Diese Woche kommt die Hitze. Das Bier wird warm, wenn man langsamer trinkt. Die Mittagspause wird länger, wenn die Restarbeitszeit schneller verglühen soll. Am besten gleich früher nach Hause gehen. Die Gedanken an die Arbeit verdunsten allmählich in der Hitze. Und am Ende des Tages lockt der Biergarten, jener Sehnsuchtsort heterogener Erörterungslagen mit anschlusskommunikativem Staubecken für Diskurse aller Art. Bratwurstgeruch steigt vom Teller des Nachbarn auf. Die Bedienung blafft bei jeder zarten Reklamation, sie könne nicht hexen, Bürscherl!
Zur weiteren Dramatisierung des Augenblicks bleibt vorläufig keine Zeit. Denn am Nachbartisch doziert der Biergartenfilosof. „Das Problem ist, dass wir immer mehr arbeiten müssen. Davon wird die Menschheit verrückt“, leitet er seinen Vortrag ein. „Moment“, antwortet sein Gegenüber, „die Arbeit ist doch viel weniger geworden?“ Mir schwant sofort. Der falsche Satz am falschen Ort zur falschen Zeit! Während der Biergartenfilosof gerade ansetzt, sich nach dem aktuellen Geisteszustand seines Mitdiskutanten zu erkundigen, spüre ich, wie der lazy Feierabend mit Leistungs- und Effizienzsemantik aus der Balance gerät. Hätte das Gegenüber nur „eh klar“ gesagt. Zu spät. Ob er schon mal etwas von Burnout gehört hätte, und der Merz sei doch ein Vollpfosten mit seiner „Die Deutschen arbeiten zu wenig“-Bullshit-Rhetorik.
Mir wird zügig klar: Dieser Mensch wird bei seinem Bocksgesang nicht schlauer, sondern rauer. Sein Auto-Agromotor jault ebenso auf wie seine Stimme. Zwei Tische hören jetzt intensiv mit. Satzfetzen im Wolfsgewand. Das Gegenüber sei so ein Büroheini, der noch nie eine Schaufel in der Hand gehalten hätte. Der einfache Mann werde sowieso nur verarscht. Und zu schlechter Letzt präsentiert er noch: „den Flüchtlingen wird aber alles gezahlt“. Blöderweise fällt mir ein: Wer hat sich die doofe Biergartenwerbung ausgedacht, in der fröhliche Menschen sich zuprosten und in pastelltöniger Umgebung fröhlich in die Zukunft blicken?
Ich verdufte lieber und beginne, auf dem Nachhausweg meine „Arbeit neu zu denken“ (Campus Verlag, 2000). Ich hatte außerdem vor einigen Montagsblocks angekündigt, mich stärker ins Vorurteilsgetümmel fremder Menschen stürzen zu wollen. Hier also meine kleine Rede an die Biergartenfilosofen im Expresstempo.
Das eintönige, mühsame und langwierige Arbeiten hat im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer mehr überhandgenommen. Die Jäger und Sammler mussten im Vergleich zu den späteren Bauern und Hirtennomaden noch wenig arbeiten, um ihre Existenz zu sichern. Sie waren eher mit ihrem unmittelbaren Überleben beschäftigt. Mit dem Bevölkerungswachstum nach Ende der letzten Eiszeit nahm dann die Plackerei zu. Etwas mehr Planung und Vorsicht sollten den Säbelzahntiger weghalten. Die Folge: mehr Arbeit, denn Planung braucht auch Kompetenz, Kontrolle und mehr Zeit. Der Pfad war eingeschlagen. Die Wildbeuter begannen ihre traditionelle Lebensform schließlich aufzugeben. Sie bauten Nutzpflanzen an und züchteten Tiere. Das Leben wurde mühsamer, die Konflikte stiegen allerorten. Und obwohl die Zivilisation seit der neolithischen Revolution stetig Fortschritte machte, sank die Lebensqualität. Mit dem Kummer darüber entwickelte sich das weltanschauliche Nachdenken über die Fron im Diesseits. Jenseitslehren und Weltflucht kompensierten den konkreten Kollektivjammer. Religionen und Mythen sprangen in den Erklärungsnotstand und pusteten Sinn ins drohende Vakuum. Aus der Welt, wie sie war, wurde die Welt, wie sie sein sollte. Aus dem Befund wurde die Annahme, aus der Krankheit das Rezept.
