Montagsblock /106

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Im Jahre 1540 findet die längste Badesaison der Weltgeschichte statt. Noch im Dezember kann man im Rhein planschen. Eine Ballung von Hochdrucklagen sorgt von März bis September für permanenten Sonnenschein. Keine Niederschläge, dafür Waldbrände allerorten. Allein in Deutschland brennen 33 Städte. In England wird Thomas Cromwell hingerichtet und Heinrich VIII. heiratet seine fünfte Frau. In Spanien schicken sie Schiffe los, um den Golf von Kalifornien zu erkunden. Und im heutigen US-Bundesstaat Alabama werden die ersten Indigenen massakriert, das erste verbriefte Indianergemetzel. In Täbris wird der erste Perserteppich geknüpft. Und weil es so trocken und sonnig ist, wird am Stein in Würzburg versehentlich die erste Spätlese gekeltert, deren letzte Flasche heute noch im Bürgerspital lagert. In Wittenberg wird eine Hexe auf einen Holzpfahl angeschmiedet und verbrannt. In Italien stirbt der Maler Parmigianino an Malaria. Wie? Malaria? Ja, Sie lesen richtig. Das sogenannte Flussfieber raffte damals in Europa nicht wenige Menschen hin.

 

Kameraschwenk 1: Laut WHO sterben pro Jahr etwa eine Million Menschen an Malaria, bei circa 400 bis 500 Millionen Infektionsfällen, vor allem bei Kindern. Bis 2050 rechnet die WHO mit einer Zunahme auf 750 Millionen bis eine Milliarde Fälle pro Jahr. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in malariagefährdeten Gebieten. Europa und Deutschland sind seit den 1950er Jahren mehr oder weniger malariafrei, übrigens vor allem durch die intensive Verwendung von DDT, einem Insektizid aus dem Horrorkabinett. Damals wurde verdächtigen Stechmücken der Garaus gemacht. Man muss kein großer Medizinstatistiker sein, um zu erkennen, dass die Medikamentenforschung gegen Malaria seither eine gewisse Langsamkeit für sich entdeckt hat. Das Hauptabsatzgebiet Afrika verspricht nicht jene steilen Profitraten, die Pharmafirmen sonst gewohnt sind.

 

Kameraschwenk 2: In Deutschland sterben derzeit jährlich knapp eine Million Menschen. Das sind 11 Sterbefälle auf 1.000 Menschen. Klare Zahlenansage: Die Malariaopfer weltweit entsprechen exakt den Todesfällen in Deutschland. Da kann die Corona-Pandemie, Sektion Deutschland, nicht mithalten: Inklusive gestern beträgt die Zahl der Covid-19-Toten laut RKI hierzulande 5.640. Das sind, Stand 26. April, etwas mehr als 0,5 Prozent aller jährlichen Sterbefälle. Zum Vergleich: Es gibt ungefähr 50.000 Tote jährlich, die an einem Herzinfarkt sterben. Zehnmal so viel wie Covid-19-Tote (Stand jetzt). Und nicht wenige Chefärzte in Deutschland erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass in der Notfallmedizin in den Kliniken gerade bis zu 50 Prozent weniger Herzinfarkte landen. Wie? Weniger Herzinfarkte? Ja, Sie lesen richtig, fragt sich nur, wo diese akut Betroffenen eigentlich sind. Zu Hause mit Symptomen auf der Couch? Keiner weiß es.

 

Wir halten fest: Covid 19 hat es in der medizinstatistischen Champions League auf Platz 1 geschafft, obwohl die Zahlen eher flau sind. Evergreens wie Malaria und Herzinfarkt haben derzeit keine Konjunktur. Sie teilen ihr Schicksal mit Norovirus, Hepatitis, Legionellen oder FSME. Gibt es eigentlich noch Zecken? Stellt sich abschließend die Frage, welche Lock-down-bedingten Krankheiten oder Todesarten am Ende die Nase vorne haben werden. Zur Erinnerung, die jährliche Selbstmordrate vor der Corona-Pandemie liegt bei knapp über 9.000 Opfern. Übrigens die Hälfte der Zahl von vor 30 Jahren. Wir sollten wieder ein Auge darauf werfen. Genauso wie auf die Hochdrucklagen, die sich gerade wie im Jahr 1540 in Deutschland auffädeln. Und weiß jemand, wie es den First Nations in den USA geht? Der 2018 Juliusspital Silvaner, Erste Lage Würzburger Stein, ist übrigens ein echter Tipp.

 

Peter Felixberger

Montagsblock /106, 27. April 2020