Montagsblock /226

Von Paul Watzlawick stammt folgende Geschichte: Ein Dobermann, der nachts im Haus schläft, wird in der Früh von seinem Herrchen in den Garten hinausgelassen, rennt dort zu einem Baum, verrichtet sein Geschäft und kommt dann in die Küche zurückgestürmt. Hier wurde zwischenzeitlich eine Schüssel Milch vorbereitet, die der Hund mit Begeisterung austrinkt. Eines Tages ist keine Milch da. Der Hund kommt herein, steht völlig verdattert vor der leeren Schüssel. Was tut er? Er läuft wieder in den Garten hinaus, hebt das Bein, obwohl nichts mehr herauskommt und kehrt vermutlich in der Annahme zurück, das Ganze müsse sich jetzt doch wie gehabt abspielen.

Psychologen bezeichnen solche Abläufe als „Spiele ohne Ende“. Es geht um die Absicht, zu einem Zeitpunkt zurückzukehren, indem ein Problem nicht bestand, wo alles noch in Ordnung war. Diese kindlich-naive Vorstellung einer Rückkehr in eine funktionierende, frühere Normalität (call it: Paradise) ist heutzutage weit verbreitet. Sie basiert erstens auf der Annahme, dass früher alles besser war, und zweitens auf der Vorstellung, dass dieses Besser vom Neuen bedroht wird. Gute Beispiele dafür sind aktuell das Heizungsgesetz (Staat dringt in mein Haus oder in meine Wohnung ein), Gendern (Sprache wird zerstört) und vegane Wurstwaren (Leberkässemmel ist in akuter Gefahr). Fortschrittsfeindliche „Liberalkonservative in der Mitte der Gesellschaft“ singen diese Lieder in den Echokammern ihrer Wahrheitstempel. Und zwar so vehement, dass man sich mancherorts sogar wieder die Demokratie zurückholen will. Und sei es wenigstens auf dem Volksfestplatz in der oberbayerischen Provinz.

Ich will hier nicht auch noch meinen Senf zu den Ereignissen in meiner Heimatstadt geben. Aber eines ist mir in der darauffolgenden Woche aufgefallen. Jeder, mit dem man sprach, wusste irgendwie genau, was die andere Seite denken oder sagen will. Klar, es ist immer wohlfeil, andere zu entlarven und so zu tun, als kenne man alle Hirnwindungen des anderen. Im Oberlehrerjargon: Irgendwie hat man es ja eh schon immer gewusst!

Wer aber so genau über den anderen Bescheid zu wissen glaubt, festigt ein interessantes Paradoxon. Wir kennen es aus den Zeiten des Kalten Krieges im letzten Jahrhundert. Nennen wir es „Ich weiß genau, was du denkst“-Paradox: Die Haltung, die ich einnehme, um den Absichten der anderen entgegenzuwirken, ist genau die Haltung, die den anderen zum Einnehmen seiner Haltung bringt. Die Sowjets und die Amerikaner lebten damals in der felsenfesten Überzeugung, die finsteren Absichten des jeweils anderen zu kennen. Wie selbstverständlich sich da die Aufrüstungsspirale einbetten ließ.

Auf dieser Basis lassen sich auch heute Spiele ohne Ende problemlos vorantreiben. Sie erreichen allerdings auch andere Nebenschauplätze, die sich leicht integrieren lassen: „Die rote Linie ist überschritten, so macht man die AfD hoffähig.“ „Ich habe mich bei der Volksmusik fremdgeschämt.“ „Ich lasse mir keine Leberkässemmeln verbieten, das ist schließlich Teil der bayerischen Lebenskultur.“ „Wenn das so weitergeht, werden die Rechten die Macht übernehmen, dann wandere ich aus.“ „Wir brauchen kein Gendern, nur weil ein paar Berlin Mitte-Heinis und -Tussis das so wollen.“ Kein Ende der Dummheiten in Sicht.

Deshalb ein Vorschlag zur Güte. Der Mathematiker und Biologe Anatol Rapoport schlug einmal vor, dass beide Parteien, bevor irgendetwas Konkretes entschieden werden darf, den Standpunkt der anderen Partei zu deren Zufriedenheit darlegen muss. Rapoport beschäftigte sich viele Jahre in seinen Forschungen mit möglichen Verbindungslinien zwischen Konflikten und Kooperation. Vor allem dann, wenn sich die Positionen betoneisern gegenüberstehen.

Im Falle des Heizungsgesetzes könnte das bedeuten: Markus Söder müsste in seinen Worten Robert Habeck so lange die Vorzüge des Heizungsgesetzes erklären, bis Habeck diese Darlegung für richtig einschätzen würde. Habeck wiederum müsste Söder so lange die Nachteile erklären, bis dieser verständnisgesättigt nicken würde. Der Rollentausch könnte in der Folge sogar massenmedial inszeniert werden. Mit fachgierigen Deutschlehrern als Moderatoren dialektischer Erörterungen.

Was könnte dabei herauskommen? Womöglich die fassungslose Erkenntnis: „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du denkst, dass ich das denke.“ Paartherapeuten wissen natürlich, dass eine solche Erkenntnis der größte Schritt in einer gemeinsamen Problemlösung sein kann. Und „Hubsi-scheißdrauf“ Aiwanger einmal diesen Satz in einem überhitzten Bierzelt sprechen zu hören, darauf würde ich sogar eine schöne Extramaß trinken. Prost!

Peter Felixberger, Montagsblock /226

19. Juni 2023