel hat, möglichst viele Menschen zu informieren und falsche Vorstellungen zu korrigieren. Und den teilnehmenden Ansatz („participation“), bei dem nicht nur die Öffentlichkeit lernen soll, wie Forschung funktioniert, sondern andersherum auch die Wissenschaftler, welche Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Ängste in der Bevölkerung existieren.

Ausgangspunkt für die Analyse ist dabei die Beobachtung, dass sich Wissenschaft heute in ihrer Rolle, Wissen für die Bewältigung komplexer Krisen und Umbrüche (Klimawandel, Pandemie, Künstliche Intelligenz, …) bereitzustellen, in einer besonders schwierigen Position befindet. Erstens gibt es große Unsicherheiten darüber, wie die sozialen Folgen dieser Krisen und Umbrüche aussehen werden. Und genauso gibt es große Unsicherheiten über die den Krisen zugrundeliegenden Phänomene selbst. Zweitens sind mit den Krisen Wertentscheidungen verbunden: Es gibt unterschiedliche Strategien damit umzugehen, je nachdem, was man für wichtig und erstrebenswert hält. Drittens steht viel auf dem Spiel und, damit zusammenhängend, herrscht viertens großer Zeitdruck, zu handeln. Diese vier Eigenschaften definieren eine Situation, die in den neunziger Jahren von den Wissenschaftsphilosophen Silvio Funtowicz und Jerome Ravetz als Voraussetzung für eine „Postnormale Wissenschaft“ (PNS) benannt wurde. PNS kann sich nicht mehr beliebig viel Zeit nehmen, um Unsicherheiten auszumerzen, und sie scheitert daran, sich neutral aus dem Diskurs auszuklammern. Sie muss anders funktionieren und anders kommunizieren als Forschung, die sich mit weit weniger kontroversen Dingen wie etwa der Erforschung unseres Kosmos beschäftigt.

Auf solche Postnormale Wissenschaft beziehen sich nun die vier Wissenschaftler in ihrer Schrift, wenn sie fordern, dass Wissenschaftskommunikation eine Strategie dafür finden muss, dass bestimmte politische Akteure sich zugunsten eigener Ziele auf zweifelhafte Wissenschaft beziehen oder versuchen, die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Forschung zu untergraben.

Die beiden genannten Kommunikationsparadigmen (Verbreitung vs. Teilnahme) sind dafür, wie die Autoren ausführen, unterschiedlich gut geeignet. Wenn Wissenschaftskommunikation sich darauf konzentriert, korrekte wissenschaftliche Inhalte zu verbreiten, konkurriere sie nicht nur mit einer Fülle anderer Informationsquellen sondern auch mit Pseudo-Experten. Und wenn sie daraufhin eigene Unsicherheiten unter den Tisch fallen lässt, um sich nicht angreifbar zu machen, mache sie sich massiv unglaubwürdig, sobald ihre Unsicherheiten doch an die Öffentlichkeit kommen.

Die Sympathie der Autoren liegt wenig überraschend sehr viel stärker beim zweiten Paradigma, das auf Dialog und Partizipation setzt und in dem nicht nur die Öffentlichkeit von den Wissenschaftlern sondern auch die Wissenschaft von der Öffentlichkeit etwas lernen kann. Dabei werben sie für den Wert intellektueller Bescheidenheit: Wissenschaftliche Laien sollten keinesfalls als uninformiert oder fehlinformiert gesehen werden. Wenn es um die Anwendung oder die Konsequenzen wissenschaftlicher Forschung geht, können sie schließlich manchmal sogar die zutreffenderen Intuitionen und direkteren Erfahrungen haben. Wissenschaftskommunikation gewönne so eine Symmetrie, die sie klassisch selten besaß.

Mir ist diese Einstellung sehr sympathisch und etwas, das mir auf der Grundlage der Pandemieerfahrungen auch sehr plausibel erscheint. Als ich allerdings meiner Mutter davon erzählte, war sie deutlich skeptischer: „Ach weißt Du, diejenigen, die sich in der Pandemie als Wissenschaftsgegner radikalisiert haben, die erreichst Du damit auch nicht.“ Wahrscheinlich hat sie damit Recht. Aber es wäre ja vielleicht schon etwas gewonnen, wenn sich nicht noch mehr radikalisieren würden.

Sibylle Anderl, Montagsblock /331

07. Juli 2025