Das Leben wurde uneindeutig, unscharf, vielfältig, paradox, widersprüchlich, unversöhnlich, unübersichtlich. Das zog wiederum mehr Arbeit, Zeit, Planung und zu guter Letzt Kontrolle und Überwachung nach sich.
Zeit für mehr Hierarchie und Machtgefälle. Plötzlich gab es die Vorstellung, dass die Herrschaft einiger weniger vernünftiger sei als egalitärer Individualismus. Die alten Germanen und Römer spielten neue Melodien in Bezug auf gerechte Herrschaft zwischen Volk und Anführer. Wir kürzen ab und spulen die Menschheitsgeschichte weitere Jahrhunderte nach vorne. Die größere Ordnung sucht Halt. Es geht jetzt um die freiwillige Zustimmung freier und gleicher Menschen in einer gesellschaftlichen Ordnung. Rousseau grinst den Gemeinwillen herbei, Hobbes zaubert den Leviathan aus dem Hut, Benjamin legitimiert Gewalt als Mittel zur Durchsetzung gerechter Zwecke, Foucault diszipliniert den einzelnen mit staatlicher Fürsorge und Dworkin fordert als letzter Aufklärungsmeister mehr Ressourcengerechtigkeit und Einflussgleichheit als Selbstorganisationscodierung.
John Maynard Keynes winkt aus dem Jahr 1930. Seine Enkel, so seine damalige Prognose, würden aufgrund von Produktivitätsfortschritten und Automatisierung nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten. Der Anthropologe James Suzman hat darauf hingewiesen, dass 15 Stunden pro Woche ziemlich genau die Arbeitszeit der frühen Jäger und Sammler war. Na, dann frage ich mich zunächst, wieviel ich in der Woche arbeite? 15 Stunden habe ich bisweilen schon Dienstag mittag aufgebraucht.
30 Grad im Schatten. Sieben Millionen Erwerbstätige werden nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB bis 2035 aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Dank unserer Migrationspolitik verhindern wir gleichzeitig die Zuwanderung möglicher Fachkräfte. Bleiben uns zwei Auswege. Entweder wir erhöhen die Arbeitszeit (was in erster Linie Frauen, Ältere und Arbeitslose beträfe) und hoffen zweitens auf Industrieroboter und KI-gesteuerte Maschinen, die von 2010 bis 2020 weltweit immerhin von 1,1 auf 3,3 Millionen gewachsen sind. In Südkorea kommen auf 1000 Mitarbeitende 9,3 Roboter. In Deutschland sind es bereits 3,7.
Irgendetwas muss passieren. Zumal wir nämlich in Zukunft auch deshalb zu wenig arbeiten, weil wir zu wenige sind. Heute arbeiten in Deutschland noch knapp 47 Millionen Erwerbstätige, im Jahr 2060 werden es nur noch 30 Millionen sein. Wer aber sorgt am Ende für den Produktivitätsfortschritt? Maschinen, Roboter? Bleiben für uns dann nur noch Niedriglohnjobs in halbautomatisierten Workflows? Im Biergarten kehrt langsam Ruhe ein. Bier schlägt Zukunft. KI, Bots, Cyborgs, Zentauren? Werden wir die Arbeit mit KI neu erfinden? Der Weg zur Halberleuchtung ist kurz. Selbst der Filosof hat jetzt zwei Buchstaben weniger.
Peter Felixberger, Montagsblock /330
30. Juni 2025
Literaturhinweis
Fabiola H. Gerpott, Stephan A. Jansen: Die Arbeit. Wie wir sie mit KI neu erfinden … und was für uns übrigbleibt. brand eins books, Hamburg 2025